Männerschuhe
Einige Jahre sind seither vergangen, doch wer gerade dort war, begegnet noch immer denselben Bildern. Als wir die Ankunftshalle in Hurghada verlassen, empfängt uns mit einem Schild in der Hand der ägyptische Reisebüroverantwortliche. Er ist zuvorkommend, freundlich, er spricht gut deutsch. Und er ist ein Mann. Auch der Chauffeur, der uns zum Hotel fährt, ist ein Mann. Der Türsteher ist ein Mann. Der zweite Türsteher ist ein Mann. Der Receptionist ist ein Mann. Der Manager des Hotels ist ein Mann. Der Kassier ist ein Mann. Zum Zimmer bringt uns ein Mann. Das Bett bereitet ein Mann.
Und eine Männerhand voller Feingefühl streut an den Abenden jeweils Blütenblätter aufs Bett.
Im Hotelrestaurant stehen Männer hinter dem Buffet. Männer decken die Tische. Männer servieren Getränke. Männer haben all diese Köstlichkeiten gekocht. Männer haben den Köchen geholfen. Männer räumen die Tische ab. Männer putzen die Hotelhalle. Männer giessen die Blumen im Park. Ein Mann gibt die Badetücher am Strand aus. Ein Mann bietet schöne bunte Halstücher an. Ein anderer bietet Massage an. Ein dritter, mit einem Kamel, will uns reiten lassen.
Die Herrentoilette betreut ein Mann. Die Damentoilette betreut ein Mann.
Wir treten auf die Strasse hinaus, schlendern an Läden und Ständen vorbei und begegnen - Männern. Männer verkaufen Kleider. Männer verkaufen Parfüm. Männer verkaufen Souvenirs. Männer fahren in Autos vorbei. Männer stehen herum. Männer sitzen in den Cafés. Männer sprechen uns an. Männer rufen uns nach. Sie beherrschen das Strassenbild wie eine Besatzerarmee. Waffen brauchen sie keine. Ihre Waffe ist ihre Selbstsicherheit. Und ihre Selbstsicherheit gründet in einer Ordnung, von der es heisst, sie sei göttlichen Ursprungs.
Zu den Gebetszeiten strömen die Gläubigen zur Moschee, ziehen am Eingang die Schuhe aus und beten im Innern des Gotteshauses zu ihrem Gott, der nur ihnen gehört. Draussen, in einem ungeordneten Haufen, warten die Schuhe auf ihre Besitzer.
Männerschuhe.
Natürlich gibt es in Hurghada auch Frauen. Es muss so sein. Weil es sonst die Männer nicht gäbe.
Menschen, die man nicht sehen soll
Es gibt die Frauen, man sieht sie sogar. Sie dürfen am Abend an der Seite der Männer spazieren gehen, Sie dürfen sich dabei um die Kinder kümmern, sie sitzen mit ihren Beschützern in den Cafés, sie betreten mit ihnen sogar die Geschäfte, fahren mit ihnen im Auto vorbei, sie dürfen die Welt betrachten – doch die Welt soll sie nicht betrachten.
Eigentlich sollen sie unsichtbar bleiben. Ihre Ehemänner verstecken sie hinter Kleidern und Schleiern, bedecken sie mit Hidschabs und Niqabs, bedecken die Haare, die Ohren, den Hals, den Ausschnitt, die Arme, die Beine, verhüllen die Frau, bis ihr Name verlöscht und niemand mehr weiss, wer sie ist. Sie ist einfach nur Frau, und würde man nicht ihre Hände sehen, die Knöchel der Füsse, das Oval des Gesichts – man würde denken, es gäbe sie nicht.
Doch der forschende, ungebrochene Blick ihrer schwarzumrandeten Augen ist nicht immer zu Boden gerichtet. Manchmal schauen uns diese Augen an und sie sagen: Wir möchten, dass ihr uns wahrnehmt. Wir möchten gesehen werden. Es gibt uns, und jede von uns hat einen Namen.
Ich bin diesen Frauen, die man nicht sehen soll, auch in unserem Land schon begegnet, ich kenne das Bild der Verschleierten und Verhüllten, und immer empfand ich dasselbe: Gewöhnen kann ich mich nicht daran.
Nun aber bin ich hier in Hurghada, mitten in der islamischen Welt, und meine Haltung müsste respektvoll sein. Andere Länder, andere Sitten, müsste ich denken – aber ich kann es nicht. Ich möchte den Frauen helfen, ihre Fesseln zu lösen, das Korsett ihrer Nonnengewänder zu sprengen. Sie sollen die Würde zurückerhalten, die ihren Körpern gebührt. Die Sonne soll ihre Haut erwärmen, und keine Scham, keine Sure aus dem Koran soll ihre Befreiung trüben.
Doch die Frauen wollen gar nicht gerettet werden. Auch der Gefangene sucht das Glück, und wenn er es findet, will er vergessen, dass er gefangen ist. Die Ägypterinnen promenieren mit ihren Männern an mir vorbei und lachen und scherzen und sind verliebt.
Sie sind so verliebt wie das arabische Paar im Hotel, das mir täglich begegnet. Ihre Hochzeitsreise hat sie nach Hurghada geführt, und ich begegne dem Paar jeden Tag am Strand des Hotels.
Sie kann nämlich schwimmen
Der junge Mann unterscheidet sich nicht von den anderen männlichen Gästen. Er trägt eine Badehose, sonst nichts, und sein sonnenverwöhnter Körper braucht die Konkurrenz nicht zu scheuen. Mit ihm spaziert seine Frau durch den Sand, und ich stelle mir vor, dass sie schön ist, schön wie ein Traum aus 1001 Nacht, denn die Öffnung ihres Gesichts erlaubt einen zaghaften Rückschluss auf ihr übriges Aussehen. Alles andere ist verbarrikadiert. Ein Keuschheitsgürtel umschliesst sie vom Kopf zu den Knöcheln, und den Schlüssel dazu trägt ihr Mann.
Umgeben ist die junge arabische Frau am Strand von all den anderen weiblichen Gästen, die aus der Freizügigkeit der Moderne kommen und ihre Reize mehr oder weniger vorteilhaft zu betonen wissen. In ihren Bikinis und Tangas gefallen sie nicht nur den Männern. Sie gefallen sich selbst. Sie lieben es, ihren Körper zu zeigen. Und sie lieben die Freiheit, entscheiden zu dürfen, wieviel von ihrem Körper sie zeigen möchten.
Inmitten von so viel bronzefarbener weiblicher Haut, bei 35 Grad orientalischer Hitze, erscheint die junge, rundum verhüllte Araberin mit ihrem bleichen Gesichtsoval wie eine Kranke, der es erlaubt ist, dass sie die Füsschen ins warme Meer eintauchen darf. Ihr Bräutigam führt sie zum Wasser heran und ermuntert sie, Schrittchen für Schrittchen, weiterzugehen. Er tut es behutsam und sehr galant, als würde er seiner geliebten Grossmutter noch ein letztes Bad im Roten Meer ermöglichen wollen. Doch die Grossmutter ist in Wirklichkeit seine Gattin, deren Vitalität in der Zwangsjacke ihrer Keuschheit so betäubt und gefesselt ist, dass sie sich fast nicht ins Wasser traut.
Ermutigend spricht ihr Mann auf sie ein, und sie wagt sich mit ihm so weit hinaus, bis ihr das Wasser zur Brust hinauf reicht. Nun steht sie im Meer, unbeholfen und lächerlich, in voller Bekleidung, wie europäische Damen vor hundert Jahren.
Ist ihr bewusst, wie das aussieht? Ich glaube, sie spürt es. Sie spürt das Gefängnis, in das sie gesperrt ist. Für einen kurzen Moment erlaubt sie sich den Gedanken, den sie nicht denken darf. Sie stellt sich vor, in einem Badeanzug hinauszuschwimmen, ins Meer hinaus. Sie kann nämlich schwimmen. Sie konnte es, als sie ein Mädchen war. Und sie möchte sich wieder so fühlen können wie damals.

Burkini – neben Bikini (Bild Netzfund)
Szenen in Hurghada Teil 2 folgt in einer Woche.
Kommentare
Hurghada
Hurghada ist eine künstliche Stadt, die für Touristen gebaut wurde. Auch mir ist aufgefallen, dass dort fast nur Männer arbeiten. Sie arbeiten dort und wohnen weit weg in Dörfer und kehren am Wochenende zur ihren Familien zurück. Für eine Frau wäre das in dieser Kultur und mit ihrer Aufgabe als Mutter schwierig vereinbar. Anders ist es in einer "richtigen" ägyptischen Stadt. Haben Sie schon mal Kairo besucht? Dort sieht man die Frauen überall.
Was Ihre Abneigung dem Hijab gegenüber betrifft. Es sind sehr subjektive Gefühle, die sie beschreiben, ehrlich und offen. Doch sie beruhen alleine auf Ihren Vorstellungen und wenn ich so sagen darf Vorurteilen. Aus Sicht der Frau kann das Tragen des Hijabs ganz anders sein. Ich selbst habe Hijab getragen. Ich fühlte mich sehr respektiert. Anders als die Frauen, die ihre Körperteile zur Schau stellen "müssen". Mir war es wohler bedeckt zu sein, als alle Einzelheiten meines Körpers jedem Fremden präsentieren zu müssen. Verhüllt fühlte ich mich freier als unverhüllt. Auch unsere Kultur kennt enge Grenzen. Die sind wir uns jedoch nicht bewusst ehe man sie nicht überschreitet.
Treten Sie mit den Menschen in Kontakt, lernen Sie ihre Sichtweisen kennen, unvoreingenommen und ohne Ihnen die Interpretation Ihrer Kultur überzustülpen.