Wirtschaft darf öffnen – Volksrechte bleiben beschränkt

Jetzt müssen auch die Regeln für Demonstrationen angepasst werden. Das fordert Amnesty International.

Uneinig: Die Stadt bewilligte, der Kanton verbot Demonstration in Zürich./zvg

Seit dieser Woche ist klar: Eine politische Demonstration ist keine Veranstaltung. Auch in Zeiten von Corona-Notrecht sind also Einzelaktionen mit bis zu fünf Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit dem nötigen Abstand erlaubt. Diese Präzisierung machte der Corona-Delegierte des Bundesamtes für Gesundheit (BAG), Daniel Koch. Der Stadtberner Polizeidirektor machte im «Echo der Zeit» aber sofort klar: Würden mehrere Fünfergruppen in einer koordinierten Aktion demonstrieren, würde diese Aktion wieder aufgelöst. Denn gemäss Bundesamt für Justiz würden die Aktionen räumlich und inhaltlich sonst eine Einheit bilden und somit noch immer unter das Veranstaltungsverbot fallen.

Bereits anfangs Mai hat Amnesty International Schweiz klare Richtlinien für Äusserungen im öffentlichen Raum gefordert. «Die Meinungsäusserungsfreiheit ist ein hohes Gut und mit dem faktischen Totalverbot von Demonstrationen ist der Bundesrat über das Ziel hinausgeschossen», erklärt Mediensprecher Beat Gerber. Dass nun das Demonstrieren in Fünfergruppen mit den nötigen Abstandsregeln und Schutzmassnahmen möglich sind, begrüsst er. Aber: «Es stehen weitere Öffnungsschritte an und wir erwarten vom Bundesrat, dass er auch zu Demonstrationen eine klare Regelung schafft, die die Grundrechte respektiert.»

Die zuständige Bundesrätin, Karin Keller-Sutter, hat in der Samstagsrundschau von SRF bereits Position bezogen: Sie könne sich nicht vorstellen, dass der Bundesrat Notrecht neu erlasse. Vielmehr gehe es darum, die Bestimmungen in der Herbstsession durchs Parlament in ordentliches Recht zu überführen. Die Vorsteherin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements hofft aber, dass das Versammlungsverbot gelockert werde, da im Herbst Abstimmung anstünden, und «der Austausch» mit der Bevölkerung im Vorfeld wichtig sei. «Es ist nun am Departement des Innern Anträge zu stellen», spielt sie den Ball auch gleich weiter. Und: Wie Demonstrationen zu handeln seien, liege im Ermessen der Polizei.

Die Entscheidung den einzelnen Polizeikorps zu überlassen, heisst aber einfach, den schwarzen Peter weiterzureichen.

In einem Interview im «Echo der Zeit» forderte der Staatsrechtler Markus Schefer, der Bundesrat müsse die Notverordnung präszisieren, da sie «etwas missverständlich» sei: «So könnte er ausdrücklich zu politischen Veranstaltungen Stellung nehmen. Er könnte einen Rahmen formulieren, in dem solche Kundgebungen bewilligt werden könnten.» Und weiter: «Versammlungen sind ein ausserordentlich wichtiges Element der schweizerischen Demokratie. Das zeigt sich schon nur in ihrer Häufigkeit. Sie sind niederschwellig für alle Leute zugänglich, relativ kostengünstig und haben eine intensive öffentliche Wirkung.» Deshalb sei es nicht zulässig, Versammlungen mit dem Argument zu verbieten, man könne sich ja auf anderem Weg Äusserungen verschaffen.

Wie unklar die Lage ist, zeigte der Kanton Zürich: Die Stadt wollte eine Demonstration von Gegnern des Corona-Regimes bewilligen, der Kanton pfiff sie zurück und verbot die Demonstration. In Bern wurden Demonstrationen an einem Wochenende geduldet, am anderen Wochenende aufgelöst. Wie man gesundheitspolitisch «sicher» demonstrieren kann, bewiesen am letzten Samstag Klimajugendliche, die sich - mit Masken bewehrt und in gebührendem Abstand vor dem Zytgloggeturm in Bern auf den Boden legten. Die Berner Polizei hat daraufhin ihre Personalien festgestellt und die Demo aufgelöst.

Beat Gerber von Amnesty International sagt, dass die verwirrende Rechtslage vermutlich mitverantwortlich für das ungleiche Eingreifen der Polizei war. «Es ist stossend, dass der Bundesrat wirtschaftliche Öffnungen genehmigt, nicht aber die Meinungsäusserungsfreiheit von Beginn weg mitberücksichtigt» Bereits heute gebe es strenge Vorlagen, um eine Demonstration durchzuführen. «Jetzt müssen Kundgebungen wieder erlaubt werden, wenn sie keine Gefahr für die öffentliche Gesundheit darstellen.»