Rückkehr nach Gaza: Eine Reise vom Vertriebenenzelt zum zerstörten Zuhause
Aktuell von unserem Mitarbeiter aus Gaza: Es war Zeit, nach Gaza zurückzukehren. Der Moment, auf den ich mehrere lange Wochen gewartet hatte, war endlich gekommen – Wochen, in denen ich die Bitterkeit von Vertreibung und Obdachlosigkeit erfahren und das Leben in einem Zelt und in einer Unterkunft für Vertriebene in Nuseirat, mitten im Gazastreifen, kennengelernt hatte.
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Der Autor mit seiner Frau und seinem Sohn bei der Rückkehr nach Gaza. Foto: Younis

Meine Entscheidung, meine Stadt Gaza zu verlassen, war nicht freiwillig gewesen, sondern erzwungen. Die israelische Armee marschierte im vergangenen August in die Stadt ein und trieb die Bewohner nach Süden, bis Gaza-Stadt zu einer Geisterstadt wurde.

Eine langsame Rückkehr

Obwohl die vertriebenen Bewohner nach der Verkündung eines Waffenstillstands zwischen der Hamas und Israel am 9. Oktober in ihre Stadt zurückkehren durften, verlief die Rückkehr aus vielen Gründen langsam und zögerlich. Vor allem befürchteten die Menschen, dass Israel erneut gegen das Abkommen verstossen würde, wie es im März letzten Jahres geschehen war, als es nach dem ersten Waffenstillstand im Januar 2025 seinen Krieg gegen Gaza wieder aufgenommen hatte.

Hinzu kam, dass die massiven Zerstörungen an den Strassen die Bewegungsfreiheit der Menschen einschränkten und ihnen die Rückkehr erschwerten, ganz zu schweigen von den systematischen Bombardierungen, mit denen die israelische Armee an Häusern und Wohnvierteln überzogen hatte. Diejenigen, die ihr Zuhause verloren hatten, hatten nichts mehr, wohin sie zurückkehren konnten. Ausserdem kontrolliert Israel nach wie vor etwa 53 % des Gazastreifens und hindert die Bewohner daran, gemäss den Bedingungen des Waffenstillstandsabkommens in diese Gebiete zurückzukehren.

Ich selbst habe mein Zuhause schon zu Beginn des Krieges verloren, genauer gesagt im November 2023. Es wurde vollständig zerstört. Seitdem sind meine Familie und ich zwischen den Häusern von Verwandten und Freunden hin- und hergezogen, bis ich schliesslich in einem Zelt in einem Notunterkunftszentrum in Nuseirat gelandet bin.

Ich zögerte, unmittelbar nach der Verkündung des Waffenstillstands zurückzukehren. Ich suchte eine geeignete Wohnung. Nach grossen Anstrengungen gelang es mir, eine 100 Quadratmeter grosse Wohnung in Gaza-Stadt mit einer Monatsmiete von tausend Dollar zu finden. Vor dem Krieg kosteten grössere und schönere Wohnungen nicht mehr als 300 Dollar.

Wohnungen sind knapp. Deshalb war unsere neue Bleibe alles andere als ideal. Die Wände waren rissig und die Decke in einem schlechten Zustand. So sieht es in den meisten Wohnungen aus, die der vollständigen Zerstörung entgangen sind.

In den letzten Wochen habe ich unermüdlich daran gearbeitet, die Wohnung zu reparieren. Mit Hilfe einiger Arbeiter und Handwerker habe ich Wände aus Holz und Nylon installiert. Das Abwassersystem war komplett zerstört, sodass wir keine andere Wahl hatten, als eine Senkgrube zu graben. So bewältigen die Bewohner Gazas das Problem der zerstörten Infrastruktur.

Vor einigen Tagen habe ich nach Rücksprache mit meiner Frau beschlossen, dass es Zeit war, zurückzukehren. Wir wachten früh in unserem Zelt auf, ich atmete tief durch und sagte mir: «Heute ist der letzte Tag im Zelt.» Das Leben in einem Flüchtlingszelt ist pure Bitterkeit und Leid. Tausende Familien in Gaza sind immer noch gezwungen, in Zelten zu leben, ohne zu wissen, wie ihre Zukunft aussehen wird. Nachdem sie ihre Häuser verloren haben, bereiten sie sich nun auf einen harten Winter vor. Zelte werden dann von Wasser überflutet, die Nächte werden extrem kalt und Kinder werden leicht krank.

Ich begann, unsere Habseligkeiten zusammenzusuchen – die wenigen Dinge, die uns von einer Vertreibung zur nächsten begleitet hatten: Lebensmittel, Kleidung, Hygieneartikel, Decken und Matratzen.

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Ist dies unsere letzte Vertreibung?

Meine Kinder halfen mir beim Zusammenpacken. Mein 13-jähriger Sohn fragte: «Papa, ist dies unsere letzte Vertreibung?» Ich antwortete ihm: «Ja. Wir werden Gaza nicht wieder verlassen.»

Viele in meinem Umfeld glauben jedoch, dass der Krieg zurückkehren wird und dass die israelische Armee erneut Menschen aus ihren Häusern und Zelten in Gaza vertreiben und sie nach Süden drängen wird, insbesondere da Israel und die Vereinigten Staaten darauf bestehen, die Hamas zu entwaffnen, was viele hier ablehnen.

Ich persönlich glaube, dass der Krieg nicht wieder ausbricht, insbesondere nachdem die Hamas innerhalb von zwei Tagen alle israelischen Gefangenen übergeben hat. Ich habe das Gefühl, dass der Krieg wirklich vorbei ist.

Während meine Frau damit beschäftigt war, die Kleidung unserer Kinder zu sortieren, kam unsere Nachbarin zu Besuch. Sie lebte in einem Zelt in unserer Nähe. Halima ist 42 Jahre alt, Mutter von vier Kindern und aus der Stadt Rafah im Süden Gazas vertrieben worden. Sie hat ihren ältesten Sohn, 15 Jahre alt, bei einem israelischen Bombenangriff verloren. Ihre ganze Stadt ist in Schutt und Asche gelegt worden, und die israelische Armee hindert die Bewohner trotz des Kriegsendes immer noch daran, zurückzukehren.

Halima betrat unser Zelt. Ihr Gesicht war fröhlich, mit einem leichten Lächeln und einem Ausdruck der Überraschung. Sie fragte mich: «Stimmt es, was sie sagen? Geht ihr wirklich zurück nach Gaza?» Halima war wie eine Schwester für mich. Sie teilte mit meiner Frau viele Momente des Schmerzes und der flüchtigen Freude im Lager.

Ich sagte ihr: «Ja, Halima. Wir gehen. Wir kehren nach Gaza zurück.»

Sie fragte mich erneut: «Wie fühlst du dich dabei, in deine Stadt zurückzukehren?» Ich spürte in ihrer Stimme eine tiefe Sehnsucht nach Rafah. Ich antwortete: «Der Krieg ist erst wirklich vorbei, wenn du in deine Stadt zurückkehrst, Halima. Was nützt ein Waffenstillstand, wenn wir immer noch vertrieben sind und keine Unterkunft haben?»

Sie hielt einen Moment inne und sagte dann: «Rafah ist zu Trümmern geworden. Es gibt kein einziges Haus mehr, das bewohnbar ist.» Vor dem Krieg lebten in Rafah etwa 270 000 Menschen, heute sind sie alle in Notunterkünften ausserhalb der Stadt untergebracht.

Durch mein Gespräch mit Halima wurde mir klar, wie glücklich ich mich schätzen konnte, dass eine Rückkehr für mich noch möglich war.

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Ein neues Zuhause

Als wir unsere Habseligkeiten zusammengetragen hatten, waren die Taschen gepackt. Ich mietete einen kleinen Lastwagen, um uns nach Gaza zu bringen. Wir luden alles, was wir besassen, darauf. Viele meiner Nachbarn aus dem Lager kamen, um sich von uns zu verabschieden. Einer von ihnen sagte: «Vergiss uns nicht.» Wir versprachen ihm, dass wir sie niemals vergessen würden. Wir hatten lange und anstrengende Tage der Vertreibung gemeinsam verbracht, Brot gebacken und Essen für unsere Kinder zubereitet.

Die Strasse zu unserem neuen Zuhause brachte alle Erinnerungen an das, was wir während des Krieges erlebt hatten, zurück. Die Häuser auf beiden Seiten der Strasse waren zerstört, und ihre Bewohner lebten in Zelten, die vor den Trümmern ihrer Häuser aufgestellt worden waren. Ich fragte mich still: «Ist das Widerstandskraft und Entschlossenheit zu bleiben? Oder ist es einfach die einzige Möglichkeit, die ihnen bleibt?»

Der schwankende Lastwagen unterbrach meine Gedanken, als er über die zerstörte Strasse fuhr, als würde er über die Falten im Gesicht Gazas fahren. Das Meer war wunderschön. Fischerboote lagen nur wenige Meter vom Ufer entfernt vor Anker, aus Angst, näher heranzufahren und von israelischen Kriegsschiffen angegriffen zu werden. Am Sandstrand, einst voller Touristenresorts, betreiben jetzt die Bewohner primitive Dieselraffinerien, weil Israel die Einfuhr von Treibstoff untersagt hat. Das Schlimmste an diesen Raffinerien ist der dicke schwarze Rauch, der den Himmel erfüllt.

Als ich in unserem neuen Zuhause ankam, stellte ich fest, dass es teilweise beschädigt, aber bewohnbar war. Heute betrachten die Menschen in Gaza jedes Haus, das auf Säulen steht und ein intaktes Dach hat, als Paradies. In der Nachbarschaft, in die wir gezogen sind, lebten vor dem Krieg etwa 70 Familien, heute sind nur noch 11 übrig, deren Häuser noch bewohnbar sind. Die anderen haben ihre Häuser vollständig verloren.

Wir begannen, unsere Habseligkeiten auszuladen. Ich beschäftigte mich damit, das Haus einzurichten. Einige Innenwände waren rissig, also versuchte ich, die Risse mit Wanddekorationen zu verdecken. In den Fluren waren überall Einschusslöcher zu sehen. Ich stand davor und stellte mir vor, wie die israelischen Soldaten, die einst hier waren, ihre Wut an allem um sie herum ausgelassen hatten.

Viele Gedanken beschäftigen mich, vor allem die Frage, wie ich meinen Kindern eine Ausbildung ermöglichen kann. Vor dem Krieg gab es in diesem Viertel sechs Schulen: Grundschulen, Vorbereitungsschulen und weiterführende Schulen für Jungen und Mädchen. Alle wurden vollständig zerstört. Jetzt müssen meine Kinder täglich mindestens zwei Kilometer laufen, um die nächste Schule zu erreichen.

Trotz allem war ich sehr glücklich, endlich in meine Stadt Gaza zurückgekehrt zu sein. Ich hoffe nur, dass meine Familie endlich Frieden und Stabilität finden wird, wie jede andere Familie auf dieser Welt.


Der Verfasser dieses Artikels startete eine Spendenaktion, um seine Familie und andere vertriebene Familien, die in Gaza-Stadt ihr Zuhause verloren haben, mit Decken und Lebensmittelpaketen zu versorgen. Ihre Spende wird unser Leben entscheidend verbessern.

https://donate.stripe.com/28E5kCbntbxZ6qg3UE0RG06

Hier ein Bericht darüber, wie das Geld der Spendenaktion bis jetzt verwendet wurde:

Gemeinsam schaffen wir Hoffnung: Lebensmittelpakete für die Vertriebenen in den Zelten von Gaza

Abdullah Younis

Abdullah Younis
Abdullah Younis

Ich bin Abdullah Younis, 37 Jahre alt und Journalist aus Gaza-Stadt. Ich arbeite seit 16 Jahren als Journalist. Derzeit trage ich zu verschiedenen lokalen Onlineplattformen bei, einschliesslich der Libanesischen Organs Al-Akhbar, der Webseite Felesteen News, The Electronic Intifada und dem Zeitpunkt.

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