Saure Sache

Ein Crashkurs zur Herstellung und Geschichte des Essigs.

Das einfachste Rezept für Essig findet sich in seinem Namen. Das französische Wort «Vinaigre» bedeutet nämlich «saurer Wein» (Vin aigre). So weit, so klar. Unverständlich ist, warum Weintrinker ihren Essig nicht selber machen. Die Herstellung von Weinessig ist nämlich ziemlich simpel: Man lässt den Wein stehen, bis er Essig ist.

Essig kannten schon die Babylonier. Sie genossen ihn vor fünftausend Jahren wie wir heute Elmer-Citro. Weitere 2000 Jahre zurück tranken Ägypter einen zu Essig vergorenen Gerstensaft namens «Hequa». Die Römer nannten Essigwasser «Posca» und gaben es ihren Legio­nären als Durstlöscher auf den Weg. Es galt als Desinfektionsmittel und machte sie nicht betrunken – anders als Wein. Der persische Physiker und Arzt Avicenna hinterliess uns unzählige Gesundheitsrezepte mit Essig. Und Hildegard von Bingen wusste: Essig reinigt «das Stinkende im Menschen und reduziert in ihm die schlechten Säfte». Mit Essig versuchte man im Mittelalter sogar der Pest beizukommen; und man glaubte, er helfe bei schlechter Laune (Sauer macht lustig). Heute dient Essig vor allem zum Einmachen von Gurken und Gemüsen, zum Würzen von Speisen und Salat und gelegentlich hilft er beim Putzen und Fiebersenken.

Es gibt neben dem «Stehenlassen» aber noch andere Verfahren, wie man Essig herstellen kann. Das «Orléans-Verfahren» gilt als das aufwändigste, aber beste von allen. Fässer werden zur Hälfte mit Wein gefüllt, mit Essig «geimpft» und mit einem Tuch bedeckt. Die Essigbakterien bilden nun mit der Zeit eine quallenähnliche, glibberige Masse – die Essigmutter. Sie ist die Bakterien-Kolonie, die den Alkohol mithilfe von Sauerstoff in Essigsäure umwandelt. Ein Teil der Flüssigkeit wird nach einigen Tagen abgegossen und in einem anderen Fass gelagert, um das Aroma zu verbessern. Die Essigmutter wird mit neuem Wein gefüttert. Dann wird wieder abgeschöpft und aufgegossen. Für immer.
So macht auch Ursula Hirt in Niederbipp ihren Weinessig. Seit über zwanzig Jahren füttert sie ihre Essigmutter mit Rotwein. Ihre Mutter lebt in einem Konfi-Glas und ist inzwischen handgross und daumendick. «Wie bei einer Pflanze spreche ich mit ihr», sagt die Essigliebhaberin. Ab und zu bildet sich eine zweite Haut auf der Mutter, die sich abkoppelt und weiterwächst. «Sie macht Junge», lacht Ursula Hirt. Die «Jungen» verschenkt sie oder wirft sie weg.

Ganz anders entsteht Balsamico. Der Château Lafite-Rothschild unter ihnen ist der «Aceto Balsamico Tradizionale di Modena». Weisse Trebbiano-Trauben werden im Herbst ausgepresst, durch Tücher gefiltert und auf offener Flamme, in Kupferkesseln, einen halben Tag schonend eingeköchelt. In Glasballons klärt sich der Most durch den Winter. Im Frühling wird er in Holzfässern mit Hefe versetzt. Aus dem Gemisch wird erst Alkohol und danach Essig. Nach mindestens zwölf Jahren ist er fertig und teuer. Der in Supermärkten verkaufte Aceto Balsamico ist meist gewöhnlicher Weinessig mit eingedicktem Traubenmost, karamelisiertem Zucker und anderen Zutaten.

Aber Essig entsteht nicht nur aus Trauben, sondern auch aus Malz, Bier, Kartoffeln, Molke, Honig oder Reis. Und Essig bietet noch mehr. Er kann zum Beispiel Akne, Hühneraugen, Krampfadern und Verbrennungen heilen.
Mehr Information über Herstellung, Geschmäcker und Anwendungen bietet «Das Buch vom guten Essig – Geschichte, Herstellung, Gesundheit, Rezepte» von Georg-Heinrich Wiedemann. Neu erschienen im Neue Erde Verlag.