Papierherstellung – wie eh und je

Für den koreanischen Papiermacher Jongkuk Lee ist das traditionelle Herstellen von Papier wie ein Treffen mit Gott. «Ich begegne darin dem Wasser, dem Feuer, dem Wind und dem Sonnenschein».

Hält Jahrhunderte: das Papier aus den Fasern der Maulbeerbäume (Bild: zVg)

Durchschnittlich sammeln Herr und Frau Schweizer 1,3 Millionen Tonnen Altpapier pro Jahr. Das als wichtiger Rohstoff zur Wiederherstellung des dünnen Informationsträgers dient. Denn rund 90 Prozent der neuen Papiere bestehen heute aus Altpapier. Gab es in der Schweiz zum Jahrhundertwechsel noch 23 Produzenten, sind es heute noch acht, wobei sich sieben auf Spezialpapiere, Banknoten oder Hygienepapiere spezialisiert haben. Als einzige Schweizer Produzentin von Zeitungsdruck- und Magazinpapier ist nur noch die Perlen Papier AG übriggeblieben.

Tradition ...

Als Erfinder des Papiers gilt der chinesische Beamte Cai Lun vor mehr als 5000 Jahren. Damals wurden in Uferzonen die schilfartigen Papyrus-Sumpfgewächse gesammelt und in Streifen geschnitten. Anschliessend kreuzweise übereinandergelegt, gepresst, gehämmert und getrocknet. Mit einer Mischung aus Russ und Gummi arabicum hielten Schreiber dann darauf Ereignisse und Geschichten fest. In Korea wird seit bald 2000 Jahren Papier geschöpft und auch dort ist, wie bei uns, ist an ein Leben ohne Papier nicht zu denken. Obwohl seit Jahren das papierlose Büro prognostiziert wird. Weltweit werden jährlich knapp über 400 Millionen Tonnen Papier, Karton und Pappe hergestellt. Heute allerdings nach modernsten Methoden und mit entsprechend automatisierten Maschinen. Aber es gibt sie noch, einzelne Spezialisten rund um die Welt, die Papier noch nach alten Methoden herstellen. Beispielsweise in Korea.

... in die Neuzeit herübergerettet

In Korea lebt der 54-jährige Papiermacher Jongkuk Lee zusammen mit seiner Frau und seinem Sohn in einem traditionellen Haus im Zentrum des kleinen Städtchens Cheongwon, drei Stunden südlich von Seoul. Die 3-Zimmer-Wohnung befindet sich im Obergeschoss und ist traditionell eingerichtet – ohne Tisch und mit aufrollbaren Schlafunterlagen. Im Erdgeschoss ist das eigentliche Zentrum des

Geduld bringt Fasern: Jongkuk Lee beim Schälen von Ästen des Maulbeerbaumes

Hauses. Beim Betreten des Ateliers merkt man sofort, welche Bedeutung in dem Zuhause das so genannte Hanji-Papier hat: Der Eingangsbereich ist mit gleichmässigen Rechtecken verglast. «Früher waren die Fenster aus Hanji-Papier. Kühlend in den heissen Sommer- und wärmend in den bitterkalten Wintermonaten», erklärt Jongkuk. «Bedingt durch die Schöpfrahmen waren die Masse der Fenster mit 103,9 x 1599,9 Zentimeter immer gleich. Diese Tradition haben wir für die Glaselemente übernommen.» Das Atelier verströmt eine sehr warme und wohltuende Atmosphäre. Überall stehen kunstvolle Objekte aus Papier. Dreidimensionale Skulpturen, Vasen und auch mit Pinsel bemalte Kaligrafien. «Alle Objekte sind durch meine Hände entstanden und wurden mit Naturfarben bemalt oder eingefärbt. Das dreidimensionale Experimentieren mit Papier fasziniert mich und ich liebe es zu drehen, zwirnen, falten und zerdrücken», so Jongkuk. Im nächsten Raum füllt der überlange Tisch mit den beidseitigen Bänken den Raum aus. «Hier biete ich Erwachsenen und Kindern Kurse an. Ich will das Hanji-Handwerk weitergeben und die Leute dafür begeistern.»

Farbenfroher Innenhof

Im hinteren Teil des Ateliers befindet sich die Werkstatt und ein mit Pflanzen überwachsener Innenhof. Hier entstehen die Papiere und hier mischt Jongkuk Lee die Pflanzenfarben. Entsprechend stehen viele Kessel mit eingelegten Nüssen, Samen und Blumen neben dem grossen Becken, worin sich eine hellbeige Brühe befindet. Darüber hangen farbige Papiere zum Trocknen – eine bunte Welt!

Das Papier «wächst» in den Bergen

Die Hauptzutaten für die Hanji-Papierherstellung sind wie früher Rinden von einjährigen Maulbeerbäumen und die Wurzeln einer Hibiskus-Pflanze. «Wir haben ein kleines Haus in den Bergen. Gleich bei den Maulbeerbaumwäldern.» Jungkuk Lee verbringt viel Zeit dort. Denn für eine gute Qualität an Maulbeerbaumrinden müssen die Wälder gut gepflegt werden. Auch der Schnitt der jungen Bäume ist entscheidend. Denn die Winter in Korea sind kalt und da können Jungtriebe erfrieren. «Die koreanischen Maulbeerbäume unterscheiden sich von denen der Nachbarländer und ergeben viel feinere Fasern.» Entsprechend langlebiger und geschmeidiger werde das Papier. «Die geschnittenen Maulbeerbaumäste halte ich über den heissen Dampf, dann lässt sich die Rinde gut lösen», beschreibt Jongkuk Lee den Arbeitsablauf. «Die Rinde wird getrocknet und anschliessend zwei Tage im fliessenden kalten Wasser des Baches eingelegt.» In dieser Zeit sammelt er die Wurzeln der Hibiskuspflanzen. Diese erzeugen nach dem Auskochen eine schleimige Sauce, die dann die Fasern des Maulbeerbaums zusammenhält. «Als nächstes koche und bedampfe ich die Rinden. Hierzu mische ich die Asche von Buchweizenstängeln und Bohnenkraut in das heisse Wasser. Das hilft, damit die Fasern beim anschliessenden Bleichungsprozess schön weiss werden.» Dies geschieht mit der Hilfe von fünf Tagen Sonnenschein und sieben Tagen bewölktem Himmel. Erneut gewässert, schlägt Jongkuk das Material 40 bis 60 Minuten mit einem Holzhammer und erhält so feine Fasern. Vermischt mit der schleimigen Hibiskussauce kann nun das Papier geschöpft werden. Das heisst, die Mischung wird gesiebt, in Formen gegossen und getrocknet.

Der entscheidende Unterschied

Der Unterschied zum heute normalen und modernen Papier ist der ph-Wert. Das Industriepapier ist sauer und hat einen Wert von unter 4.0. Deshalb vergilbt und zerfällt es nach 50 bis 100 Jahren. Hanji hat mindestens einen Wert von 7.0 und ist über Jahrhunderte stabil. Jongkuk Lee nimmt eine kleine Holzform in der Gestalt eines ausgeschnittenen Schmetterlings. Auf der Rückseite ist ein feines Netz angebracht. Gekonnt schwenkt er die Form in der leuchtend farbigen Brühe. Immer horizontal haltend, als wolle er mit einer Schaufel das Wasser abschöpfen. Drei, vier Mal mit flinker Hand, und die Form ist gefüllt mit tropfenden feinen gelben Fasern. «Der Prozess hat sich in den vergangenen Jahrhunderten nicht verändert. Ausser beim Pressen und Trocknen, wo ich heute die moderne Technik nutze». Er saugt von unten mit einem Staubsauger das Wasser ab, faltet das Papier in der Mitte und zeigt mir mit einem herzlichen Lachen und leuchtenden Augen den fertigen Hanji-Schmetterling. Der bestimmt nicht in der morgigen Altpapiersammlung landet.        

 

10. Juli 2018
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