Auf dem Flug ans WEF in Davos überfliegen die Armeehelikopter mit prominenter Fracht auch unser Dorf. Vor einigen Jahren musste ein Helikopter notlanden. Wahr oder nicht wahr? – Aus dem Podcast «Fünf Minuten» von Nicolas Lindt.

«Gross und fremd stand das defekte Fluggerät auf dem Feld.» / © Valair Helicopter Services

Jetzt fliegen sie wieder, die Militärhelikopter, die, vom Flughafen kommen und unser Dorf überqueren. Ihr Ziel ist Davos, das Forum der Mächtigen. Und jeder von ihnen enthält eine prominente, wenn auch nicht über alle Zweifel erhabene Fracht.

So war es auch vor einigen Jahren, an einem Januarmorgen wie heute. Ich lief mit dem Hund den Berg hinauf und sah schon von weitem einen Armeehelikopter, der offenbar notlanden musste. Als ich die Wiese oberhalb des Dorfes erreichte, war die Landung gerade geschehen, und die Rotoren kamen zum Stillstand. Neben der Scheune, die im Winter den Schafen gehört, stand das Grüpplein der Passagiere. Ich sah den Piloten, zwei Herren in dunklen Anzügen – und ich sah die Frau. Die Männer waren bereits mit ihren Handys beschäftigt, während die Dame auf dem hartgefrorenen Schnee ein paar zögernde Schritte tat.

Als ich mit dem Hund näher kam, erkannte ich, dass es sich bei der Dame, die sich da etwas ratlos die Füsse vertrat, um niemand anderen handeln konnte als um die mächtigste Frau Deutschlands. Es war sie tatsächlich. Die Merkel. Angela Merkel. Doch ihre Durchhalteparole «Wir schaffen das» liess ihr späteres Scheitern bereits erahnen – zumindest an diesem Januartag auf der Wiese zwischen der Stadt und den Bergen: Angela Merkels Flug nach Davos war definitiv unterbrochen.

Gross und fremd stand das Fluggerät, das offensichtlich defekt war, auf dem Feld neben der Strasse. Die Männer telefonierten hektisch und laut, als könnten sie damit die Behebung der Panne beschleunigen. Doch die Frau Bundeskanzlerin wirkte ein wenig unschlüssig. Sie konnte nichts tun ausser warten.

Jetzt bemerkte sie mich. Auch die Männer blickten nicht ohne Argwohn zu mir herüber, schienen dann aber zum Schluss zu kommen, dass ein terroristischer Anschlag nicht zu befürchten sei. Sie setzten ihre Telefonate fort.

«Guten Morgen Frau Bundeskanzler», sagte ich höflich und näherte mich der Dame mit der gebotenen Achtung. «Kann ich helfen?» Der Tank habe ein Leck, erklärte mir die Frau Bundeskanzler. Deshalb hätten sie landen müssen. Sie verriet mir den Grund der Panne, obwohl der Spaziergänger, der ich war, diesen Grund nicht zu kennen brauchte. Doch sie nahm keine protokollarischen Rücksichten. Vielmehr zeigte sie sich erleichtert, dass die unerwartete Landung ohne Probleme verlaufen war.

Der Pilot forderte einen Ersatzhelikopter an, die Herren in Schwarz meldeten die Verspätung nach Berlin und Davos – ihre Arbeitgeberin jedoch hatte Zeit. Ich wechselte ein paar Worte mit ihr, und sie schien nichts dagegen zu haben. Sie war erstaunlicherweise sogar bereit, weil sie fror, ein paar Schritte mit mir zu gehen. Ich führte sie den Hügel hinauf und zeigte ihr den See und die Alpen. Die Bundeskanzlerin hatte Pause. Keine Termine, keine Dossiers verstellten die Sicht. Ich hatte den Eindruck, es gefiel ihr mit mir. Ich war kein Staatsmann, kein Offizieller, einfach nur ein Mensch mit Hund. Auch der Hund gefiel ihr. Sie streichelte ihn sogar.

Als ich erwähnte, wir hätten den gleichen Jahrgang, war dies eine Gemeinsamkeit, die uns vergessen liess, was uns trennte und unterschied. Wir tauschten ein Lächeln, und da sich die Oberländer gewohnt sind, die Höflichkeitsform beiseite zu lassen, fehlte nicht viel, und ich hätte ihr zum Abschied meinen Vornamen angeboten. «Angela», hätte sie dann geantwortet, und wir hätten einander die Hand gereicht.

Dann wünschte ich Glück für den Weiterflug und setzte meinen Weg fort. Ich wollte nicht aufdringlich sein und der Merkel nicht den Eindruck vermitteln, mich am Glanz ihrer Prominenz erlaben zu wollen. Minuten später hörte ich es schon knattern, und der bestellte Ersatzhelikopter erschien in der Ferne. Ich hätte unserem Regionalblatt die exklusive Panne verraten können, dann hätte das Blatt einen Primeur gehabt. Aber ich behielt die Geschichte für mich, auch danach. Irgendwie gehörte sie nicht an die Öffentlichkeit.

Nur uns beiden gehört sie. Angela und mir.

 

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17. Januar 2024
von:

Über

Nicolas Lindt

Submitted by admin on Di, 11/17/2020 - 00:36

 

Nicolas Lindt (*1954) war Musikjournalist, Tagesschau-Reporter und Gerichtskolumnist, bevor er in seinen Büchern wahre Geschichten zu erzählen begann. In seinem zweiten Beruf gestaltet er freie Trauungen, Taufen und Abdankungen. Der Autor lebt mit seiner Familie in Wald und in Segnas.

Soeben erschienen: «Heiraten im Namen der Liebe» - Hochzeit, freie Trauung und Taufe: 121 Fragen und Antworten - Ein Ratgeber und ein Buch über die Liebe - 412 Seiten, gebunden - Erhältlich in jeder Buchhandlung auf Bestellung oder online bei Ex LibrisOrell Füssli oder auch Amazon - Informationen zum Buch

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