Reise nach Gaza: Aufgeben kommt nicht in Frage!

Diesen Februar konnte eine Delegation der Kampagne Olivenöl aus der Schweiz ihre Projektpartner im Gazastreifen besuchen. Sie fanden Menschen auf der unermüdlichen Suche nach Möglichkeiten, ihre Lebenssituation zu verbessern. Am 25. Juni laden sie ins Café Palestine ein (s.u.)

Im Hafen von Gaza-Stadt: ein Fischkutter unterwegs zum nächtlichen Fischfang. Alle Fotos: HHG

Die weitläufige Eingangshalle des israelischen Grenzüberganges in Erez, über den bis zur Blockade des Gazastreifens von 2007 täglich Tausende von Palästinensern nach Israel zur Arbeit gegangen sind (3), ist verwaist, fast alle Grenzkontrollkabinen unbesetzt.

Eine junge Grenzpolizistin kontrolliert die Pässe und gleicht sie mit der israelischen Sondergenehmigung für die Einreise ab. Über eiserne Drehkreuze und lange Gänge gelangt man auf die andere Seite, wo einige Männer das Gepäck der spärlichen Reisenden bis zum Grenzposten der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) transportieren – ein magerer Verdienst für ihre Familien. 

Anschliessend geht es zum Grenzposten der Hamas, auch hier nach einem freundlichen «Welcome» ein Abgleich der Pässe mit der Einreisebewilligung des Ministry of Interior der Hamas. Nach kurzer Fahrt bis zum Tor, das den Grenzbereich vom Gazastreifen trennt, begrüsst uns der Fahrer unserer Partnerorganisation «National Society of Rehabilitation» (NSR) mit einem herzlichen «Welcome». Er bringt uns nach Gaza-Stadt. 

Seit mehr als 20 Jahren besteht zwischen dem Verein Kampagne Olivenöl aus Palästina und kleinbäuerlichen Genossenschaften in der palästinensischen Westbank ein fruchtbarer Austausch auf Augenhöhe. Die Bauern produzieren kaltgepresstes, biologisches Olivenöl und erhalten dafür einen fairen Preis. Die Kampagne Olivenöl organisiert den Export (2) des Olivenöls in die Schweiz, das dort dank vieler Freiwilliger verkauft werden kann. Der Gewinn aus dem Verkauf fliesst zurück in verschiedene Projekte in der Westbank und im Gazastreifen. 

Gegründet wurde die Kampagne Olivenöl vom Nahostforum, einem politischen Zusammenschluss von Juden, Palästinensern und Anderen zur Zeit der Zweiten Intifada, dem Aufstand der Palästinenser gegen die völkerrechtswidrige israelische Militärbesetzung der Westbank und des Gazastreifens.

Wo immer wir im Gazastreifen hinkommen, ist ein freundliches «Welcome» zu hören. «Hier freut man sich über jeden Besucher», erklärt uns Jamal Rozi, der Präsident des NSR, «das gibt den Menschen das Gefühl, dass sie von der Welt nicht vergessen werden.» 

Seitdem der Gazastreifen 2014 unter Blockade gestellt wurde – die Einheimischen sprechen von Belagerung – können in der Regel nur Mitglieder internationaler Organisationen und von Hilfswerken in den Gazastreifen reisen. (4)

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Gaza-Stadt

In Gaza-Stadt ist dichtester Verkehr: viele Autos, Motorräder und dazwischen Eselskarren, beladen mit dem, was das Land im Februar schon hergibt. Ohne dass sich die Fahrer sichtbar ärgern, wird unaufhörlich gehupt. Verkehrsregeln sind nicht auszumachen, und man ist froh, nicht am Steuer zu sitzen. Ein kleiner Laden neben dem anderen, ein geschäftiges Hin und Her von Frauen, Männern und vielen Kindern. 

Am alten Markt vorbei mit seinen unzähligen Ständen kommt man zum Souq Al-Thahab, dem Goldmarkt im Herzen der Altstadt von Gaza-Stadt, wo sich ein kleiner Laden an den anderen reiht – schönster Goldschmuck, Ringe, Halsketten, Armbänder. 

«Was immer man wünscht, man findet es hier für Hochzeiten, den Muttertag oder den Valentinstag», so einer der vielen Ladenbesitzer.

Über dem Gewirr unzähliger elektrischer Kabel ist von weitem das schöne Minarett der Al-Omari Moschee zu sehen vor einem wolkenlosen, blauen Frühlingshimmel. Im Sahn, dem grossen Innenhof der Moschee, eingerahmt von alten Arkadengängen, beten einige Männer, andere sind ins Gespräch vertieft.

Kinder spielen und scharen sich schon bald neugierig um die seltenen Besucher und nehmen mit ihren Englischkenntnissen Kontakt auf. Während die Buben kecker sind, halten sich die Mädchen im Hintergrund oder verstecken sich kichernd hinter dem Rücken ihrer Freundinnen. 

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Am Mittag sind viele in Gaza-Stadt unterwegs, und Kinder sind auf dem Heimweg von der Schule.

 

Neues Hafengelände

Später fahren wir zu einem neuen Teil des Fischerhafens, der mit Trümmern der Bombardierungen aus den Gazakriegen ins Meer hinaus aufgeschüttet und erweitert worden ist, in den seitlichen Schutthügeln, eine Treppe, eine kleine Kuppel, vielleicht von einer Moschee? Familien spazieren der Mole entlang, junge Paare flanieren in der Abendsonne und Kinder spielen Fussball. Am Wasser sitzen viele Männer mit ihren Fischerruten. Kleine, rostige Fischkutter machen sich zur nächtlichen Ausfahrt bereit, ein nicht ungefährliches Unterfangen, bei Seemeile 6 blockiert die israelische Küstenwache. 

 

Bei der Palestinian Medical Relief Society Gaza (PMRS)

Am Abend sitzen wir mit Dr. Aed Yagi zusammen, dem Direktor der PMRS, die 1979 von palästinensischen Ärzten und Fachleuten aus dem Gesundheitswesen gegründet worden war. «Während die Palästinensische Befreiungsfront PLO im Exil in Tunis (5) weilte, baute die PMRS im Besetzten Palästinensischen Gebiet (oPt) eine medizinische Grundversorgung auf», erklärt uns Dr. Yagi. Heute ist die PMRS in der Westbank und in Gazas tätig, wo das Gesundheitsproblem eines der grössten Probleme ist. 

Im Gazastreifen unterhält die PMRS vier Kliniken (6) und beschäftigt 140 Personen, 70 bis 80 von ihnen haben eine Vollzeitstelle. Im Hauptgebäude der PMRS in Gaza-Stadt befindet sich die Hauptapotheke, ein Physiotherapiecenter, eine Ausleihstelle für medizinische Hilfsmittel und ein Jugendzentrum. Verschiedene Dörfer oder auch alte Leute werden von der mobilen Klinik der PMRS versorgt. 

Grossen Wert legt die PMRS auf die Gesundheitserziehung. Mit diesem Programm erhält die Bevölkerung Grundwissen zur Prävention von Krankheiten, zu Erster Hilfe und gesunder Ernährung. Informiert wird auch über die Problematik von Frühehen, die nicht selten sind. Finanziert wird die PMRS von verschiedenen NGOs aus Europa und der arabischen Welt.

Auf die Frage nach den Problemen, die die Arbeit der PMRS behindern, weist Dr. Yagi auf die israelische Blockade hin, die seit 16 Jahren andauert. Medizinische Hilfslieferungen werden behindert und der Zugang von Patienten, deren Behandlung im Gazastreifen nicht möglich ist, zu Spitälern in der Westbank und Israel erschwert. 

Zudem gab es im August 2022 wieder massive Bombardierungen. «Auch vorgestern wurde eine militärische Einrichtung bombardiert, zum Glück gab es keine Verletzten», so Dr. Yagi. Auf die Frage, ob die Hamasregierung die Arbeit der PMRS behindere, antwortet Dr. Yagi: «Sie lässt uns arbeiten. PMRS is filling the gap.»

Mit einer Ärztin der PMRS unterhalten wir uns über Fragen der Sexualaufklärung. Unter anderem sagt sie: «Voreheliche Beziehungen gehen nicht. Ein Abbruch einer Schwangerschaft ist auch für verheiratete Frauen nur schwer möglich.»

 

An der Islamischen Universität Gaza-Stadt (7)

Auf dem Teil des Universitätsgeländes, das den Studentinnen vorbehalten ist (8), sind an diesem Morgen schon viele unterwegs zu den Vorlesungen, andere sitzen ins Gespräch vertieft auf dem Rasen. Es ist schönster Frühling. Die hübsch gekleideten Studentinnen mit ihren Kopftüchern nehmen auf Englisch mit den Besuchern spontan Kontakt auf. 

Einer der Professoren führt uns durch die Universität und beantwortet unsere Fragen. Wir erfahren, dass an der Universität mit ihren 11 Fakultäten in 80 akademischen Fächern ein Bachelor-Abschluss, in 20 Fachgebieten ein Master Abschluss sowie ein PHD-Abschluss in einigen Fachgebieten (9) gemacht werden kann. (10) Eine spezielle Fakultät ist die Faculty of Sharia & Law, an der Recht sowie die Islamische Sharia gelehrt werden. Neu gibt es jetzt auch die Studienrichtung Maschinenbau für Männer. In Gaza und in der Westbank ist dies die einzige Universität, an der Blinde dank Computern mit Brailleschrift studieren können. Zur Zeit sind rund 10 000 Studentinnen und 7000 Studenten immatrikuliert. 

Die finanzielle Situation der Universität ist miserabel. Sie erhält weder von der PA noch von der Hamas finanzielle Mittel. Bis 2013 wurde sie von der türkischen Regierung unterstützt und erhielt auch Zuwendungen aus Katar. Die Studiengebühren sind praktisch die einzigen Einnahmen der Universität. Entsprechend unsicher und schlecht sind die Löhne des Lehrpersonals. 

«In Gaza kann man nicht planen, unsere Wirtschaft ist katastrophal», so der Professor.

Für die Palästinenser hat Bildung eine grosse Bedeutung. Pro Semester betragen die Studiengebühren 2´400 Euro. Oft hilft die ganze Grossfamilie mit, die Studiengebühren zu finanzieren. Ihren Bachelor, Master oder PHD erhalten die Studierenden erst, wenn sämtliche Studiengebühren bezahlt worden sind. 

In einer Gesprächsrunde mit Studentinnen und Studenten (11) wird deutlich, dass ihre Berufswahl immer auch sozial motiviert ist, um später zu einer besseren Lebenssituation der ganzen Gesellschaft beitragen zu können, sei es als Mediziner, Lehrer oder in einem anderen Beruf. Real sind künftige Arbeitsstellen jedoch nur spärlich vorhanden, eine der Möglichkeiten wäre eine Lehrerstelle in den UNRWA Schulen in den Flüchtlingslagern.

Im Büro beim obligaten Kaffee im kleinen Pappbecher begrüsst uns der Rektor der Islamischen Universität: «Wir sind unter Belagerung und freuen uns über jeden Einzelnen, der Gaza besucht.» 

An der Universität, die seit 10 Jahren auch Mitglied der Mittelmeeruniversitäten ist, wird nach den Richtlinien des Instituts für Bildung in Ramallah unterrichtet. Neben den mangelnden Finanzen und den fehlenden Geräten für die Lehre ist auch hier die israelische Blockade (12) ein Problem. 

«Sie verhindert die Austauschmöglichkeiten für die Studierenden. Wir haben keine ausländischen Studierenden und kaum jemand studiert in der Westbank oder im Ausland», so der Rektor. «Über Zoom sind jetzt Kontakte und ein Gedankenaustausch möglich. In Ramallah wird jetzt daran gearbeitet, dass interaktives Lernen über das Internet möglich wird.» Die Universität hat auch Olivenhaine, dessen Öl an die Angestellten der Universität verkauft wird. 

 

National Society of Rehabilitation in Gaza Strip (NSR)

Die NSR ist eine gemeinnützige Organisation, die 1990 von Dr. med. Hedart Neshati gegründet wurde. Übergriffe der israelischen Armee im Gazastreifen, der damals noch unter israelischer militärischer Besatzung stand, führten zu teils schwerwiegenden Verletzungen, die eine Rehabilitation nötig machten. Die medizinischen Ressourcen für eine sehr grosse Bevölkerung waren sehr beschränkt, und es gab keine Rehabilitationsmöglichkeiten. Die NSR setzte sich daher zum Ziel, Menschen mit Behinderungen – geburts- oder verletzungsbedingt – behilflich zu sein, aktiv und eigenständig ihren Platz in der Gesellschaft auszufüllen. «Das bedingte auch eine Art Schulung für die Behinderten und ihre Familien, die für sie zu sorgen hatten», so Jamal Rozi, der Präsident der NSR. 

«Zu Beginn wurde in den Flüchtlingslagern eine Befragung durchgeführt zur Art der Behinderung. Wieviele und welche Altersgruppen sind betroffen? Was wird benötigt?», so der Präsident. 

1990 bewegte sich die NSR in einem sehr schwierigen Umfeld. Es gab noch keine palästinensische Regierung, die sich um die Belange der Behinderten kümmerte. Zudem wurde eine medizinische Sichtweise von Behinderung von der Bevölkerung nicht akzeptiert. 

«Das Thema Behinderung war ein Tabu. Die Leute wollten weder darüber reden noch etwas dazu wissen. Man glaubte, ein behindertes Kind sei eine Strafe Gottes», so Jamal Rozi. «Die Familien schämten sich und hielten ihre behinderten Kinder versteckt, manchmal sogar vor der eigenen Familie.» 

Es brauchte viel Zeit und Arbeit, um diese Sichtweise zu verändern. «Auch die Intifada hat zur Veränderung beigetragen wegen der vielen verletzten Widerständler», so der Präsident. «Am Tage zuvor von der Bevölkerung für ihre Aktionen bewundert, sitzen ihre Helden am nächsten Tag schwerbehindert in einem Rollstuhl.» 

Damit wurde auch deutlich, dass Hilfe nötig war, und die NSR begann Hilfsmittel und Physiotherapie zur Verfügung zu stellen. 

Die NSR befasste sich auch mit der Integration behinderter Kinder in die Schulen, wobei zuerst Schulleiter und Lehrer überzeugt werden mussten, dass auch behinderte Kinder ein Recht auf Bildung haben. Mit der Einsetzung der Nationalen Palästinensischen Autonomiebehörde 1994 wurden Gesetze zur Unterstützung von Behinderten erlassen, wie zum Beispiel das Recht auf Schulbesuch. 

Ganz allgemein hat sich die Einstellung gegenüber Behinderungen verändert. «Menschen mit Behinderungen können sich jetzt auf der Strasse bewegen, man findet sie in den Schulen, in den Kindergärten, es gibt für sie sogar vier oder fünf Sportvereine», so Jamal mit Genugtuung. Auch mit den zuständigen Regierungsstellen der Hamas ist die NSR im Gespräch.

«Wir sprechen mit ihnen und haben Arbeitstreffen mit ihnen. Sie haben die Idee akzeptiert und sprechen mit uns: ‹Wir glauben an diese Sachen und werden überall Anpassungen vornehmen, aber wir brauchen etwas Geld.› Die Regierung wäre bereit, aber sie hat kein Budget, die finanziellen Mittel fehlen,» so der Präsident mit grossem Bedauern, «für Menschen mit einer Behinderung ist dies eine echte Herausforderung.»

«Die Lebensbedingungen bedürftiger Menschen mit Behinderungen im Gazastreifen verbessern» (13), so heisst das Projekt der NSR im Gazastreifen, das Menschen mit Behinderungen bauliche Anpassungen, elektrisches Licht und sauberes Trinkwasser ermöglicht. Das Projekt wurde auf Antrag der Kampagne Olivenöl aus Palästina von den Genossenschaftern der Allgemeinen Baugenossenschaft Zürich ABZ mit einem Beitrag von 35´000 Franken unterstützt und zwischen dem 1. Mai 2022 und dem 30. November 2022 in die Tat umgesetzt. Damit konnten Menschen mit Behinderungen aus dem ärmsten und bedürftigsten Teil der Bevölkerung unterstützt werden, wie Besuche in ihren Familien zeigen. 

 

Auf Besuch – eine Batterie…

Um Karam zu besuchen, steigt man in den siebten Stock. Es hat keinen Lift. Der zehn Jahre alte Karam sitzt mit einer zerebralen Lähmung im Rollstuhl. Das Sprechen bereitet ihm Mühe. Er wird von seiner Mutter zuhause unterrichtet. Auf die Frage, welche Fächer er gerne habe, antwortet er: «Arabisch, Mathematik und Technik. Später will ich Arzt werden.» 

Karam hat eine gute Intelligenz und lernt leicht. Er würde so gerne Sport machen. Der kleinere Bruder geht in die 1. Klasse. Auch er will Doktor werden, um den Kranken zu helfen. Die wirtschaftliche Lage der Familie ist prekär. Der Vater hat Krebs und ist zur Zeit im Spital. 

Die Familie hat eine Batterie erhalten, um die ständigen Stromunterbrüche überbrücken zu können. Darüber ist die Mutter sehr froh. Jetzt wird sie beim Unterrichten nicht mehr unterbrochen, und Karam hat Licht, wenn er nachts ins Bad muss. Ein Lichtblick ist, dass man von der Wohnung auf die Dachterasse gelangt, wo der Himmel und die Stadt zu sehen sind.
 

«He is managing himself»

Unser nächster Besuch gilt einem 60-jährigen Mann im Rollstuhl. Er ist geschieden und lebt alleine. Das ursprüngliche WC – ein Loch im Boden – wurde ersetzt durch eine WC-Schüssel mit Armstütze und einem Lavabo. Zudem erhielt der Mann eine Batterie zur Überbrückung der Stromunterbrüche sowie einen Trinkwassertank. Einige Treppenstufen wurden durch eine Rampe ersetzt. 

Auf die Frage, ob der Mann für sich selber schauen könne, antwortet Jamal Rozi mit sichtlicher Freude: «Ja, er kocht selber, er schaut sich selber – he is managing himself!» 

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Eine Rampe ersetzt die Treppenstufen. Früher musste die Mutter ihre Tochter die Treppe hinuntertragen. 

 

Mit einer Rampe das Problem lösen

Zu Fuss geht es weiter auf einer schmalen Strasse gesäumt von ein- bis dreistöckigen Häusern zu einem älteren Mann, der im Rollstuhl im Eingang seiner Wohnung auf uns wartet. 

«Hier hatte es eine etwa 20 Zentimeter hohe Stufe. Wenn er zur Toilette musste, kam der Nachbar, lud ihn auf seine Schultern und brachte ihn ins Bad», erklärt Jamal. «Auch hier wurde das Problem mit einer Rampe gelöst und im Bad hat man die nötigen Anpassungen vorgenommen.» 

Um vom Rollstuhl auf das WC zu wechseln, braucht er Hilfe. Seine verheiratete Tochter, die für die Besucher Kaffee gemacht hat, und die Nachbarn schauen für das Nötige. 

«Physiotherapie wäre für Behinderte wie ihn sehr wichtig und würde seine Befindlichkeit sehr verbessern», so Jamal. «Aber drei Mal wöchentlich Physiotherapie kostet 600 Schekel, das kann er sich nicht leisten.» 

Der NSR hat auch einen Trinkwassertank installiert. Filtriertes Trinkwasser wird von einer Firma verkauft, im Tankwagen geliefert und dann in den Trinkwassertank eingefüllt. Die schwarzen Tanks auf den Dächern, die überall zu sehen sind, enthalten nur Brauchwasser für den Abwasch, die Wäsche oder das WC.
 

Eingangstüre verbreitert

Unser nächster Besuch führt uns zu einem jungen Mann. «Er sprang ins Meer, aber es war nicht tief genug», so Jamal. Jetzt sitzt der Achtzehnjährige mit einer Paraplegie im Rollstuhl. Für einen besseren Zugang liess der NSR die Eingangstüre verbreitern und nahm auch Anpassungen im Bad vor. 

Einige Buben mustern neugierig die Besucher. «Die Familie hat neun Kinder», erklärt Jamal. «Hier hat man gerne viele Kinder.» 

«So hat man immer jemanden zum Spielen», bemerke ich. 

«Oder jemanden zum Streiten», lacht Jamal. 

Wieder unterwegs geht es schon gegen Mittag. Die Wäsche an den Hauswänden trocknet in der Sonne neben den Matratzen, die gesonnt werden. Viele sind unterwegs, und Kinder sind auf dem Heimweg von der Schule. 
 

Hühner, Schafe, Tabounbrote

Vor einer Tür, bemalt mit unzähligen goldfarbenen Herzen, bleiben wir stehen und klopfen. Eine alte Beduinin öffnet: «Willkommen, seid willkommen in unserem Haus.» 

Sie führt uns zu ihrem Mann, der mit einer Paraplegie im Rollstuhl sitzt. 

«Bei uns wurde das Bad gemacht und die Türe verbreitert», sagt sie, «das macht es einfacher für mich und für ihn.» 

Auch eine Batterie für die Stromunterbrüche wurde installiert. Im Hof ist ein «bäh, bäh» zu hören und einige Hühner sind unterwegs. Zwei Schafe strecken neugierig ihre Schnauzen durch die Gitterstäbe. Neben dem Holzofen im Hof sind frisch gebackene Tabounbrote aufgeschichtet von denen jeder beim Abschied eines mitbekommt. Sie schmecken köstlich.

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Fadi kann allein die Treppe hinuntergehen zu den anderen Kindern.

 

Geländer als Gehhilfe

Im 2. Stock erwartet uns die Familie im Wohnzimmer. An der einen Wand ist ein Geländer angebracht, an dem sich der siebenjährige Fadi, dessen Beine mit Schienen gestützt werden, festhält. 

«Komm zu mir», sagt der Vater auf der anderen Seite des Zimmers. Ganz unsicher und schwankend läuft der Bub hinüber zum Vater. 

Auch das Treppenhaus ist von der NSR mit einem Geländer versehen worden, an dem sich Fadi jetzt mit beiden Händen festhält und dann vorsichtig einen Fuss vor den anderen setzend nach unten und später auch wieder nach oben steigt. 

«Jetzt kann Fadi ganz alleine die Treppe hinuntergehen zu den anderen Kindern», sagt die Mutter. «Mein liebster Freund ist mein Cousin», meint Fadi. 

Als Fadi ein Jahr alt war, merkten die Eltern, dass er nicht wie die anderen Kinder zu laufen begann und seine Muskulatur sich nicht richtig entwickelte. Er hat noch zwei ältere Schwestern und eine jüngere. Auf unsere Fragen gibt der Bub gerne Auskunft. Er liebt Fussball und der FC Barcelona ist sein Lieblingsverein. Zur Schule geht er sehr gerne. 

«Im Rahmen der Integrativen Bildung wird er vom Schulbus abgeholt», erklärt Jamal.

Die Mutter hatte die Tochter geschickt, um etwas zum Trinken zu holen, das die beiden jetzt an die Besucher verteilen. Gastfreundlich, wie es ihrer Kultur entspricht, lädt uns die Familie zum Mittagessen ein. Wir bedanken uns herzlich, aber wir müssen weiter.

 

Vor allem Mütter und Frauen werden entlastet

Auf dem sandigen Karrenweg des Flüchtlingslagers, vorbei an einem leeren Beutel für Trockenmilch mit dem Signet der UNRWA, kommt man zur nächsten Familie. Da, wo früher Stufen waren, führt neu eine lange Rampe zum Hauseingang, der breiter gemacht wurde für einen besseren Durchgang des Rollstuhls. Auch das Bad wurde behindertengerecht angepasst. 

Im Wohnzimmer liegt die 15 jährige Jugendliche warm zugedeckt auf dem Bett. Sie ist mit einem offenen Rücken (Spina bifida) zur Welt gekommen und leidet heute unter einer Paraplegie. 

«Aber sie kann die Schule besuchen. Früher musste sie die Mutter die Stufen hinunter tragen. Jetzt kann die Mutter sie hinunterfahren», erklärt Jamal. Die Jugendliche strahlt, sagt etwas und Jamal übersetzt: «Euer Besuch ist eine grosse Unterstützung für mich.» 

«Die Unterstützung, die die NSR leistet, hat eine doppelte Wirkung. Einerseits wird der Behinderte unterstützt, andrerseits wird das ihn umgebende soziale Netzwerk entlastet und gestärkt», so Jamal, «weil sie weniger Gewicht zu tragen haben. Vor allem Mütter und Frauen werden entlastet, da sie für Behinderte und Kranke zu sorgen haben. In dieser Familie fehlt auch der Vater. Vor vier oder fünf Jahren ist er an Krebs gestorben.»

 

Batterie und Trinkwassertank

In der letzten Familie, die wir besuchen, leidet die 42-jährige Mutter unter einer körperlichen Behinderung. Hier wurde das Bad behindertengerecht angepasst. Eine Batterie überbrückt die Stromausfälle und in einem weissen Tank kann jetzt das Trinkwasser aufbewahrt werden. Über diese Unterstützung ist der Vater sehr froh, neben ihm seine 13-jährige Tochter sowie ein Mädchen im Kindergartenalter, aufmerksam mit wachen Augen. 

«Das Trinkwasser im Tank, das gekauft werden muss, reicht in der Regel für zwei Wochen», so der Vater. «Manchmal ist auch das Dach undicht, wenn es im Winter stark und lange regnet.»

Ein Leben im Gazastreifen ist ein Leben mit Schwierigkeiten ohne Ende, aber aufgeben? Kommt nicht in Frage! Unermüdlich sucht man nach Möglichkeiten, die aktuelle Situation zu verbessern, wie der Schlussbericht zum Einsatz des Projektgeldes der ABZ zeigt. 58 Männer und 46 Frauen konnten nachhaltig unterstützt werden. 


Genossenschafter der Allgemeinen Baugenossenschaft Zürich (ABZ) unterstützen die Nationale Gesellschaft für Rehabilitation im Gazastreifen (NSR)

Als Genossenschafter der Allgemeinen Baugenossenschaft Zürich bezahlt man mit dem Mietzins monatlich einen Beitrag von fünf Franken in den ABZ-Solidaritätsfonds. Alljährlich entscheiden die Genossenschafter an einer Vergabekonferenz, welche sozialen, kulturellen oder ökologischen Projekte zum Thema Wohnen einen finanziellen Beitrag erhalten. An der Vergabekonferenz von 2021 wurde für das Projekt der NSR der Kampagne Olivenöl aus Palästina ein Beitrag von 35´000 Franken gesprochen.

(2) Zusammen mit der «gebana ag», die im fairen Handel tätig ist, werden Olivenöl und Za’tar in der Schweiz vermarktet. 

(3) Vor der 2. Intifada im Jahr 2000 gingen monatlich bis zu 500 000 Palästinenser aus Gaza zur Arbeit nach Israel, so die UNOCHA, Gaza Strip/ The humanitarian impact of 15 Years of the blockade – June 2022

(4) «Palästinenser dürfen den Gazastreifen nicht über Israel verlassen, auch nicht um in die West Bank zu reisen, ausser wenn ihnen Israel eine Ausreisegenehmigung erteilt. Nur Angehörige bestimmter Kategorien, vor allem Händler (einschließlich de facto Tagelöhner), Patienten und ihre Begleiter sowie Mitarbeiter von Hilfsorganisationen können eine solche Genehmigung beantragen. Andere Personen haben keinen Anspruch auf eine Genehmigung, auch wenn sie gemäss den israelischen Behörden kein Sicherheitsrisiko sind. In den meisten Fällen führen die israelischen Behörden keine besonderen Gründe an für die Ablehnung eines Antrags. Wird ein Antrag genehmigt, kann der Genehmigungsinhaber über den von Israel kontrollierten Grenzübergang Erez reisen, der tagsüber von Sonntag bis Donnerstag und freitags nur für dringende Fälle und ausländische Staatsangehörige geöffnet ist.»

«Palästinenser, die über Ägypten den Gazastreifen verlassen wollen, müssen sich zwei bis vier Wochen vorher bei den palästinensischen Behörden anmelden. Sie können sich auch direkt an die ägyptischen Behörden wenden und die Dienste eines privaten Unternehmens in Anspruch nehmen. Verfahren und Entscheidungen der beiden Behörden sind nicht transparent. Wer eine Genehmigung erhält, reist über den von den ägyptischen Behörden kontrollierten Grenzübergang Rafah aus, der sonntags bis donnerstags geöffnet ist. Die Reise durch die Wüste Sinai ist oft langwierig und beinhaltet verschiedene Kontrollen durch ägyptische Sicherheitskräfte.» Quelle: UNOCHA Movement in and out of Gaza: update covering February 2023

(5) 1982–1994.

(6) Jabalia Clinic, Abu Tuameh clinic, Beit Hanoun Clinic, Um Al-Nasser clinic.

(7) Die 1978 gegründete Islamische Universität ist die grösste Universität im Gazastreifen. 

(8) An der Islamischen Universität studieren Studentinnen und Studenten getrennt voneinander.

(9) Im College of Management, Economics, Engineering und Arts and Information Technology.

(10) www.iugaza.edu.ps/en/about-iug/

(11) Auch über die Folgen der Gazakriege wird berichtet. Eine Studentin erzählt, sie sei mit 8 Jahren bei einer Bombardierung an der Brust verletzt worden und habe hospitalisiert werden müssen. Eine andere berichtet, es gebe viele Krebserkrankungen im Gazastreifen, und einer der Studenten fügt an, der Einsatz von Phosphorbomben habe die Krebserkrankungen verstärkt. Auch die Universität sei zweimal bombardiert worden. 2015 habe die israelische Luftwaffe zwei Universitätsgebäude zerstört, die dank arabischer Geberländer wieder aufgebaut worden seien. Auch die israelische Blockade sei ein massives Problem. Eine Reise in die West Bank oder in andere Länder sei kaum möglich. Wenn sie auf Facebook oder anderen sozialen Medien aus dem Gazastreifen berichten wollten, würden sie sofort gelöscht. 

(12) Hebron in der Westbank ist von Gaza-Stadt nur 40 km entfernt. «Um dorthin zu reisen, muss ich über Ägypten und Jordanien in die Westbank nach Hebron reisen», so der Rektor lachend.

(13) Aus dem Projektbeschrieb der PSR: «Hintergrund: Die Menschen im dicht bevölkerten Gazastreifen sind sozial und wirtschaftlich schwierigen Lebensbedingungen ausgesetzt. Seit 15 Jahren leben sie in einer Art Belagerungszustand, und die Grenzen sind geschlossen. Sieben israelische Angriffe hatten massive Zerstörungen von Wasserleitungen, Strassen und elektrischer Infrastruktur zur Folge. Die finanziellen Mittel, diese Schäden nachhaltig zu beheben, fehlen. Die Lage der palästinensischen Bevölkerung ist prekär, insbesondere für Menschen mit Behinderungen. Das Projekt zielt in erster Linie darauf ab, die Lebensbedingungen von Menschen mit Behinderungen sowie ihrer Familien zu verbessern und zu erleichtern, um diesen eine möglichst grosse Unabhängigkeit zu ermöglichen. Bauliche Anpassungen, Licht, elektrischer Strom und sauberes Trinkwasser zuhause leisten dabei einen wichtigen Beitrag.»


Sonntag, 25. Juni 2023
Büchertisch, Olivenöl, Datteln und weitere Produkte aus Palästina
ab 17 Uhr: Palästinensisches Essen 18 Uhr: Vortrag und Diskussion
Kampagne Olivenöl aus Palästina, Kinder in Gaza, Projektbesuche im Gazastreifen und in der West Bank unter dem Eindruck zunehmender Spannung - Solidarität jetzt erst recht!
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Vorschau -- nach der Sommerpause:
Sonntag, 24. September 2023
Blake Alcott: The Rape of Palestine A Mandate Chronology.
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Quartierzentrum Bäckeranlage
Hohlstrasse 67, 8004 Zürich www.cafe-palestine.ch Gesellschaft Schweiz-Palästina / Zürich


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