Willkommen in der Welt der Bullshit-Jobs

Über Arbeit, die eigentlich niemand braucht – aber allen schadet.

Technologien wurden genutzt, um uns noch mehr arbeiten zu lassen. Dafür waren eine Menge nutzlose Arbeitsplätze nötig. (Foto: WikimediaCommons)

John Maynard Keynes machte im Jahr 1930 eine Prophezeiung: Bis zum Ende des Jahrhunderts sei die Technik so weit fortgeschritten, dass Länder wie Grossbritannien oder die Vereinigten Staaten eine 15-Stunden-Woche erreicht haben. Es gibt allen Grund zu glauben, dass er Recht hatte. Technologisch sind wir nämlich bestens gewappnet. Trotzdem hat sich die Prophezeiung nicht erfüllt. Im Gegenteil: Technologien wurden dafür genutzt, uns noch mehr arbeiten zu lassen. Dazu mussten Arbeitsplätze geschaffen werden, die eigentlich nutzlos sind. Heute verbringen viele Menschen ihr ganzes Arbeitsleben mit Aufgaben, von denen sie heimlich glauben, dass sie nicht unbedingt getan werden müssen. Der moralische und seelische Schaden, der dadurch entsteht, wiegt schwer. Er ist eine Narbe in unserer kollektiven Seele. Und fast niemand spricht darüber.

Vom Aufstieg der sinnlosen Arbeit

Warum wurde Keynes’ Utopie nie Wirklichkeit? Die Standardantwort lautet: weil er die massive Zunahme unseres Konsumverhaltens nicht berücksichtigte. Wir hätten statt weniger Arbeitsstunden mehr Spielzeug und Genuss gewählt. Ein schönes Sittenmärchen. Aber nur schon ein Moment der Reflexion offenbart, dass es nicht wirklich wahr sein kann. Es stimmt zwar, dass wir seit den 1920er-Jahren die Entstehung einer endlosen Vielfalt neuer Arbeitsplätze und Branchen erlebten. Doch nur wenige haben mit der Produktion von Sushi, iPhones oder ausgefallenen Turnschuhen zu tun.

Um was für Arbeitsstellen handelt es sich stattdessen? Ein Bericht zur Beschäftigung in den USA zwischen 1910 und 2000 zeigt ein klares Bild. Im Laufe des letzten Jahrhunderts sank die Zahl der Hausangestellten, der in der Industrie und dem Agrarsektor Beschäftigten dramatisch. Gleichzeitig verdreifachte sich die Zahl der «Fachleute, Manager, Sachbearbeiter, Vertriebs- und Serviceangestellten». Sie wuchs «von einem Viertel auf drei Viertel der Gesamtbeschäftigung». Mit anderen Worten: Die produktive Arbeit wurde – wie vorhergesagt – weitgehend automatisiert.

Aber statt der Weltbevölkerung durch eine massive Verkürzung der Arbeitszeit die Freiheit zu geben, eigene Projekte, Genüsse, Visionen und Ideen zu verfolgen, erlebten wir etwas anderes: der gesamte administrative Sektor wurde aufgebläht. Das umfasst die Erfindung vollkommen neuer Industriezweige wie Finanzdienstleistung oder Telefonverkäufe. Und es brachte eine nie dagewesene Explosion von Bereichen wie dem Unternehmensrecht, der Verwaltung von Bildung, Wissenschaft und Gesundheit sowie Personalwesen und Public Relations. Und das schliesst noch nicht einmal alle Stellen mit ein, die diese Branchen administrativ oder technisch unterstützen. Oder ganze Heerscharen von Hilfsindustrien wie Hundesalons oder Rund-um-die-Uhr Pizzalieferdienste, die nur existieren, weil wir alle ständig in den anderen Berufen arbeiten – Berufe, die ich «Bullshit-Jobs» nennen möchte.

Eine Armee von Papierschiebern

Es ist fast so, als gäbe es jemanden, der sich alle möglichen sinnlosen Jobs ausdenkt, nur um uns alle beschäftigt zu halten. Doch das ist ein Rätsel. Denn im Kapitalismus sollte genau das nicht passieren. Klar, in den ehemaligen sozialistischen Staaten wie der Sowjetunion schuf das System so viele Arbeitsplätze, wie nötig waren. Arbeit galt als Grundrecht und heilige Pflicht. Kein Wunder brauchte es in sowjetischen Kaufhäusern drei Angestellte, um ein Stück Fleisch zu verkaufen. Aber genau dieses Problem sollte der Wettbewerb doch lösen. Wollen wir der Lehre der Ökonomie glauben, will eine profitorientierte Firma auf keinen Fall Geld an Arbeitende verteilen, die nicht wirklich nötig sind. Und trotzdem geschieht genau das.
Kündigungen fallen immer auf Menschen, die tatsächlich Dinge herstellen, bewegen, reparieren und warten. Auf wundersame Weise trifft es dabei nie die Papierschieber. Im Gegenteil: Mehr und mehr Menschen arbeiten offiziell 40 oder sogar 50 Stunden die Woche. Dabei arbeiten sie – wie Keynes vorhersagte – effektiv bloss fünfzehn Stunden. Die restliche Zeit organisieren und besuchen sie Motivationsseminare, aktualisieren ihr Facebook-Profil oder laden Fernsehserien herunter.

Die Antwort auf unsere Frage ist also ganz offensichtlich nicht ökonomisch. Sie ist moralisch und politisch. Die herrschende Klasse fand heraus, dass eine glückliche und produktive Bevölkerung mit Freizeit eine tödliche Gefahr darstellt. Und die Idee, dass Arbeit an sich ein moralischer Wert ist und dass alle, die sich nicht tagein, tagaus einer intensiven Arbeitsdisziplin unterwerfen wollen, nichts erwarten dürfen, kommt ihr sehr gelegen.

Fische braten statt Schränke bauen

Als ich einmal über das scheinbar endlose Wachstum administrativer Verpflichtungen in britischen akademischen Abteilungen nachdachte, stellte ich mir eine mögliche Version der Hölle vor. Die Hölle ist eine Ansammlung von Individuen, die den Grossteil ihrer Zeit damit verbringen, eine Aufgabe zu erledigen, die ihnen nicht gefällt und die sie nicht besonders gut erledigen können.

Nehmen wir einmal an, du wurdest eingestellt, weil du eine ausgezeichnete Schreinerin bist. Dann findest du heraus, dass von dir erwartet wird, die meiste Zeit Fisch zu braten. Nur braucht diese Arbeit gar nicht wirklich erledigt zu werden, denn es gibt bloss eine begrenzte Menge Fisch, die gebraten werden kann. Und gleichzeitig sind alle von einem unterschwelligen Groll besessen. Es könnte ja sein, dass manche mehr Zeit damit verbringen, Schränke zu bauen und dabei nicht ihren angemessenen Anteil am Fischebraten übernehmen. So stapeln sich in der Werkstatt die nutzlosen, schlecht gebratenen Fische. Ich denke, das ist eine ziemlich genaue Beschreibung der moralischen Dynamik unserer Wirtschaft.

Du glaubst es doch selber!

Ich höre schon die Einwände: «Woher nimmst du dir das Recht, manche Jobs als wirklich notwendig zu bezeichnen? Was bedeutet überhaupt ‹notwendig›? Du bist doch Anthropologieprofessor. Wo ist der ‹Bedarf› dafür?» Irgendwie stimmt das ja auch. Es kann kein objektives Mass von sozialem Wert geben. Es fiele mir im Traum nicht ein, einem Menschen, der überzeugt ist, einen sinnvollen Beitrag zum Wohl aller zu leisten, zu sagen, dass dem nicht so ist. Aber was ist mit jenen, die selbst davon überzeugt sind, dass ihre Arbeit sinnlos ist? Vor nicht allzu langer Zeit traf ich einen Schulfreund, den ich nicht mehr gesehen hatte, seit ich zwölf war. Ich entdeckte erstaunt, dass er in der Zwischenzeit zuerst Dichter und dann der Kopf einer Indie-Rockband war. Ich hatte sogar einige seiner Songs am Radio gehört, ohne zu wissen, dass ich den Sänger kannte. Er war offensichtlich brillant und innovativ. Und seine Arbeit hat zweifellos das Leben von Menschen auf der ganzen Welt bereichert.

Doch nach einigen erfolglosen Alben verlor er seinen Vertrag. Von Schulden geplagt und mit einer neugeborenen Tochter landete er – wie mein Freund es formulierte – in «der Standardoption vieler orientierungsloser Menschen: der juristischen Fakultät». Jetzt ist er Firmenanwalt und arbeitet in einer renommierten New Yorker Kanzlei. Er gab als erster zu, dass sein Job völlig sinnlos sei, nichts zur Welt beiträgt und den es nach seiner eigenen Einschätzung gar nicht braucht.

Wut gegen sinnvolle Arbeit

Hier stellen sich einige Fragen. Zum Beispiel: Was sagt es über unsere Gesellschaft aus, dass sie eine extrem begrenzte Nachfrage nach talentierten Musikern zu erzeugen scheint, aber eine scheinbar unendliche Nachfrage nach Spezialistinnen im Wirtschaftsrecht? Die Antwort: Wenn ein Prozent der Population den grössten Teil des Vermögens kontrolliert, spiegelt der «Markt» das wider, was diese für nützlich oder wichtig hält.

Die Geschichte zeigt aber noch deutlicher: Die meisten Menschen in diesen Berufen wissen letztendlich Bescheid. Ich bin mir nicht sicher, ob ich je eine Unternehmensberaterin getroffen habe, die ihren Job nicht sinnlos fand. Und das Gleiche gilt für fast alle oben erwähnten Industrien. Es gibt eine ganze Reihe bezahlter Angestellter, die es lieber vorziehen, nicht über ihre eigene Arbeit zu sprechen, solltest du sie jemals auf einer Party treffen und zugeben, eine interessante Tätigkeit zu verüben – beispielsweise als Anthropologe zu arbeiten. Aber spendiere ihnen einfach ein paar Drinks und sie werden sich in Tiraden stürzen, wie sinnlos und bescheuert ihr Job wirklich ist.

Wir haben es hier mit tiefgreifender psychologischer Gewalt zu tun: Wie kann jemand auch nur ansatzweise von einer würdigen Arbeit sprechen, wenn die Person insgeheim glaubt, der eigene Arbeitsplatz brauche gar nicht zu existieren? Wie soll das nicht zu tiefer Wut und Ressentiments führen?
Es ist der seltsame Erfindergeist unserer Gesellschaft, dass die Mächtigen einen Weg gefunden haben – wie im Fall der gebratenen Fische –, um die Wut gegen diejenigen zu richten, die tatsächlich sinnvolle Arbeit leisten dürfen. In unserer Gesellschaft scheint es eine Regel zu geben: Je mehr eigene Arbeit anderen Menschen zugutekommt, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass man dafür bezahlt wird.

Verhangen im Status Quo

Natürlich ist es auch hier schwierig, ein objektives Mass zu finden. Eine einfache Frage hilft: Was würde passieren, wenn sich diese ganze Klasse von Menschen einfach in Luft auflösen würde? Sie können über Pflegepersonal, Abfallfrauen oder Handwerker denken, was sie wollen. Es ist offensichtlich, dass die Ergebnisse sofort katastrophal wären, wenn diese vom Erdboden verschluckt würden. Eine Welt ohne Lehrpersonen und Hafenpersonal käme bald in Schwierigkeiten. Und auch eine ohne Ska-Musikerinnen und Science-Fiction-Autoren wäre eindeutig ein traurigerer Ort.

Doch es ist nicht ganz klar, inwiefern die Menschheit ohne Vermögensverwaltungs-CEOs, Lobbyistinnen, PR-Forschende, Versicherungsexperten, Telefonverkäuferinnen, Gerichtsvollzieher oder Rechtsberaterinnen leiden würde. Im Gegenteil, viele vermuten, dass das eine deutliche Verbesserung wäre. Was noch perverser ist: Die Ansicht ist weit verbreitet, dass alles so ist, wie es sein muss. Das ist eine heimliche Stärke des Rechtspopulismus. Das wird etwa deutlich, wenn während Vertragsstreitigkeiten die Boulevardzeitungen Unmut schüren, wenn Londons U-Bahn-Personal streikt. Allein die Tatsache, dass diese Arbeitenden London zum Stillstand bringen können, zeigt, dass ihre Arbeit tatsächlich notwendig ist. Aber genau das scheint die Menschen zu nerven.

Möchte jemand ein Arbeitsregime erschaffen, das die Macht des Finanzkapitals perfekt erhält, dann könnte er es nicht besser machen: echte, produktive Arbeitende werden unerbittlich ausgequetscht und ausgebeutet. Der Rest teilt sich auf in eine terrorisierte Schicht der allgemein verhassten Arbeitslosen und eine grössere Schicht, die im Grunde genommen für nichts bezahlt wird. Offensichtlich hat niemand dieses System bewusst entworfen. Es entstand aus einem Jahrhundert voller Versuch und Irrtum. Aber es ist die einzige Erklärung dafür, warum wir trotz unserer technischen Möglichkeiten nicht alle nur noch drei bis vier Stunden am Tag arbeiten.    

(Übersetzung: Florian Wüstholz)

_______________
David Graeber ist Anthropologe, Aktivist und Autor. Dieser Essay erschien ursprünglich 2013 im Magazin «Strike!». In der Zwischenzeit hat er seine Überlegungen in ein Buch verpackt, das 2018 auf Deutsch erschien: «Bullshit-Jobs. Vom wahren Sinn der Arbeit», Verlag Klett-Cotta, 464 S., CHF 38.90.