Das Patriarchat – ein Bruchstück verliess das Ganze

Angeregt durch das Zeitpunkt-Podcast (s.u.) mit Gandalf Lipinski und Christa Dregger entstand dieser Essay zur Wirkungsweise und zur Heilung des Patriarchats

Black Magic
Matriarchate Assoziation an einer Hauswand der Karibik. Foto: Creative Commons

Als wir den Film «Wo die freien Frauen wohnen» (1) zum ersten Mal sahen, sagte Kalla, mein Lebenspartner, spontan: «In meinem nächsten Leben will ich im Matriarchat geboren werden. Diesen Männern geht es ja richtig gut! Sie lachen viel, stehen da im Wohnzimmer mit der Kippe im Mund, sind frech, vorlaut, verspielt und lustig.»

Tja, dachte ich, woher kommt denn eigentlich das Vorurteil: «Im Matriarchat herrschen die Frauen und bedrohen die Freiheit aller Männer?» Wenn du heute sagst, es ist immens wichtig, das Matriarchat in seinem Wesen zu erkennen und wieder einzuführen, wirst du belächelt: «Ja, ja, das ist mal wieder so ein Frauenthema.» Vielleicht ist es mittlerweile auch rechts. Woher stammen diese unreflektierten Vorurteile? Ganz sicher nicht von uns Frauen!

Paranoide Angst vor der Rückkehr der Frauen prägt das Handeln mächtiger Männerbünde von Anbeginn des Patriarchats bis heute. Im 3. Jh. v.u.Z. sprach Cato vor dem Senat folgende Worte: «Erinnert euch all der Gesetze, mit denen unsere Vorfahren die Freiheit der Frauen gebunden, durch die sie die Weiber der Macht der Männer gebeugt haben ... sobald sie uns gleichgestellt sind, sind sie uns überlegen.» (2)

Weder Männer, noch Frauen, noch andere Geschlechter, weder Tiere, noch Pflanzen, weder die Natur noch die Erde in ihren inneren und atmosphärischen Schichten sind glücklich über das Patriarchat. Es ist eine Jahrtausende alte, auf einer kleinen Elite und einem despotischen HERRgott beruhende, militante Gesellschaftsform, deren irdische Elite aus wenigen Männern besteht. Patriarchale Frauen tragen Alibifunktion. Eingesetzt in hohen Ämtern, setzen sie widerspruchslos die Wünsche der Herren um. Sollte alles zu Bruch gehen, wird wieder einmal bewiesen sein, dass Frauen in Führungspositionen nichts taugen und Männer das auserwählte Geschlecht sind.

Wer sind diese Männer? Der Philosoph Otfried Eberz (1878-1958) beschrieb sie in seinem Werk Sophia und Logos – oder die Philosophie der Wiederherstellung (3) als hoministische Männerbünde (4) und nannte ihre Haltung Unio agnostica (5), die Einheit von allem nicht-erkennend. Diese Männerbünde lösten einst eine gynäkokratische Ära der Unio gnostica (die Einheit von allem erkennend) ab und beherrschen seitdem unseren Äon. Alle hoministischen Männerbünde fürchten nichts mehr, als die zurückkehrende matriarchale oder gynäkokratische Erkenntniskraft der Unio gnostica, der Erkenntnis, dass alles mit allem verbunden ist. Diese zurückkehrende Erkenntnis – und sie ist eindeutig am Ankommen – wird das Unio-agnostische Weltbild, in dem alles getrennt voneinander zu betrachten ist, als erkenntnislos entlarven.

Bis heute gibt es in entlegenen Gebieten unserer Erde matriarchal lebende Menschengruppen. Sie haben ihre uralten Weisheiten bewahrt, ehren in allem die Große Mutter allen Lebens und verfügen weder über Militär, noch über einen Erzwingungstab im wirtschaftlichen Alltag, in der Religion und in ihren Bildungseinrichtungen. Matriarchale Menschen führen keine Kriege. Wurden sie angegriffen, flohen sie in entlegene Gebiete. Wurde es wieder friedlich, kamen sie zurück, um zu verhandeln. Matriarchalen Menschen ist ein Weltbild, in dem Erde und Kosmos als lebendige Einheit betrachtet werden, zutiefst vertraut.

Wie konnte es zu so einer Schieflage in unserer Menschengesellschaft kommen und warum wird das Matriarchat gerne als Frauenherrschaft verteufelt, während dem Patriarchat als Männerherrschaft kaum Kritik entgegengebracht wird? Im Folgenden werde ich lediglich die Begriffe klären, die den Paradigmen, die das soziale Zusammenleben prägen, zugrunde liegen.

Eine Elite mit Vasallen und Untergebenen kennen matriarchale Menschen nicht.

Was bedeutet der Begriff Patriarchat? Er wird landläufig mit «Herrschaft des Vaters» gleichgesetzt. Demnach wäre Matriarchat die «Herrschaft der Mutter», ein Archetyp wäre ein «Herrschaftstyp» und eine Arche Noah wäre das «Herrschaftsgebiet des Noah» und kein schützendes Schiff. Den Begriff Hierarchie müssten wir folglich mit «Herrschaft des Heiligen» (hierós = heilig) gleichsetzen, was auf patriarchale Machtreligionen sogar zutrifft, nicht jedoch auf indigene spirituelle Kulturen.

Árchein (griech.) bedeutet Ursprung, Quelle und Ordnung. Erst in späteren Zeiten wird aus der ursprünglichen Ordnung eine Herrschaft. Daraus folgt: Das Patriarchat ist die väterliche Ordnung, das Matriarchat die mütterliche Ordnung. Hierarchie bedeutet Heilige Ordnung, Archetyp ist ein Ordnungsprinzip und die Arche war eine Ordnung, durch die Leben gerettet wurde.Frauenstatuetten

Um die tief verankerte und sehr missverständliche Konnotation des Begriffs Matriarchat zu vermeiden, habe ich mich für diesen Artikel entschieden, statt Matriarchat Matriarchie zu schreiben. Die mütterliche Ordnung bleibt bestehen. Den Begriff Patriarchat ändere ich nicht, diesen Namen gaben sich die stolzen Männerbünde selbst.

Was macht nun den Unterschied zwischen Patriarchat und Matriarchie aus? Das Patriarchat hat eine lineare oder pyramidale Hierarchie, ein Ordnungsprinzip, in dem ein Mann, ein Patron, Patriarch oder Vater an der Spitze steht, umgeben von seinen Vasallen, der (von Gott) auserwählten Elite, und deren Schergen, die ihre Befehle ausführen. Im mittleren Bereich finden sich die Zuarbeiter*innen dieser Elite, z.B. die CEOs, Bänker und Unternehmer. Die Basis bilden diejenigen, die das Ganze durch den Einsatz ihrer Lebenszeit bedienen und im Carebereich versorgen. Auch alle Arbeiten rund um die Versorgung von schwangeren und jungen Müttern, Kindern, Alten und Kranken gehören in diesen unteren Bereich.

Daraus folgt: Die Unteren finanzieren alles durch ihre (Versorgungs-)Arbeit, die Oberen geben es aus. Sie versprühen es so, dass einige Tropfen bei den Unteren landen, die dann glauben, sie würden die Sprossen emporsteigen. Doch diese Sprossen sind morsch oder manipuliert. Sie krachen immer wieder ein. Eine Elite wird ihren Vorzugsplatz niemals räumen, es sei denn, die Basis tanzt aus der Reihe und die Spitze bricht ein. Dieses allseits bekannte Bild zeigt: Das patriarchale System ist nicht lebensfähig! Es hat stark lebenszersetzende Elemente. Diese werden schlussendlich das Leben einfrieren.

Was macht die Matriarchie aus? Die mütterliche Ordnung ist ein lebensförderndes System. Sie hat eine natürliche, kugel- oder kreisförmige Hierarchie. Diese wahrhaftig Heilige Ordnung sorgt dafür, dass der Kern, oder auch viele Samen, geschützt in der Mitte der Gesellschaft liegen, wie bei einer Frucht. Dieser Kern birgt und nährt die Saat für die nächsten Generationen. Der gesamte Carebereich liegt im Herzen des matriarchalen Systems. Alte werden geehrt, Schwache, Bedürftige, Kranke sowie Schwangere, junge Mütter und menstruierende Frauen werden liebevoll umsorgt. Eine Elite mit Vasallen und Untergebenen kennen matriarchale Menschen nicht. Sie kennen Aufgabenverteilungen, für bestimmte Funktionen ist jemand verantwortlich, der oder die sehr geehrt wird, doch auch eine Matriarche sitzt niemals auf einem Thron, kehrt genauso wie alle anderen den Hof, macht den Abwasch, nimmt die Hühner aus und dient dem alltäglichen Wohlergehen aller.

Was bewirkte die Wandlung hin zum Patriarchat?

Auf Grund von irgendetwas – darüber kann gestritten werden – brach irgendwann aus diesem kreis- oder kugelförmigen sozialen Laib ein Stück heraus, bildlich vergleichbar mit einem Kuchen- oder Käsestück. Dieses Bruchstück in Form eines Dreiecks oder einer Pyramide nahm in seiner Spitze die Lebensinformation, einen Teil der Samen, mit. Deshalb blieb das Bruchstück überlebensfähig.

Da jedoch eine schwangere, junge Mutter niemals an der Spitze einer Herrschaftspyramide stehen und zugleich ihren Kindern eine gute Mutter sein kann, wurde diese Spitze schnell von der männlichen Energie besetzt. Vorstellbar ist eine Naturkatastrophe: Männer übernehmen die Aufgabe, den Stamm in Sicherheit zu bringen, was auch Sinn macht. Doch leider setzte sich diese männliche Energie wie ein Schmarotzer dort oben fest, da der Frauenverbund an Kraft verloren hatte. Seitdem sorgen die hoministischen Männerbünde dafür, dass sich das «herausgebrochene Stück» immer weiter vom Mutterschiff entfernte, anstatt es zurückzusteuern. Vielleicht lagen dem kosmische oder irdische Ursachen zugrunde. Dazu gibt es mehrere interessante Abhandlungen.

Fakt ist: Es etablierte sich eine Männerhierarchie, die dazu neigt, größenwahnsinnige Welteroberungsprojekte anzustoßen. Mythisch begann es für uns Weißen im Paradies, im ehemaligen persischen Garten Heden, dem Garten der Freude, dem ersten aller Gärten, wo sich laut alter persischer Texte das erste Menschenpaar vereinte. Der neue Gott, der HERR, verstieß die Liebenden aus ihrem Garten, der seitdem der seine ist. Dazu nutzte er eine primitive Lüge: Er erklärte die Urmutter allen Lebens, Eva (JHWH=Jehwah, Chewwah), zur Sünderin und damit all ihre Nachkommen auch. Dann nahm der HERR den Menschen jeglichen inneren Erkenntnisreichtum, zerstörte die Fruchtbarkeit ihres Landes und verstieß das Paar in Armut und Mangel.

Herrschaft braucht immer Rechtfertigung, weil sie unnatürlich ist.

Der HERR verbannte mit der Schlange die wandelnde Weisheit der Natur, stellte bestochene Wachen an den Paradiestoren auf (ehemalige Sonnen- und Mondpriester) und schleuderte den Verbannten so lange Flüche und Bannsprüche hinterher, bis beinahe die ganze Menschheit gedemütigt zu den Füßen des HERRN kroch, um sich ihm zu unterwerfen. Diese mehr Wahnsinn als Größe zeigende Unterwerfungsgebaren wirken bis heute. Wir konnten es in den letzten drei Jahren sehr plakativ beobachten.

«Herrschaft braucht immer Rechtfertigung, weil sie unnatürlich ist», sagte Claudia von Werlhof einmal in einem Interview. Daraus folgt: Gewalt, Rache oder Krieg ist kein Weg! Das wissen matriarchale Menschen genau! Keine matriarchale Clanfamilie wird von einem – oder vielen – kriegstraumatisierten Mann beherrscht, der immer stark sein muss, nachts schweißgebadet und schreiend aufwacht, ins Kinderzimmer läuft und dort die Kleinen verprügelt – und die sich schützend über sie werfende Ehefrau gleich mit. So ein Verhalten ist matriarchalen Menschen unvorstellbar – und sollte es für uns auch wieder werden.

Lassen wir das lebenszersetzende, patriarchale System endgültig zurück! Wir brauchen dieses Herrschaftsrechtfertigungsgebaren nicht! Durch die Klärung der beiden Begriffe Patriarchat und Matriarchie erkennen wir, dass ein mütterliches Ordnungsprinzip immer auf Fürsorge basiert und folglich eine lebensfördernde Systemik in sich trägt, die sich stets an den Gesetzen der Natur orientiert. Folgen wir diesem Prinzip, dann sind wir in der Lage, die Zersetzung als einen notwendigen, feurigen Prozess zu betrachten, damit der verkarstete Mutterboden (in jedem Einzelnen von uns!) wieder zu Humus, zu einem Boden der Erkenntnis werden kann. Viele lebensfähige Neuansätze können so geboren werden. Gewinnt die Matriarchie in uns erneut an Kraft, werden wir in spielerischer Leichtigkeit die derzeit geltenden patriarchalen Paradigmen vom Kopf wieder auf die Füße stellen.

Mit Hilfe matriarchaler Erfahrungen können wir es schaffen, unser «Schiff» wieder in den mütterlichen Hafen zu steuern und das Zerbrochene zu heilen. Es wird dauern, doch gemeinsam können wir den hoministischen Männerbünden den Nährboden entziehen, denn auch sie sind Menschen. Erinnern wir uns an das zerbrochene mütterliche Ordnungsprinzip, das einst im Einklang mit Kosmos und Erde kugelrund gewesen ist und dann ein Bruchstück verlor. Fügen wir es dort wieder ein! Schließen wir die Bruchstellen und vergolden wir sie, damit das Erfahrene stets in unserer Erinnerung bleibt. Unsere sozialen Denkstrukturen werden sich verändern.


Birgit Weidmann ist Projektkünstlerin und Autorin

Bücher von Birgit Weidmann

Youtube-Film zum Thema: https://youtu.be/NOSXuJyWTNY

 

Quellen:

(1) Uschi Madeisky, Dagmar Margotsdotter, Daniela Parr, «Wo die freien Frauen wohnen - Vom Matriarchat der Mosuo»

(2) Richard Fester, Marie König, Doris Jonas, Weib und Macht, Fünf Millionen Jahre Urgeschichte der Frau, Frankfurt a. Main 1982, S. 8

(3) Otfried Eberts Sophia und Logos oder die Philosophie der Wiederherstellung

(4) Hominidae, eingedeutscht Hominiden sind Menschenaffen; hoministische Männerbünde = Männerbünde, die sich affenähnlich verhalten. (Aus meiner Sicht eine Beleidigung für alle Menschenaffen. Gemeint ist wohl das auffallend starke Imponiergehabe dieser Männer.)

(5) Unio = Einheit, Eins; Sein / agnostica = fehlende Erkenntnis, Unwissenheit / Gnosis = (Lehre der ) Erkenntnis


Siehe auch im Zeitpunkt:

«Männer für‘s Matriarchat» – eine neue Initiative

Kommentare

mütterwelt

von diegedankens

vor vielen jahren, der feminismus erblühte auch in der schweiz, stiess ich auf bachofner und seiner theorie des matriarchats. zur selben zeit erschien das buch von ernst bornemann: 

Bornemann ließ sich 1970 auf Dauer in Scharten in Oberösterreich nieder. Hier schrieb er sein Hauptwerk Das Patriarchat. Ursprung und Zukunft unseres Gesellschaftssystems, eine umfangreiche Studie, die er selbst als „Das Kapital“ der Frauenbewegung bezeichnete. Mit ihr wurde er 1976 an der Universität Bremenbei Gerhard Vinnaipromoviert. (wikipedia)

Johann Jakob Bachofen

Johann Jakob Bachofen (* 22. Dezember 1815 in Basel; † 25. November 1887 ebenda) war ein Schweizer Rechtshistoriker, Altertumsforscher und Anthropologe, dessen Werk Das Mutterrecht als Ursprung moderner Theorien zum Matriarchat gilt.