Drittgrößter Zulieferer für Morde

Der Liedermacher Konstantin Wecker ("Genug ist nicht genug") kommentiert den Anstieg der Rüstungsexporte Deutschlands, auf den manche auch noch stolz sind. Der Beitrag enthält auch ein aufrüttelndes Gedicht von Wolfgang Borchert.

"Das nennt man eine Erfolgsbilanz: Die deutschen Rüstungsexporte sind in den vergangenen fünf Jahren um 70 Prozent gestiegen. Das "Stockholm International Peace Research Institute" erfasst dabei auch den Handel mit gebrauchter Militärausrüstung und andere Formen von Militärhilfen, die in Statistiken der Bundesregierung gern vergessen werden. Offizielle Berliner Daten beschränken sich ohnehin auf "Kriegswaffen" im engsten Sinne, während andere Staaten den Export von Rüstungsgütern breiter definieren. Der Gesamtwert der Lieferungen wurde von SIPRI auf 11,5 Milliarden Dollar (8,7 Mrd. Euro) beziffert. Damit konnte die Bundesrepublik ihren Weltmarktanteil am Handel mit konventionellen Waffen von sieben auf zehn Prozent steigern. Nur noch die USA mit einem Anteil von 31 und Russland mit 25 Prozent liegen vor den deutschen Rüstungsschmieden. Bei den Importeuren steht China mit elf Prozent zwischen 2004 und 2008 an der Spitze, gefolgt von Indien mit sieben Prozent.
Weltweit stieg der Waffentransfer gegenüber dem Zeitraum 1998 bis 2003 um 21 Prozent. Vor allem Richtung Nahost sind die Zuwachsraten überdurchschnittlich hoch. 38 Prozent mehr Kriegsgüter wurden dorthin exportiert. Hauptabnehmer waren die Vereinigten Arabischen Emirate, inzwischen weltweit drittgrößter Importeur "herkömmlicher" Waffen, Israel und Ägypten. Erst vor wenigen Wochen wurde ein Antrag auf den Stopp deutscher Rüstungsexporte in den Nahen Osten durch den Bundestag abgelehnt. Und das, obwohl die Exportrichtlinien der Bundesregierung Waffenlieferungen in Krisenregionen und an Staaten, die für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich zeichnen, eigentlich verbieten."
Das stand gestern im Neuen Deutschland und ist - soweit ich informiert bin - wieder mal in dieser Deutlichkeit in keiner anderen Tageszeitung zu lesen. Ihr könnt den ganzen Artikel auch auf "Hinter den Schlagzeilen" lesen, wo wir uns bemühen eben genau die Informationen an den Leser zu bringen, die er im bürgerlichen Blätterwald nicht finden kann. Denn alle profitieren irgendwie indirekt von diesem mörderischen Exportschlager und keiner will die Hand beissen, die ihn füttert.
Wie gewissenlos muss man sein, um zu verdrängen, dass mit diesen Waffen unendliches Leid in den Krisengebieten verursacht wird, Kinder zerfetzt werden, hemmungslos gemordet wird (denn im Krieg wird jeder hemmungslos) und dass man sich mit diesen Geschäften zum Mittäter macht?
Wie geldgeil muss man sein um diese widerlichen Transaktionen noch als humanitäre Notwendigkeit zu verkaufen? Wie weit geht die Fähigkeit zur Selbstlüge, wenns um den Schutz der eigenen materiellen Pfründe geht?
Ihr alle kennt wahrscheinlich Wolfgang Borcherts Gedicht "Sage Nein", das er noch unter dem Eindruck der entsetzlichen Gräuel des zweiten Weltkriegs geschrieben hat.
Es gibt kaum einen Vortrag, an dessen Ende der Pazifist Eugen Drewermann dieses Gedicht nicht zitiert und man müsste es jeden Morgen als Feierstunde im deutschen Bundestag verlesen und den Kriegsgewinnlern um die Ohren schlagen!
Ich kann keine Politikerin und keinen Politiker mehr wählen, der sich nicht lautstark von diesen unanständigen Geschäften distanziert: keine Stimme für die Händler des Todes!
Wolfgang Borchert:
Dann gibt es nur eins!
Du. Mann an der Maschine und Mann in der Werkstatt. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keine Wasserrohre und keine Kochtöpfe mehr machen - sondern Stahlhelme und Maschinengewehre. dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Mädchen hinterm Ladentisch und Mädchen im Büro. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst Granaten füllen und Zielfernrohre für Scharfschützengewehre montieren, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Besitzer der Fabrik. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst statt Puder und Kakao Schießpulver verkaufen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Forscher im Laboratorium. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst einen neuen Tod erfinden gegen das alte Leben, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Dichter in deiner Stube. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keine Liebeslieder, du sollst Haßlieder singen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Arzt am Krankenbett. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst die Männer kriegstauglich schreiben, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Pfarrer auf der Kanzel. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst den Mord segnen und den Krieg heilig sprechen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Kapitän auf dem Dampfer. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keinen Weizen mehr fahren - sondern Kanonen und Panzer, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Pilot auf dem Flugfeld. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst Bomben und Phosphor über die Städte tragen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Schneider auf deinem Brett. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst Uniformen zuschneiden, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Richter im Talar. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst zum Kriegsgericht gehen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Mann auf dem Bahnhof. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst das Signal zur Abfahrt geben für den Munitionszug und für den Truppentransport, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Mann auf dem Dorf und Mann in der Stadt. Wenn sie morgen kommen und dir den Gestellungsbefehl bringen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Mutter in der Normandie und Mutter in der Ukraine, du, Mutter in Frisko und London, du, am Hoangho und am Mississippi, du, Mutter in Neapel und Hamburg und Kairo und Oslo - Mütter in allen Erdteilen, Mütter in der Welt, wenn sie morgen befehlen, ihr sollt Kinder gebären, Krankenschwestern für Kriegslazarette und neue Soldaten für neue Schlachten, Mütter in der Welt, dann gibt es nur eins:
Sagt NEIN! Mütter, sagt NEIN!
Denn wenn ihr nicht NEIN sagt, wenn IHR nicht nein sagt, Mütter, dann:
dann:
In den lärmenden dampfdunstigen Hafenstädten werden die großen Schiffe stöhnend verstummen und wie titanische Mammutkadaver wasserleichig träge gegen die toten vereinsamten Kaimauern schwanken, algen-, tang- und muschelüberwest den früher so schimmernden dröhnenden Leib, friedhöflich fischfaulig duftend, mürbe, siech, gestorben -
die Straßenbahnen werden wie sinnlose glanzlose glasäugige Käfige blöde verbeult und abgeblättert neben den verwirrten Stahlskeletten der Drähte und Gleise liegen, hinter morschen dachdurchlöcherten Schuppen, in verlorenen kraterzerrissenen Straßen -
eine schlammgraue dickbreiige bleierne Stille wird sich heranwälzen, gefräßig, wachsend, wird anwachsen in den Schulen und Universitäten und Schauspielhäusern, auf Sport- und Kinderspielplätzen, grausig und gierig, unaufhaltsam - der sonnige saftige Wein wird an den verfallenen Hängen verfaulen, der Reis wird in der verdorrten Erde vertrocknen, die Kartoffel wird auf den brachliegenden Äckern erfrieren und die Kühe werden ihre totsteifen Beine wie umgekippte Melkschemel in den Himmel strecken -
in den Instituten werden die genialen Erfindungen der großen Ärzte sauer werden, verrotten, pilzig verschimmeln -
in den Küchen, Kammern und Kellern, in den Kühlhäusern und Speichern werden die letzten Säcke Mehl, die letzten Gläser Erdbeeren, Kürbis und Kirschsaft verkommen - das Brot unter den umgestürzten Tischen und auf zersplitterten Tellern wird grün werden und die ausgelaufene Butter wird stinken wie Schmierseife, das Korn auf den Feldern wird neben verrosteten Pflügen hingesunken sein wie ein erschlagenes Heer und die qualmenden Ziegelschornsteine, die Essen und die Schlote der stampfenden Fabriken werden, vom ewigen Gras zugedeckt, zerbröckeln, dann wird der letzte Mensch, mit zerfetzten Gedärmen und verpesteter Lunge, antwortlos und einsam unter der giftig glühenden Sonne und unter wankenden Gestirnen umherirren, einsam zwischen den unübersehbaren Massengräbern und den kalten Götzen der gigantischen betonklotzigen verödeten Städte, der letzte Mensch, dürr, wahnsinnig, lästernd, klagend - und seine furchtbare Klage: WARUM? wird ungehört in der Steppe verrinnen, durch die geborstenen Ruinen wehen, versickern im Schutt der Kirchen, gegen Hochbunker klatschen, in Blutlachen fallen, ungehört, antwortlos, letzter Tierschrei des letzten Tieres Mensch - all dieses wird eintreffen, morgen, morgen vielleicht, vielleicht heute nacht schon, vielleicht heute nacht, wenn ihr nicht NEIN sagt.
01. Mai 2009
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