2020: der wahre Grund der hohen Sterblichkeit

2020 war ein Jahr mit hoher Sterblichkeit, die höchste seit 2003. Aber der wichtigste Grund war die Zunahme der älteren Bevölkerung, + 37 Prozent bei den über 90Jährigen, + 30 Prozent bei der Altersgruppe 70 bis 79 Jahre. In allen Altersklassen war die Sterblichkeit 2012 höher als 2020. Dies zeigt die nachstehende Analyse, die Fabien Balli für das alternative westschweizer Nachrichtenportal «bon pour la tête» erstellt hat.

(Foto: Daan Stevens / unsplash.com)

Das neue Jahr ruft nach einem neuen Blick auf die Sterblichkeit im Jahr 2020. Wir präsentieren hier eine Analyse der Sterberate der Schweiz nach den verschiedenen Altersgruppen der Bevölkerung. Die Ergebnisse überraschen, denn sie weisen beträchtlich von den Kurven und Vergleichen ab, die im vergangenen Jahr üblicherweise auf den Titelseiten der Medien präsentiert wurden. Sehen wir diese Zahlen und Interpretationen morgen in unseren traditionellen Medien?

Rohe Sterbeziffer

Das Jahr 2020 zeichnet sich durch eine Zunahme der rohen Sterbeziffer im Vergleich zu den Vorjahren aus. Gemäss der letzten Schätzung beläuft sich diese im vergangenen Jahr auf rund 8,54 Todesfälle pro 1000 Einwohnerinnen und Einwohner. Im Vergleich zu 2019 entspricht dies einer Zunahme der Anzahl Todesfälle um 640 Todesfälle pro Million Einwohnerinnen und Einwohner.
Man muss etwa bis zum Jahr 2003 zurückgehen, um eine solche Sterberate zu finden. Seither trugen die medizinisch-technischen Fortschritte und die Frühdiagnosen zweifellos zum Rückgang der Sterberate bei.

 

Abbildung 1: Rohe Sterbeziffer in der Schweiz seit 1950
Quelle: (BFS) 5.1.2021, Bevölkerungsdaten 1950–2019, Sterberate 2020, Demografie 2020

Die beiden epidemischen Sars-Cov2-Wellen haben mit Sicherheit zum Anstieg der Sterberate beigetragen. Aber war diese Epidemie der einzige Grund?

Sterberate nach Altersgruppe

Für die Berechnung der Sterberate nach Altersgruppe sind die Anzahl Todesfälle nach Altersgruppe (Tabelle 1) und die Bevölkerung nach Altersgruppe (Tabelle 2) erforderlich. Anhand des Verhältnisses dieser Daten kann die Sterberate nach Altersgruppe, als Anzahl Todesfälle pro 1000 Einwohnerinnen und Einwohner, ausgedrückt werden. Diese ist in der Tabelle 3 und der Abbildung 2 dargestellt.

Tabelle 1: Anzahl Todesfälle in der Schweiz nach Altersgruppe, 2010–2020, und Anteil an den Todesfällen, 2020

Datenquelle BFS 7.1.2021, Todesfälle 2020 und Todesfälle 2010–2019


Tabelle 2: Schweizer Bevölkerung nach Altersgruppe 2010 und 2020 und Gesamtveränderung

Datenquelle BFS 7.1.2021, Bevölkerung am 1. Januar

Tabelle 3: Sterberaten in der Schweiz nach Altersgruppe, 2010–2020, und Rangliste der Sterberaten, 2020

Quelle: berechnet gemäss den Daten der Tabellen 1 und 2, auf der Grundlage der Daten des BFS vom 7.1.2021

 

Abbildung 2: Sterberate in der Schweiz nach Altersgruppe, 2010–2020
Quelle: Daten der Tabelle 3, auf der Grundlage der Zahlen des BFS vom 7.1.2021

 

Bemerkungen und Diskussion

Die Altersgruppe der 90-jährigen und älteren Personen ist von der Sterblichkeit mit Abstand am meisten betroffen
2020 weist die Gruppe der Personen ab 90 Jahren die höchste Sterberate auf. Sie beläuft sich auf 254 Todesfälle pro 1000 Einwohnerinnen und Einwohner, was bedeutet, dass rund ein Viertel der Personen ab 90 Jahren im Verlauf von 2020 gestorben sind. In den vergangenen zehn Jahren wurde nur einmal, im Jahr 2012, eine höhere Sterberate verzeichnet.

2012: Ein von den Medien nicht beachtetes Rekordjahr bei der Sterblichkeit

Im Jahr 2012 starben in allen Altersgruppen mehr Personen als 2020, denn die jeweiligen Sterberaten waren ausnahmslos höher. Doch dieses Jahr mit einer hohen Sterblichkeit fand in den Medien keine Beachtung. Warum? Wurden die Spitalkapazitäten in dieser Zeit nicht auf die Probe gestellt und seither überschritten?

Zunahme der älteren Bevölkerung

In der Altersgruppe der 90-jährigen und älteren Personen wurde in den letzten 10 Jahren die grösste Zunahme verzeichnet. Die Wachstumsrate beträgt 37 %, gefolgt von den 70- bis 79-Jährigen mit 30 %. Die ältere Bevölkerung wächst unverkennbar, und dieses Wachstum stellt die Kapazitäten unserer Spital- und Geriatrieeinrichtungen auf die Probe.

Dilemma oder Folgen der Bevölkerungsalterung?

Gemäss den heute verfügbaren Daten zur Sterblichkeit wies 2020 keine der Altersklassen die höchste Sterberate der letzten 10 Jahre auf, obwohl die rohe Sterbeziffer von 2020 jene der vergangenen 10 Jahre übersteigt. Warum?

Was auf den ersten Blick wie ein Dilemma aussieht, ist in Wirklichkeit keines. Der Grund ist, dass die ältere Bevölkerung wächst wie nie zuvor und daher die älteren Altersgruppen, bei denen die meisten Todesfälle verzeichnet werden, einen immer grösseren Einfluss auf die Entwicklung der rohen Sterbeziffer haben.

Indirekt war somit die Gesundheitskrise ein Indikator für das starke Wachstum der älteren Bevölkerung und dessen mittelfristige Auswirkungen auf unser Gesundheitssystem sowohl auf Ebene der Kapazitäten als auch der Kosten. Das Risiko einer Überlastung des Spitalsystems ist ein wiederkehrendes Problem, über das in den Medien, vor allem in den vergangenen Jahren während der Grippe- und Skisaison, wiederholt berichtet wurde.

Nach der Krise werden unsere Behörden viel zu tun haben, um das Risiko einer nahezu ständigen Überlastung des Spitalsystems zu verhindern. Ansonsten besteht ein anderes Risiko: Die Ausnahmeregelung, mit der wir nun seit fast einem Jahr leben, könnte zu einem Dauerzustand werden.

 

Hinweis: Unsere Analyse, die sich auf die Situation in der Schweiz konzentriert, orientiert sich an einer kürzlich veröffentlichen systemischen Studie, die von einem deutschen, österreichischen und schweizerischen Wissenschaftlerteam durchgeführt wurde. Diese Studie befasst sich mit der Berechnung der Sterberate in den verschiedenen europäischen Ländern im Jahr 2020. Die Ergebnisse sind interessant, da sie nahelegen, dass Länder wie Italien oder Belgien, bei denen 2020 von einer aussergewöhnlichen Übersterblichkeit die Rede ist, gleich wie die Schweiz eine tiefere Sterberate nach Altersgruppe aufweisen als in den Jahren davor. Schweden hat diesen Ergebnissen zufolge glänzend abgeschnitten. Das Team von «Bon pour la tête» und der Autor dieses Artikels nehmen nicht Stellung zu diesen Zahlen, da wir sie nicht persönlich überprüft haben.

Quelle des vorliegenden Textes: Bon pour la tête: Covid-19: bilan de la mortalité en 2020