Bevölkerung reduzieren statt Wirtschaft ändern?

Ein neuer Weckruf von Klimawissenschaftlern macht noch dramatischere Prognosen und fordert die Reduktion der Bevölkerung. Ist das plausibel?

Ausschnitt aus dem Video des Appells der 11'000 Wissenschaftler

Es tönt ein bisschen nach «Endlösung», was die 11’000 Wissenschaftler in einem am 5. November vom Wissenschaftsjournal BioScience veröffentlichten Appell fordern: Neben den üblichen Massnahmen wie Reduktion des CO2-Ausstosses und des Fleischkonsums und dem Pflanzen von Bäumen, soll auch die Bevölkerung reduziert werden.

Die suggestiven Videobilder, mit denen die Wissenschaftler ihre Forderung nach einer Bevölkerungsreduktion verbinden, zeigen allerdings nicht die grössten CO2-Produzenten aus Nordamerika und Europa, sondern Asiaten. Diese machen zwar tatsächlich einen grösseren Anteil der Bevölkerung aus, produzieren aber weniger CO2.

Ist das Wissenschaft oder Propaganda? Der streng wissenschaftliche Teil der Botschaft ist schwer zu beurteilen, da die Klimawissenschaft zu einem guten Teil auf Computermodellen beruht, die nur sehr wenige Menschen verstehen und die voneinander zum Teil in Grössenordnungen abweichen. Normalsterbliche haben nicht die Möglichkeit, ihre Relevanz zuverlässig zu beurteilen.

Einschätzen können wir dagegen die Wirksamkeit der Massnahmen. Es ist zwar unbestritten, dass mehr Menschen die Umwelt stärker beanspruchen als weniger. Der steigende Umweltverbrauch ist aber weit weniger abhängig von der Zahl der Menschen, als viel mehr von der unter Wachstumszwang stehenden industriellen Produktion. Diese ist in den letzten hundert Jahren mehr als doppelt so stark gestiegen wie die exponentiell gewachsene Bevölkerung.

Dazu kommt, dass die einheimische Bevölkerung in den Gebieten mit dem grössten ökologischen Fussabdruck pro Person – Nordamerika und Europa – tendenziell stagniert oder sogar sinkt. Wenige Menschen im Westen produzieren also einen grösseren Klimaeffekt als viele Menschen im Osten. Nicht berücksichtigt ist zudem die Tatsache, dass westliche Konzerne in Ländern des Ostens und Südens produzieren lassen, den Umweltschaden also auslagern.

Fazit: Die 11’000 Wissenschaftler verbreiten doppelten Unsinn: Erstens behaupten sie, dass die Anzahl der Menschen für den Klimaeffekt verantwortlich sei, während die kapitalistische, auf ewiges Wachstum ausgerichtete Wirtschaftsweise die viel grössere Wirkung erzielt. Und zweitens suggerieren sie, dass mit einer Reduktion der asiatischen Bevölkerung, die einen viel kleineren ökologischen Fussabdruck hat, das Klimaproblem gelöst werden könne.

Warum tun sie das? Darüber kann man nur spekulieren. Immer mehr Menschen wird ja klar, dass das Klimaproblem nicht mit ein paar Einzelmassnahmen zu lösen ist, mit Benzinsteuern zum Beispiel (die Bauwirtschaft produziert doppelt so viel CO2 wie der Verkehr) und schon gar nicht mit dem Handel mit Verschmutzungsrechten, die erst noch in Dollar abgerechnet werden und damit das Finanzestablishment mit neuen grossen Dollarströmen stärken.

«Climate change» erfordert einen «system change», diese Erkenntnis erreicht langsam auch die Strasse. Das will die globale Teppichetage, von deren Mittel auch die Wissenschaft zunehmend abhängig ist, natürlich verhindern. Dann offenbar doch lieber die Bevölkerung reduzieren, als den Kapitalismus entscheidend zähmen.

Es läuten aber auch noch ganz andere Glocken. Die etwas mysteriösen «Georgia-Guidestones», auch als «amerikanisches Stonehenge» bekannt, enthalten neben nachvollziehbaren Botschaften wie «Schütze die Völker und Nationen mit angemessenen Gesetzen und gerechten Gerichten» auch die sonderbare Empfehlung, die Weltbevölkerung bei 500 Millionen zu stabilisieren. Hinter dem 1980 errichteten und mehrfach überzahlten Monument stehen potente anonyme Geldgeber, die offenbar von einer massiven Reduktion der Bevölkerung träumen.

Wie extrem die Phantasien inzwischen geworden sind, zeigte die Aktivistin einer politischen Splittergruppe am 4. November in New York. «Save the planet, eat the children» forderte sie an einer Veranstaltung der Kongressabgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez. Es war ein (schlechter) Spass, aber es gab auch keinen Widerspruch.