Was «Schulausbildung» im tiefsten Sinn bedeutet, darüber hatte ich im entscheidungsrelevanten Alter unserer Kinder noch kein Bewusstsein. Dafür aber einen unbändigen Drang, die Vollkommenheit in unseren Kindern, so lange es geht, unangetastet zu wahren, koste es, was es wolle. Ein wohl ganz natürlicher Instinkt meldete sich, wo uns die Gesellschaft ungefragt ganz anders einspuren lässt.
Ich erinnere mich an den Orientierungsabend für Eltern, deren Kinder im folgenden Schuljahr den öffentlichen Kindergarten zu besuchen hätten. Mir war es sehr unangenehm, dort zu sitzen. In mir kam eine Unlust auf, meine Kinder durch eine Schulzeit zu begleiten, wie ich sie selbst erlebt hatte. Aber auch eine Unlust vor dieser anstehenden anstrengenden Aufgabe als Mutter, die heute die Dinge anders sieht als früher. Dazu kam die gefühlte Absurdität, «Schule» in unseren Alltag einzuführen, wo doch die Kinder auch ohne Schule bereits das Wesentliche und vielleicht Komplexeste mit Leichtigkeit auf eigene Faust und selbstbestimmt gelernt hatten: Gehen, Sprechen, Zählen und so vieles mehr. Nichts deutete darauf hin, dass dieses natürliche Lernen aufhören würde – und schon gar nicht ihre Motivation dazu.
Doch an diesem Orientierungsabend wurde mir das Gegenteil suggeriert. Mir wurde stolz angepriesen, dass jetzt schon im Kindergarten Hausaufgaben gegeben würden und wir unsere Kinder in besten Händen wüssten, da dort dafür gesorgt werde, dass sie früh genug genügend lernten.
Das nächste Zeitpunkt-Magazin hat das Thema Bildung - und erscheint im Oktober.
Ich ging mit einem sehr beklemmenden Gefühl nach Hause. In der Nacht lösten sich meine zurückgehaltenen Weinkrämpfe. Vielleicht wäre es anders gelaufen, hätte ich Kinder, die auch bei den bisherigen sozialen Gruppenangeboten ganz «normal» mitfunktionierten. Doch bei uns war irgendwie immer alles etwas anders. Vielleicht lag das an meiner Denkweise, die dem Mainstream schon länger nicht zu entsprechen schien.
Meine Kinder taten schon im Eltern-Kind-Turnen nicht einfach, was die andern machten. Sie setzten sich hin, schauten, staunten, wie ich als Mama alles mitmachte. Ohne meine Kinder. Das war ihre Art, und es gab daran auch nichts auszusetzen, bis ich dachte: Was, wenn meine Kinder dann einfach auch im Kindergarten nur zuschauen wollen? Werden sie auffallen? Zum Mitmachen gezwungen? Beschämt? Möglicherweise.
Und genau dieses Sie-nicht-sein-Lassen würde sie abwerten. «Eigenartig» wäre dann der Stempel, der sich in ihnen abbilden würde als «nicht gut genug» oder «nicht richtig». Das wollte ich nicht. Ihre Eigenart wollte ich schützen, und entsprechend war erst mal klar: Diesen Kindergarten lasse ich nicht an meine Kinder ran.
Die Suche nach Alternativen begann. Die Bildungsdoku «Alphabet – Angst oder Liebe», u.a. mit Gerald Hüther und André Stern, kam damals in die Kinos, und wir realisierten, dass es noch eine ganze Menge andere Eltern gibt, die das genauso sehen.
Meine Wahrnehmung erhielt bald ein Zuhause in den vielen Netzwerken anderer Eltern. Gespräche entstanden, Informationen fanden den Weg zu mir, die ich brauchte, um nicht zu resignieren, sondern den Weg auf eigene Art weiterzugehen. Ich konnte damals den Vater meiner Kinder davon überzeugen, diesen Weg mitzugehen.
Für ein Jahr waren die Kinder dann an der Rudolf-Steiner-Schule, dann kam der Wechsel in die Monterana-Schule nach Degersheim. Es war auch eine Korrektur meiner eigenen Bildungsgeschichte, indem ich meinen Kindern ermöglichen konnte, wonach ich mich selbst schon immer sehnte: in Ruhe gelassen werden in meinem natürlichen Lernen.
Heimat fand an dieser Schule nicht nur ich, sondern natürlich auch unsere Kinder. Hier durften sie sein, ohne sich falsch oder speziell fühlen zu müssen. Alle sind anders – und das ist «normal».
Heute kann ich auf zehn Jahre zurückblicken, in denen meine Kinder beschenkt wurden mit viel Zeit, um sich im Spiel und im Kontakt mit anderen erfahren, zu sich zu finden und daraus ihre Zukunft zu schöpfen. Es wurde auch den skeptischen Menschen in meinem Umfeld klar, wie die Schönheit dieser Eigenarten gerade die Qualitäten hervorhebt, die durch die «Normierung» untergehen – und dann bei Bewerbungen wieder vermisst werden. Wir mussten dafür tief in die Tasche greifen; aber es hat sich gelohnt. Leuchten in den Augen, aufrechter Gang, durchdrungen von Selbstwohlgefühl, Zugänglichkeit und mit Sozialkompetenzen, für die ich ihnen nicht alleine hätte Vorbild sein können: In vielen Bereichen sind sie gereifter als ihre Eltern. Das ist für mich eine echte transgenerationale Transformation, auf welche die Welt heute so dringend angewiesen ist.