Mobilfunk-Experte unter Druck

22 Krebsforscher und Biologen aus 13 Ländern werfen dem führenden Elektrosmog-Experten des Bundes, Prof. Martin Röösli, «wissenschaftliches Fehlverhalten» und «Interessenkonflikte» vor.

Prof. Martin Röösli (Foto: Schweiz. Tropen-Institut)

In einem Brief vom 7. Januar fordern sie Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga auf, in Erwägung zu ziehen, ihn «von seinen Aufgaben als objektiver Experte auf dem Gebiet gesundheitlicher Auswirkungen von Hochfrequenzstrahlung und elektromagnetischen Feldern zu entbinden».

Martin Röösli, ausserordentlicher Professor am Tropen-Institut in Basel nimmt eine einzigartige Stellung in der Diskussion um die Wirkungen elektromagnetischer Strahlung in der Schweiz ein. Er ist Präsident der BERENIS, der beratenden Expertengruppe für nicht-ionisierende Strahlung; er ist Mitglied der «Arbeitsgruppe Mobilfunk und Strahlung»; bis vor kurzem war er Stiftungsrat der «Forschungsstiftung Strom und Mobilkommunikation», die hauptsächlich von der Mobilfunkindustrie und der Elektrizitätswirtschaft finanziert wird; er ist Mitglied der ICNIRP, der privaten «Internationalen Kommission für den Schutz vor nichtionisierender Strahlung», die entgegen der Erkenntnis zahlreicher Forscher noch immer die mobilfunkfreundliche Ansicht vertritt, Gefahren von elektromagnetischer Strahlung würden erst bei der Erwärmung von Gewebe auftreten.

Eindeutige Erkenntnisse sind schwierig zu erlangen, weil sich die Technologie sehr schnell entwickelt und Wirkungen in der Regel erst verzögert auftreten.

Die Diskussion um die Erhöhung der Grenzwerte, wie sie für den 5G-Standard nötig sind, bewegt sich zur Hauptsache auf wissenschaftlicher Ebene. Es geht dabei um die biologischen Wirkungen elektromagnetischer Strahlung und welche Studien für die Beurteilung überhaupt herangezogen werden. Eindeutige Erkenntnisse sind schon deshalb schwierig zu erlangen, weil sich die Technologie sehr schnell entwickelt und Wirkungen in der Regel erst verzögert auftreten. Ein Gehirntumor entsteht schliesslich nicht nach einem einzigen Mobilfunktelefonat; zudem gibt es eine grosse Bandbreite von Empfindlichkeiten. Die von der Mobilfunkindustrie finanzierten Studien – und Martin Röösli hat einige davon durchgeführt – macht sich diese Umstände zunutze, indem sie die Versuchsgruppen, die untersuchten Phänomene und die Beobachtungszeiträume zu ihrem Nutzen festlegt.

Das Ergebnis ist eine tiefgreifende wissenschaftliche Kontroverse. Auf der einen Seite stehen unabhängige Forscher mit einer Vielzahl von besorgniserregenden Erkenntnissen von Zellstörungen über erhöhte Tumorbildung bis zu Schlaflosigkeit bei Menschen und Orientierungsschwierigkeiten bei Insekten. Industrienahe Wissenschaftler auf der anderen Seite stellen sich auf den Standpunkt, die Erkenntnisse seien nicht gesichert. Oder, wie es Martin Röösli in einer Meta-Studie vom April 2019 formuliert: «Zusammenfassend lässt sich sagen, dass epidemiologische Studien nicht auf ein erhöhtes Hirn- oder Speicheldrüsentumorrisiko bei Verwendung von Mobiltelefonen hindeuten, obwohl eine gewisse Unsicherheit hinsichtlich langer Latenzzeiten (>15 Jahre), seltener Hirntumor-Subtypen und der Verwendung von Mobiltelefonen in der Kindheit besteht.» Um zu diesem beschönigenden Schluss zu kommen, hat Martin Röösli auch international stark kritisierte Studien berücksichtigt und andere vernachlässigt, wie der schwedische Onkologe Prof. Lennart Hardell und 22 Mitunterzeichner, darunter zehn Professorinnen und Professoren in ihrem Brief an Bundespräsidentin Sommaruga schreiben.

Weder Laien noch Politiker können sich in dieser komplexen wissenschaftlichen Diskussion ein eigenes zuverlässiges Bild der Lage machen. Deshalb sind Experten wie Martin Röösli so entscheidend. Und deshalb sei es auch so wichtig, dass bei Experten in öffentlichem Auftrag «keine derart offensichtlichen Interessenkonflikte oder Voreingenommenheit bestehen, wie es bei Martin Röösli der Fall ist», wie die Wissenschaftler in ihrem Brief schreiben.

Prof. Martin Röösli unterstreicht auf Anfrage, dass seine Forschungsarbeiten nicht von der Industrie, sondern nur über öffentliche Gelder oder durch gemeinnützige Organisationen finanziert würden. Zu den gemeinnützigen Quellen zählt er namentlich die Forschungsstiftung Strom und Mobilkommunikation (FSM), deren Gelder aber zur Hauptsache aus der Industrie stammen. Auch das Schweiz. Tropen-Institut, der Arbeitgeber von Martin Röösli, wird von der Swisscom finanziell unterstützt. Röösli ist überzeugt, dass die Kosten der Risikoforschung des Mobilfunks nicht allein der öffentlichen Hand überlassen werden dürfen, sondern von der Mobilfunkindustrie mitfinanziert werden sollten.

Man kann sich aber durchaus transparentere Finanzierungen vorstellen als eine private Stiftung. So könnte die öffentliche Hand Forschungsaufträge an industrie-unabhängige Institute erteilen und die Kosten der Mobilfunkindustrie in Rechnung stellen.  Das würde für wesentlich mehr Transparenz sorgen als eine industrie-finanzierte Stiftung, die Stiftungsrat und Geschäftsführung nach eigenem Gusto besetzt, selbst wenn das Personal nominell unabhängig ist und nicht aus der Industrie stammt. Der Grundsatz «wer zahlt, befiehlt» dürfte auch diesem Fall nicht ohne Wirkung sein.

Der Brief  entstand in Zusammenarbeit zwischen Lennart Hardell und dem Musiker, Projekt-Manager und umstrittenen 5G-Aktivisten Reza Ganjavi aus Kalifornien. Hardell kritisiert in seinem Brief u.a., dass seine eigenen Studien zu den Tumorrisiken des Mobilfunks von Martin Röösli nicht berücksichtigt wurden.
Übersetzt und verschickt wurde der Brief vom Berner Unternehmer und 5G-Aktivist Christian Oesch, der zu den letzten eidg. Wahlen auf der Liste «5G-ade» antrat. Sein Ziel ist eine direkte Disputation zwischen Wissenschaftlern aus beiden Lagern.

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Christoph Pfluger

Submitted by admin on Do, 07/13/2017 - 08:33

Christoph Pfluger ist seit 1992 der Herausgeber des Zeitpunkt. "Als Herausgeber einer Zeitschrift, deren Abobeitrag von den Leserinnen und Lesern frei bestimmt wird, erfahre ich täglich die Kraft der Selbstbestimmung. Und als Journalist, der visionären Projekten und mutigen Menschen nachspürt weiss ich: Es gibt viel mehr positive Kräfte im Land als uns die Massenmedien glauben lassen".

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