Was Natur und Musik zeigen – zur Philosophie der Pause

William Marx spielt John Cage’s berühmtes Stück 4:33. Foto: youtube

Ein dickes Fell bekommen. Sich verkriechen. Den Stoffwechsel herunterfahren. Sich in die Höhle zurückziehen. Über den Winter kommen. Von den Reserven leben. Sich aneinander wärmen. Die Natur macht es uns vor, wie Tiere die kalte Jahreszeit überstehen.

Wie kommen wir eigentlich über Zeiten, in denen vieles brach liegt, unter eine Decke begraben, in denen kein Ausweg zu sehen ist oder die Sehnsucht nach einer Insel im Alltag gross wird? Wie überstehen wir Augenblicke der Leere, in denen Inspiration und Kreativität fehlen? Wie können wir unsere Batterien wieder aufladen?
Jedes Konzert beginnt mit einer Pause, kurz vor dem ersten Ton. Ein musikalisches Ereignis setzt Stille voraus. Viele Komponisten sagen sogar, dass die nichtgespielten Noten wichtiger sind als die gespielten. Das berühmte Piano-Stück von John Cage, „4:33“, besteht aus – Stille ohne einen einzigen Ton.
Die Musik folgt mit ihren Pausen den Gesetzen der Natur. Zwischen jedem Atemzug und jedem Herzschlag liegt eine kleine Pause. Nichts in der Natur entwickelt sich stetig und linear, alles unterliegt Schwankungen, Zyklen, Rhythmen. Nur wir Menschen vergessen das manchmal. Deshalb gibt es eine richtige Philosophie der Pause!
Was der Schnee zudeckt, liegt begraben. Aber es kann sich auch erholen und im Frühling wieder neu aufblühen.

„Vom Winter lernen
der Stille zu vertrauen
der Sprengkraft des Unsichtbaren
und dem Sammeln in den Kammern
während der Brachzeit
Vom Winter wieder lernen
sich überschneien zu lassen
ohne Furcht“, so dichtete Eveline Hasler.

Ich wünsche Ihnen gelingende Momente des Rückzugs, der Ruhe und der Atempause, die Erfahrung von Neugeburt dessen, was sich entwickeln will - und hin und wieder Vertrauen in die Stille. Hören Sie sich doch „4:33“ einmal an – es klingt ungewohnt, aber bezaubernd!

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Wolfgang Weigand ist Theologe und Erwachsenenbildner. www.schritte.ch