Heute anders #3: «Die Leier entführt mich in eine Welt der Träume»

Zeitpunkt-Leserin Petra Seitz hat letztes Jahr ein Instrument entdeckt, das sie aus dem Alltag entführt und sie daran erinnert, dass Träumen erlaubt und wunderschön ist. Die Leier hat ihre Tage, Abende und Nächte verändert.

© Petra Seitz

Ich habe mir während der Coronazeit mehrere neue Musikinstrumente angeschafft – gebraucht, von Ricardo und tutti, sie waren also nicht teuer. Besonders die Leier hat meine Tage, Abende und sogar Nächte verändert, weil man sie zur jeden Tages- und Nachtzeit spielen kann, auch dann, wenn man todmüde ist. Und man muss nicht einmal Noten lesen können oder besonders musikalisch sein. Eine Leier ist eine Art Miniharfe, und meine hat fast 40 Saiten. Sie zu spielen ist nicht anstrengend, es geht sogar sitzend im Bett.

Die Leier ist leise. Ich habe mich immer noch nicht richtig daran gewöhnt, dass ich eine habe, doch am Abend kommt mir manchmal plötzlich in den Sinn:  Oh, ich habe ja heute noch gar nicht gespielt! Ich versuche, alle Melodien zu spielen, die ich aus meiner Kindheit kenne. Ich glaube, es sind hunderte! Schlaflieder von damals, Schullieder, Kinderchorlieder, Lieder aus der pädagogischen Ausbildung, Lieder vom damaligen Männerchor meines Vaters … Wenn ich sie spiele, zieht mein ganzes Leben an mir vorüber.

Ich schaue beim Spielen oft aus dem Fenster, ganz gedankenverloren. Dies bringt mich in einen Zustand, den ich sonst selten erlebe, eine träumerische, überweltliche Stimmung, die sonst nur eintritt, wenn ich ein Gedicht aus früheren Zeiten lese oder ein altes Gemälde anschaue. Aus einer Zeit, in der die Welt noch in Ordnung zu sein schien. Als man noch Zeit hatte, die Schönheit der Welt zu erleben oder auf Papier zu bringen.

Meine Leier ist ein Symbol dafür, dass Träumen erlaubt und wunderschön ist. Ein Symbol für Harmonie – so fundamental anders als alles, was wir im Moment im Zusammenhang mit Corona erleben.