Gute Demos, schlechte Demos

Gegen Rassismus haben am Wochenende zahlreiche Menschen demonstriert. Das ist zu begrüßen – es macht aber auch eine massive Ungleichbehandlung deutlich: Die Demos für Grundrechte sollten die gleiche Toleranz erfahren.

/ zvg

In zahlreichen deutschen und Schweizer Städten haben am Wochenende Menschen gegen Rassismus demonstriert. Diese Demonstrationen waren durch einen Fall grausamer Polizeigewalt in den USA ausgelöst worden, bei dem ein schwarzer US-Bürger vor laufenden Kameras durch einen weißen Polizisten erstickt worden war. Die Proteste waren also begründet: Der konkrete und aktuelle Anlass einerseits und die langfristigen, Rassismus fördernden Strukturen andererseits sind skandalös und gehören in den USA und auch in Deutschland und in der Schweiz immer wieder angeprangert.

Angesichts von massenhaften Zusammenkünften in „Zeiten von Corona“ irritiert jedoch eine Ungleichbehandlung: Während die Demonstrationen gegen aktuelle Einschränkungen der Grundrechte in den vergangenen Wochen strengen ordnungspolitischen Begrenzungen ausgesetzt waren, wurden den Demos gegen Rassismus in dieser Hinsicht erheblich mehr Spielraum gelassen. Dazu kam eine massive Ablehnung der Grundrechte-Proteste in der Medienberichterstattung. Dass nun einzelne Politiker und Medien (im Nachhinein) auch bei den Demos gegen Rassismus Abstandsregeln einfordern, ändert den Eindruck des Messens mit zweierlei Maß nicht.

Rassismus vs. Grundrechte?

Denn während die Demos gegen die aktuelle Beschneidung der Grundrechte bereits im Vorfeld von Medien und Politik stark angegriffen wurden und auch mit Schikanen des Demonstrationsrechts belegt wurden, war das bei den Großdemos vom Wochenende nicht der Fall. Während bei den Grundrechtedemos das angebliche Potenzial der Virusverbreitung durch Demonstrationen extrem in den Vordergrund gerückt wurde, wurde das an diesem Wochenende (vergleichsweise) tief gehängt.

In diesem Text werden aber keine Schikanen für Demonstrationen gefordert! Im Gegenteil: Die Einschränkungen des Demonstrationsrechts sind (so wie viele andere „mit Corona“ begründete aktuelle Maßnahmen) in der erlebten Form und mit der präsentierten „Zahlenbasis“ nur noch schwer zu rechtfertigen. Darum ist es gut, dass die Polizei bei den Großdemos an diesem Wochenende nicht genauso vehement gegen „Verletzungen der Abstandsregeln“ eingeschritten ist, wie man das aus den letzten Wochen und von den Grundrechte-Demos gewohnt ist.

Lob für die eine Demo, Regeln für die andere Demo

Das Problem entsteht also nicht durch die relativ große Toleranz von Polizei, Medien und Politik gegenüber den Großdemos von diesem Wochenende. Das Problem entsteht durch die Ungleichbehandlung. Die einen Demos erfahren schlechte Presse, polizeiliche Härte und ordnungspolitisches Regelwerk. Die andere Seite wird zwar nun im Nachgang wegen der dokumentierten massenhaften „Abstands-Verletzungen“ milde gemaßregelt. In Deutschland etwa äußerste sich mit väterliche Kritik Politiker Karl Lauterbach von der SPD auf Twitter – verbunden mit einem Lob: „Ich teile den Anlass des Protests voll und ganz. Aber trotzdem sind die Abstände zu klein.“ Die Gefahr der Corona-Pandemie sei nicht gebannt. Rassismus müsse bekämpft werden, aber ohne vermeidbare Corona-Tote. In diesem Tenor äußern sich auch einige Medien.

Aber zum einen sind selbst diese Belehrungen noch mit positiven Bestätigungen „wegen der guten Sache“ verbunden. Zum anderen muss etwa die Toleranz der Polizei angesichts der massenhaften „Verletzungen der Corona-Regeln“ am vergangenen Samstag für die Besucher von Grundrechte-Demos als grobe Verletzung der Fairness im politischen Diskurs wahrgenommen werden. Darüber hinaus: Kann man weiterhin etwa den Schulbetrieb einschränken, wenn gleichzeitig solche Demos stattfinden?

Verwaltung darf kein politischer Schiedsrichter sein. Eine parteiische Positionierung gegenüber den jeweiligen Inhalten von Demos durch die Politik, und in der Folge auch durch Verwaltung und Polizei, ist abzulehnen: Diese Gruppen wurden nicht dazu berufen, sich als Schiedsrichter in der politischen Bewertung von Demonstrationen aufzuspielen. Der unterschiedlich gehandhabte Einsatz von Einschränkungen gegen Demos ist ein Eingriff in die Meinungsbildung und eine Verletzung des Gebots der Gleichbehandlung. Mit dieser Feststellung wendet man sich übrigens nicht gegen Antirassismus-Demos und man pflichtet auch den Machern der Grundrechte-Demos dadurch nicht bei. Verlangt wird nur eine relative Gleichheit der Ausgangsbedingungen.

"Rassismus darf in unserer Gesellschaft keinen Platz haben", twitterte die Polizei.

Ein Beispiel zur Verletzung dieses Gleichheits-Grundsatzes kann man etwa hier sehen: In Hamburg waren für die Demo "520 Teilnehmer" angemeldet, berichtet die Tagesschau, erschienen seien dann aber 14´000. Bei einer Grundrechte-Demo wäre das höchstwahrscheinlich Grund gewesen, die Veranstaltung aufzulösen. Wie martialisch diesen Demonstranten entgegengetreten wurde, kann man etwa in diesem Artikel in der „Welt“ lesen. Doch an diesem Wochenende war alles anders: Die Polizei appellierte an die Menschen, einen Mundschutz zu tragen und den Mindestabstand einzuhalten. Das habe sich angesichts der hohen Teilnehmerzahl allerdings als schwierig gestaltet, berichtet die Tagesschau. Trotzdem stellten sich auch die Polizisten bereits vor Beginn des Protests hinter die Aktion.

Dadurch wird der Inhalt der Demo (gegen Rassismus) indirekt über die herrschenden „Pandemie-Regeln“ gestellt. Das ist prinzipiell zu begrüßen. Um so mehr irritiert es aber, wenn an anderer Stelle diese Regeln noch immer hochgehalten werden. Und wenn andere Inhalte und Demos dieses Vorrecht eben nicht erhalten und hinter der „gesellschaftlichen Verantwortung leider kurzfristig zurückstehen“ müssen.