Die Welt ist nicht zu retten. Wer auf die Hoffnung setzt, dass sich eine Situation oder andere Menschen verändern, der hat bereits verloren. Welche Chance wir trotzdem haben, schreibt die Autorin unserer Samstagskolumne.

Sixtinische Kapelle
In der Sixtinischen Kapelle versucht Michelangelos Gott schon sehr lange, den Menschen zu berühren.

Es stimmt. Die Welt ist nicht besser geworden in den vergangenen Jahren. Die Gefahr eines Weltkrieges ist aktueller denn je. Keines der grossen Umweltprobleme ist gelöst, die Regenwälder werden weiter abgeholzt, Gewalt, Hunger, Ausbeutung, Unterdrückung, Verstümmelung und Vertreibung gehören zum Alltag von Milliarden von Menschen. Auf der einen Seite leiden die, denen Unvorstellbares angetan wird, und auf der anderen die, die nichts dagegen tun können. Alle zusammen sind wir von Entsetzen, Wut und Ohnmacht erfasst.

Ist es in Zeiten der globalen Zerstörung nicht geradezu unangebracht, optimistisch zu sein?

Viele der bis jetzt Unermüdlichen, die gegen die Abscheulichkeiten anschreiben, die eine kleine Elite der Menschheit und allem Lebendigen auf dem Planeten antut, sind erschöpft. Seit Jahren engagieren sich Journalisten und Autoren in den unabhängigen Medien dafür, über die Hintergründe aufzuklären, die nicht in den grossen Medien zu finden sind. Oft tun sie es ehrenamtlich und unentgeltlich. Mancher mag sich heute wie ein Ritter der traurigen Gestalt fühlen, der gegen Windmühlen ankämpft.

Ich gehöre zu denen, die immer noch schreiben. Habe ich mich wie der Mann aus der Mancha in Fantasien einer Welt verloren, die nicht ist und vielleicht nie sein wird? Träume ich Idealen hinterher, die zu Hirngespinsten verkümmert sind? Ist es in Zeiten der globalen Zerstörung nicht geradezu unangebracht, optimistisch zu sein?

Niemand wird unseren Job an unserer Stelle tun. Wir sind dran!

Dafür und nicht dagegen

Die Lage der Welt, wie ich sie sehe, ist hoffnungslos. Wir sind tatsächlich nicht zu retten. Hier setzt meine Zuversicht an. Möge sich die Büchse der Pandora nicht noch einmal öffnen. Möge nicht die Hoffnung als letztes aller Übel entfliehen. Wer auf die Hoffnung setzt, dass sich eine Situation oder andere Menschen verändern, der hat verloren. Denn er trennt sich von seiner Kraft. Andere sollen ihn retten: ein gemeinwohlinteressierter Politiker, ein einsichtiger Kriegsherr, eine erwachende Masse, eine Himmelsmacht, die gerade nichts Besseres zu tun hat, als die Menschheit in die fünfte Dimension zu hieven.

Niemand wird unseren Job an unserer Stelle tun. Wir sind dran! Ja, die Lage ist furchtbar. Die Welt, wie sie jetzt gerade ist, ist für jedes fühlende Wesen kaum zu ertragen. Doch wie schlimm soll es noch werden? Reicht es nicht langsam? Reicht es nicht mit all dem Unglück? Reicht es nicht, um endlich zu erkennen, dass wir jetzt gefragt sind? Nicht, um gegen die Umstände anzuschreiben. Sondern um etwas damit zu machen.

Machen wir es wie der Erzengel, dessen Fuss auf dem Kopf der Lebenden ruht. Er weiss genau, dass er den Drachen nicht besiegen kann. Die ungebändigte Kraft unter seinem Fuss ist nicht tot. Sie ist am Leben. Sie gehört zur kosmischen Ordnung. Gegen sie können wir nicht ankämpfen. Doch mit unserer inneren Haltung, mit der Position, die wir einnehmen, können wir sie zähmen und uns zunutze machen.

«Wenn du dagegen bist, hast du verloren», sagt Marianne Sébastian, Gründerin von Voix Libres, die ihr Leben den Strassenkindern in den Bergbauminen widmet. Was wir bekämpfen, nähren wir mit unserer Aufmerksamkeit.

Der meditierende Buddha hat die Augen einen Spalt breit geöffnet. Er nimmt wahr, was draussen passiert. Doch er weiss, dass sich das Eigentliche in seinem Inneren abspielt.

Der Alchemist wirft das Blei nicht fort, das Dunkle, Bedrohliche. Er macht sich daran, das innere Gold freizulegen, damit es sich auch im Aussen manifestieren kann.

 

Nicht mein Krieg!

So wie wir uns weigern können, Feinde zu sein, so können wir den Zerstörern dieser Welt unsere Verzweiflung verwehren. Geben wir ihnen nicht, was sie wollen! Schlucken wir den Köder nicht. Lassen wir uns nicht herunterziehen. Sondern besinnen wir uns auf das, was uns ursprünglich zur Verfügung steht: unsere Schöpferkraft.

«Wir sind einfach göttlich», schreibt die Mathematikerin Ingrid Rasselenberg. (1) Dieses Attribut macht uns zu den Schöpfern von Welten, wenn wir nur endlich dort ansetzen, wo wir etwas ausrichten können: bei uns selbst.

Wir sind die, auf die wir gewartet haben. Schaffen wir in uns das, was wir im Aussen sehen wollen. Gehen wir durch unseren eigenen Unfrieden, unsere eigene Dunkelheit hindurch. Sehen wir die Kriege, die wir in uns selbst führen, die Wüsten, die wir in unserem Inneren geschaffen haben, den Hunger, den wir leiden, die Gewalt, die wir uns antun, die Flucht, auf der wir ständig sind, um es nicht zu sehen. Wenn es uns gelingt, auch das zu integrieren, was wir nicht sein wollen, dann müssen die Ereignisse in der Aussenwelt uns nicht ständig daran erinnern. Dann hören auch hier die Kriege auf, die Unterdrückung und die Ungerechtigkeiten.

Wer nun meint, das dauere ihm zu lange, der mag sich weiterhin entmutigen lassen und immer mehr in die Tiefe gleiten. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Jeder entscheidet, wie er leben will und tut, was er für richtig hält. Doch ich für meinen Teil habe beschlossen, in mir das zu nähren, was ich will und nicht das, was ich nicht will. Mögen andere sich daran stossen. Ich halte es mit dem Narren im Kartenspiel Tarot. Die Hose von Hunden zerrissen, geht er pfeifend voran. Narr oder Weiser – das wird sich am Ende des Spiels herausstellen.

 

Mit leichtem Gepäck

Was ich tun kann ist, das Feld sauber zu halten, an dem ich mitwirke. Ich kann darauf achten, was hier wächst. Anstatt das Informations-Junkfood in mich hineinzustopfen, was mir über alle Kanäle serviert wird, kann ich Gedankenhygiene betreiben. Das erscheint zu wenig? Was soll das schon bringen? Das müssten ja alle tun, damit sich in der Welt etwas verändert? Und da es nicht alle tun werden, fängt mancher gar nicht erst an und beschränkt sich darauf, sich zu beschweren.

Ich möchte mit leichtem Gepäck reisen. So tue ich das, was mir als die grösste Aufgabe erscheint, die ein Mensch auf der Erde hat: das Terrain zu bereiten, damit das Höchste nach unten kommen mag, um es zu befruchten. Was daraus erwächst, das liegt nicht an mir. So kann ich mich entspannen und mich dem widmen, was mir Freude macht. Trotz allem. Oder gerade wegen allem.

Wir haben gesehen, was passiert, wenn wir immer mehr an unserer Welt herumschrauben. Benutzen wir nun die uns innewohnende Kraft, um in uns klar Schiff zu machen. So nehmen wir den zerstörerischen Kräften den Wind aus den Segeln und erkennen: Was wir für Riesen hielten, sind vielleicht nur Windmühlen, nur heisse Luft, die uns nichts anhaben kann, wenn wir ihnen unsere Energie entziehen und dorthin lenken, wo wir hinwollen.


1) Ingrid Rasselenberg: «Ich bin einfach göttlich: Ein zahlenphysikalischer Leitfaden zur heilsamen Selbsterkenntnis», BoD 2020


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Über

Kerstin Chavent

Submitted by cld on Mi, 05/17/2023 - 22:38
Kerstin Chavent

Kerstin Chavent lebt in Südfrankreich. Sie schreibt Artikel, Essays und autobiographische Erzählungen. Auf Deutsch erschienen sind bisher unter anderem Die Enthüllung,  In guter Gesellschaft, Die Waffen niederlegen, Das Licht fließt dahin, wo es dunkel ist, Krankheit heilt und Was wachsen will muss Schalen abwerfen. Ihre Schwerpunkte sind der Umgang mit Krisensituationen und Krankheit und die Sensibilisierung für das schöpferische Potential im Menschen. Ihr Blog: „Bewusst: Sein im Wandel“.