Chapeau! für Offcut: Restmaterial wird zu Kreativmaterial

Am 26. August feiert Offcut, das gemeinnützige Ladennetzwerk für wiederverwertbare Rest- und Gebrauchtmaterialien, den 10. Geburtstag in Basel. Es darf gebastelt werden!

«Keine Ahnung, wofür das mal gebraucht wurde. Wir nennen es nur Gewebe.» Foto: Christa Dregger

So macht Einkaufen ungeheuren Spass: Manchmal mit sehr präzisen Wünschen, manchmal auf Inspirationssuche, manchmal aus Jagdfieber auf das Ungewöhnliche stöbert man hier durch die Regalreihen. Stoffballen, Kunstblumen, Schrauben, Werkzeuge, Mineralien, Fasern, Kacheln, Dosen, Kugeln oder Herzen aus vielen Materialien, Bastelutensilien aller Art, Kaninchenfelle, lose Streichhölzer, Pokale und Dinge, die ich noch nie gesehen habe, die aber in irgendwelchen Industrieprozessen anfielen. Alt und neu, einzeln oder zu sehr vielen, recycelt oder ungebraucht, lose und sortiert – bei Offcut jubiliert das Handwerker- und Sammlerherz. 

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«Anfassen ist ausdrücklich erlaubt,» sagt Denise Hofer. Was das Offcut-Sortiment von Brockenhäusern unterscheidet, erklärt sie gern anhand eines Stuhls: «Ein Stuhl geht ins Brockenhaus, das Holz, einen Stuhl zu bauen, kommt zu uns». 

Offcut ist für mich sozusagen eine Extra-Schleife im Stoffkreislauf.

Denise Hofer ist eine der beiden Gründerinnen von Offcut St. Gallen, dem jüngsten und kleinsten Mitglied der Offcut-Familie. Weitere sind in Basel, Zürich, Bern und Luzern.

«Die anderen Filialen sind grösser und haben mehr Auswahl», betont sie. «Doch auch hier sind manchmal Menschen stundenlang im Laden und entdecken immer wieder was Neues. Es lohnt sich, wiederzukommen, denn schliesslich ändert sich auch unser Sortiment jede Woche.»

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Auch ich finde ein paar Dutzend Lieblingsgegenstände, von denen ich nicht einmal wusste, dass ich sie gesucht habe – darunter ein altmodischer Bilderrahmen, ein Anleitungsheft für Papierflieger und eine weiss bestickte Servierschürze. Von der letzteren gibt es sehr viele – und sie hängen an der Decke.

«Wir haben über 8.000 erhalten», sagt Denise. «Feinste St. Galler Stickerei – aber wer trägt heute schon noch Servierschürzen. Unsere Kunden lieben sie aber – und nähen sie um zu Serviettenhaltern, Taschen oder Wandschmuck.»

Das ist es, was hier so eine Freude macht: Jedes Stück in diesem Laden erzählt eine Geschichte. Und jedes Stück könnte Teil einer neuen Geschichte werden – das, was wir daraus machen.

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Denise ist Umweltnaturwissenschafterin. Ihr Hauptantrieb ist der Nachhaltigkeitsgedanke: verwenden, was schon existiert statt neu zu Produzieren und Müllvermeidung durch Wiederverwertung: «Offcut ist für mich sozusagen eine Extra-Schleife im Stoffkreislauf». 

Dass diese Schleife über Kreativität funktioniert, das ist die Leidenschaft von Rahel Flückiger, ihrer Partnerin bei Offcut. Rahel ist Museums- und Theaterpädagogin und bietet im Laden auch Workshops für Kinder und Erwachsene an. Beide verbindet die Liebe zum Material, das sie hier anbieten. Es stammt aus Privatnachlässen, von Sammlern, von Firmenauflösungen, Abschnitte aus Produktionsprozessen oder Überschüsse. Alles erhalten sie kostenlos, meist wird es sogar zu ihnen geliefert.

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«Ob Firmen oder Privatpersonen, die Menschen sind froh, wenn ihre Materialien bei uns ein neues Leben finden. Denn sonst gäbe es meistens keine andere Möglichkeit als die Entsorgung. Aber wenn man ein Leben lang mit etwas gearbeitet oder gehandelt hat, dann möchte man nicht, dass es im Müll landet.»

Wer kauft hier?

«Z.B. jemand, der eine einzelne Schraube oder einen bestimmten Briefumschlag sucht – und nicht gleich einen ganzen Sack davon kaufen will. Viele Künstler, die hier Material für Projekte finden – manchmal ohne vorher zu wissen, was sie brauchen. Aber auch Schulen, die ganze Klassensätze benötigen. Als Preisbasis nehmen wir die Hälfte eines normalen Ladenpreises und passen dem Zustand entsprechend an.»

Wer etwas sucht und hier nicht findet, wird vielleicht in einem der anderen Offcut-Niederlassungen fündig – einfach nachfragen. Das ist einer der Vorteile, zu einem Netzwerk zu gehören. Es gibt unter den Filialen einen regen Austausch von Informationen und Materialien. Denise: «Bei grossen Lieferungen geben wir einen Teil an die anderen ab – und umgekehrt. Als wir begonnen haben, wurden wir von ihnen erst einmal versorgt.» 

Offcut St. Gallen wurde erst im November letzten Jahres Teil des «Social Franchise System» der OFFCUT Genossenschaft, einer nationalen Netzwerkorganisation, der alle Offcut-Materialmärkte angehören. Sie fördert den Austausch unter den Materialmärkten und ist für die gemeinsame Weiterentwicklung verantwortlich. 

«Jede Filiale ist wirtschaftlich selbständig. Wir sind nicht gewinnorientiert,» erklärt Denise, «aber wir wollen auf dem Markt überleben. Vor allem aber wollen wir einen Beitrag zum Wandel leisten. Im Moment beruht ein Teil unserer Arbeit auf Freiwilligenleistungen von vielen helfenden Händen.»

Derzeit ist Offcut St. Gallen noch auf Drittmittel wie beispielsweise die Unterstützung durch den Migros Pionierfonds und andere Stiftungen angewiesen – das soll sich durch das allmähliche Wachstum ändern. Der Offcut St. Gallen ist nicht nur ein Markt. Es bietet auch Führungen und Tages-Workshops zur kreativen Materialverwendung an und stellt seine Räume als inspirierenden Treffpunkt für Vereins- und Firmenversammlungen zur Verfügung. «Und mancher kommt einfach her, macht sich einen Kaffee und liest ein Buch», erklärt Denise.

In Basel, dem Schauplatz des Offcut-Starts vor über 10 Jahren, findet am 26. August das Jubiläumsfest statt. «Ich freue mich vor allem auf den Markt und den Ausstellungsbereich», sagt Denise. «Dort werden unsere Kunden zeigen, was sie mit unseren Materialien alles so anfangen. Das ist nicht nur für Künstler, sondern für jeden ein Fest.» 

Offcut St. Gallen
Ulmenstrasse 5
9000 St. Gallen
[email protected]
+41 76 504 94 80
Mi bis Fr 12:00–19:00 Uhr, Sa 10:00–16:00 Uhr

 

26. August 2023:
10 Jahre Offcut – Jubiläumsfest
Lyon-Strasse 11
Dreispitz Areal – 4053 Basel
Programm ab 13 Uhr
Musik, Informationen, Essen und Trinken, Materialwunder und Überraschungen
www.offcut.ch