Die Fast-Reformation in Luzern

Das Geschäft mit dem Krieg war schliesslich stärker. Trotz grosser Sympathien für die Reformation im Volk setzte die Luzerner Aristokratie auf den alten Glauben, der das Söldnerwesen tolerierte.

Hier predigte der Reformator Konrad Schmid: Der Ort böte sich an für ein Reformationsdenkmal.

Der Musegger Umgang, eine Prozession entlang der Luzerner Stadtmauer, ist ein Anlass von grösster Bedeutung. Der Bittgang findet jeweils am 24. März, dem Tag vor Mariä Verkündigung statt und hat den Ablasswert einer Pilgerreise nach Rom. Der Luzerner Rat hat deshalb angeordnet, dass mindestens eine Person aus jedem Haushalt am Umzug teilnehmen muss.

Der Luzerner Reformator Oswald Myconius: Als die Luzerner Reformation am Geschäft mit der Reisläuferei scheiterte, musste er gehen.

1522 gelingt den reformatorisch Gesinnten um den gebürtigen Luzerner Myconius, der an der Stiftsschule unterrichtet, am Musegger Umgang ein veritabler Coup: Der geistige Führer der Luzerner Reformation lädt für die Festpredigt ausgerechnet den Zürcher Lutheraner Konrad Schmid ein. Der begnadete Prediger erklärt in seiner hinreissenden Rede, es brauche neben Christus weder Heilige noch den Papst. Die Bibel sei für jeden Christen die einzige Autorität, die zu anerkennen sei. Wie auch seine Freunde Huldrych Zwingli und Myconius wettert Schmid gegen den Heiligen- und Reliquienkult und gegen das Söldnerwesen. Das ist unerhört für viele Luzerner Ohren.

Militärunternehmer fürchten um Pfründe
Mit der Kritik am Heiligenkult kann man noch leben. Aber die Kritik der Reformatoren am Söldnerwesen löst in der herrschenden Schicht Existenzängste aus. Für den Staat, der die Söldnerbündnisse abschliesst, sind die Pensionen in zweierlei Hinsicht interessant. Einerseits muss der Stand Luzern im ganzen 16. Jahrhundert keine direkten Steuern einziehen und kann gleichzeitig einen beträchtlichen Staatsschatz anhäufen. Andererseits profitiert die politische Elite, welche die Militärunternehmer stellt, von Zahlungen in die eigene Tasche. Reich geworden durch die Söldner, die für fremde Herrscher ihr Blut auf fremden Schlachtfeldern vergossen, bauen sich die Luzerner Aristokraten im Laufe der Zeit rund um die Stadt ihre Landsitze, um dort jeweils die warme Jahreszeit zu verbringen. Es versteht sich, dass sie nicht auf diese Gelder verzichten wollen.

Luzern verdient so gut an den fremden Kriegsdiensten, dass es im ganzen 16. Jahrhundert keine direkten Steuern erheben muss.

Aber auch das einfache Volk, das die Söldner stellt, hat ein Interesse an der riskanten Arbeitsemigration: Es locken guter Verdienst und Beute in Zeiten wirtschaftlicher Not, Armut und Überbevölkerung.
An die gefallenen Schweizer Söldner erinnert noch heute das Löwen-Denkmal in der Stadt Luzern. Es ist der Königsgarde gewidmet, die sich 1792 in Paris hat niedermetzeln lassen. Namentlich aufgeführt sind nur 26 Offiziere. Die 750 gefallenen Soldaten werden nicht erwähnt.      

Die Stimmung kippt
Der Auftritt Konrad Schmids am Musegger Umgang führt zu heftigen Reaktionen in der Kirche. Die Stimmung kippt, die Verfechter des alten Glaubens erringen wieder die Oberhand in der Stadt. Dabei sah es lange ganz gut aus für die Reformation in Luzern. In den kirchlichen Schulen und Klöstern verfolgt man seit 1519 interessiert die Debatten, die Luther in Deutschland auslöst. Die Kritik an den kirchlichen Zuständen der damaligen Zeit fällt auf fruchtbaren Boden.
Doch dann wird den Reformern das Leben schwer gemacht. Als erster wird 1522 der Schaffhauser Sebastian Hofmeister, der als Lesemeister am Barfüsserkloster unterrichtet, aus der Stadt verwiesen. In einem Brief an die Luzerner schreibt er später «O Lucerna wie bistu so gar verstopft» und ruft auf, sich der Reformation zu öffnen.

Vertreibung führt zu Bildungsnotstand
Kurz nach Hofmeister muss auch Myconius Luzern verlassen. Damit werden zwei bedeutende Meinungsmacher vertrieben, die in der Sprache des Volkes predigten und unterrichteten. Die Altgläubigen erringen damit auch die Hoheit über die Bildung zurück. Als Folge davon entwickelt sich in Luzern ein langjähriger Bildungsnotstand. Er verschärfte sich, als in Luzern der Besitz der Bibel in deutscher Sprache verboten wird.
Die Maler von Heiligenbildern im Kanton Zürich dagegen, die mit der Reformation arbeitslos geworden sind, freut diese Entwicklung. Sie finden als Wirtschaftsflüchtlinge an der Reuss Arbeit – zum Beispiel als Maler für die Gemälde auf der Kapellbrücke.

Thomas Murner: Der altgläubige Hetzer kam aus Strassburg und betrieb eine Druckerei, mit der er seine Schriften verbreitete.

Als Argument gegen die Reformation führt der Luzerner Rat ins Feld, dass mit den Geldern aus dem Solddienst auf die Besteuerung der Bevölkerung verzichtet werden kann. Dies gibt schliesslich den Ausschlag. 1524 beschliessen die Regierungen von Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug, der alten Kirche treu zu bleiben. Reformierte Gottesdienste in Luzern werden erst 276 Jahre später wieder erlaubt.

Der Hassprediger am Gutenberghof
Fortan werden alle reformatorischen Bemühungen in Luzern im Keim erstickt. An vorderster Front agitiert Thomas Murner aus Strassburg. Er verfasst und druckt den «Kirchendieb- und Ketzerkalender». Darin greift er in äusserst scharfen Worten alles Reformatorische  an. «Heute würde man ihn als ‹Hassprediger› bezeichnen», sagt Markus Ries, Professor für Kirchengeschichte an der Universität Luzern, und zeigt auf die Statue Murners, mit der ihm die Luzerner am Gutenberghof ein Denkmal setzten.
Dass die Reformation scheiterte, lag weniger an den Verfehlungen und Exzessen der Kirche, sondern vielmehr an wirtschaftlichen Interessen. Ein weiterer Grund dürfte im Wesen von Myconius gelegen haben. Der Mann war ein Theologe und Gelehrter. Anders als Zwingli, der auch ein gewiefter Politiker war, schaffte es Myconius nicht, politische Allianzen zu schmieden, um der Reformation zum Durchbruch zu verhelfen. An der Luzerner Matthäus-Kirche erinnert heute ein Relief an Myconius und dessen Tätigkeit.    

Bis zu zwei Millionen Schweizer Söldner

Über das Ausmass der militärischen Emigration gibt es nur Schätzungen. Diese variieren zwischen 900 000 und zwei Millionen jungen Schweizern, die sich zwischen dem 15. Jahrhundert und 1859 als Söldner verdingten.
Untersuchungen der Soldatenschicksale werfen einen Blick auf die hohe Sterblichkeit in fremden Diensten: So starben 18% der 8000 Soldaten aus dem Berner Aargau, die im 18. Jahrhundert Frankreich, den Niederlanden und dem Königreich Sardinien dienten. Von ihnen starben mehr Soldaten an Krankheiten als in Schlachten selber. Etwa ein Viertel der Truppe beging zudem Fahnenflucht. Diese stellte für die damaligen Armeen ein grosses Problem dar. Gründe dafür waren oft die Abneigung gegen Disziplin und Soldatenleben, aber auch die wirtschaftliche Not der Soldaten. Diese waren oft bei ihrem Hauptmann verschuldet und konnten nach dem Ablauf der Dienstzeit von diesem zur Vertragsverlängerung gezwungen werden.
Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts trugen die Söldner zum Abbau der Überbevölkerung in der Schweiz bei. Danach verlor das Söldnertum in der Bevölkerung an sozialem Ansehen und dadurch an Popularität. Zu diesem Gesinnungswandel trug die reformierte Kirche massgeblich bei, aber auch die Zeugnisse ehemaliger Söldner.
Erst 1850 verbot der Bundesrat per Gesetz die Anwerbung von Söldnern und den Eintritt von Schweizer Bürgern in fremde Dienste. Einzige Ausnahme ist die Päpstliche Schweizergarde, wo heute rund 110 junge Schweizer Männer dienen. Diese fallen nicht unter das Söldnerverbot, da ihr Einsatz als Polizeidienst betrachtet wird.

 

28. Dezember 2017
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