75 Jahre Menschenrechtserklärung – und 75 Jahre UNO-Resolution 194

Nur einen Tag nach der Menschenrechtserklärung verabschiedete die UN-Generalversammlung eine Resolution zur Beilegung des Israel-Palästina-Konfliktes. Israel stimmte zu; nur deshalb durfte es der UNO beitreten.

Eleanor Roosevelt hält die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (UDHR) hoch
Eleanor Roosevelt hält die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (UDHR) hoch, New York, 1948. © United Nations Photo/Flickr

Heute, 75 Jahre nach den beiden Erklärungen, scheint die Erfüllung beider weiter entfernt zu sein denn je. Besonders in Kriegen scheinen die Menschenrechte ausser Kraft gesetzt – doch noch niemals so krass wie aktuell in Gaza. Die zivile Bevölkerung wurde als «menschliche Tiere» bezeichnet – es werde «keinen Strom, keine Lebensmittel, keinen Treibstoff» geben. Gaza ist mittlerweile so zerstört wie Dresden im Zweiten Weltkrieg (sagt Robert Pape, amerikanischer Luftkriegsexperte); 90% der Bevölkerung im Norden hungert; noch nie wurden in einem Krieg in so kurzer Zeit so viele Frauen und Kinder getötet. Inzwischen herrschen in Gaza apokalyptische Zustände, in der es auch keine Infrastruktur gibt, die die Kriegsopfer zentral erfassen könnte. Dabei wurde das angebliche Ziel, die Hamas und ihre Infrastruktur, die Tunnel, zu zerstören, noch kaum angegangen: «Nur ein sehr geringer Prozentsatz der Tunnel ist bisher zerstört», sagte Yaakov Amidror, der ehemalige Sicherheitsberater Netanyahus, Anfang Dezember dem Spiegel. Wo seid ihr, Menschenrechte???

Auch die meisten Forderungen der Resolution 194 sind bis heute nicht erfüllt. Die genaue Bedeutung und zeitliche Umsetzung der Resolution wurde von Anfang an heftig diskutiert. Ägypten, Irak, Libanon, Saudi-Arabien und Jemen stimmten deshalb auch gegen die Resolution.

Heiss diskutiert war vor allem Artikel 11 zum Rückkehrrecht: Die Generalversammlung...

...beschließt, dass denjenigen Flüchtlingen, die zu ihren Wohnstätten zurückkehren und in Frieden mit ihren Nachbarn leben wollen, dies zum frühestmöglichen Zeitpunkt gestattet werden soll und dass für das Eigentum derjenigen, die sich entscheiden, nicht zurückzukehren, sowie für den Verlust oder die Beschädigung von Eigentum, auf der Grundlage internationalen Rechts oder nach Billigkeit von den verantwortlichen Regierungen und Behörden Entschädigung gezahlt werden soll; beauftragt die Schlichtungskommission, die Repatriierung, Umsiedlung / Wiederansiedlung (resettlement) und ökonomische sowie soziale Rehabilitation der Flüchtlinge und die Zahlung von Entschädigung zu ermöglichen (…)

 

Der Streit um das Rückkehrrecht der in der Nakba («Katastrophe» - das arabische Wort für die Vertreibung von 1948) geflohenen Palästinenser führte später auch zum Scheitern der Osloer Friedensverträge von 1993. 

Israel legte die Sätze so aus, den Flüchtlingen «sollte erlaubt werden», zum «frühest möglichen Termin» in ihre Heimat zurückzukehren. Dies sei nur eine Empfehlung, die sich auch nur auf jene beziehe, die «es wünschen, (...) im Frieden mit ihren Nachbarn zusammen zu leben». Schon der frühere Ministerpräsident Israels, David Ben-Gurion, bestand in einem Gespräch mit den Mitgliedern der Versöhnungskommission darauf, dass, solange Israel nicht auf den Willen der arabischen Staaten setzen könne, «in Frieden mit ihren Nachbarn» zu bleiben, die Wiederansiedlung der Flüchtlinge für sein Land keine Verpflichtung sei. Ben-Gurion begründet dies mit der Weigerung der arabischen Staaten, Israel anzuerkennen.

Wie es um die Menschenrechte in Gaza steht, erfuhr kürzlich der Schweizer Ueli Schwarzmann als Menschenrechtsbeobachter des Weltkirchenrates. Aus seinem Bericht:

«Kürzlich war ich mit einer Delegation in Gaza. Der Begriff Freiluftgefängnis ist zutreffend. Auf engem Raum leben sehr viele Menschen. Gewaltige wirtschaftliche Probleme und eine grosse Arbeitslosigkeit existieren. Wir trafen uns mit Studentinnen und Studenten. Sie erzählten von ihren Zukunftsvorstellungen, obwohl sie sich ihrer schwierigen Situation bewusst waren. Eine junge Frau meinte, «ohne Hoffnung kann ich nicht leben».

Wir begegneten Kindern, die neugierig auf uns Fremde zukamen, lachend und strahlend. Ich traf Menschen, die sich sehr kritisch über die Hamas äusserten. Andere waren der Meinung, dass die Hamas sie gegen Israel verteidige. Unterdessen wird Gaza dem Erdboden gleichgemacht. Erstaunt es uns, dass diese unwürdige Situation in Gaza und im Westjordanland zu Hass und Verbitterung führt? Wenn die israelische Regierung meint, dass sie in Gaza alle Hamas-Kämpfer wird töten können, so täuscht sie sich wohl. In einer solchen Situation wächst Extremismus. Dies ist der Nährboden, auf dem junge Männer rekrutiert und zu «Kämpfern» ausgebildet werden.

Stimmen in der Politik und in den Medien empören sich häufig, wenn auf die aktuelle Situation der Palästinenserinnen und Palästinenser hinge- wiesen wird. Es wird vorschnell Antisemitismus und linke Politik vermutet und auf eine ungerechtfertigte Kontextualisierung hingewiesen. Welch eine Doppelmoral! Wie kann das Leid der einen betrauert und das Leid der anderen verschwiegen werden? Kürzlich habe ich an einer Manifestation in Zürich u.a. mit jüdischen und palästinensischen Menschen teilgenommen. Das Motto war: «Für einen gerechten Frieden in Israel und Palästina.»

Eine wichtige Forderung. Wir haben keine andere Wahl. Oder wie sich jene Studentin in Gaza ausdrückte: «Ohne Hoffnung kann ich nicht leben.»

Die Charta der universellen Menschenrechte braucht auch unsere Hoffnung und unser Mitwirken. Eleanor Roosevelt sagte damals:

Wo beginnen die universellen Menschenrechte? An den kleinen Orten, nahe dem eigene Zuhause. So nah und so klein, dass diese Orte auf keine Weltkarte zu finden sind. Und doch sind diese Plätze die Welt des Einzelnen: die Nachbarschaft, in der wir leben, die Schule oder die Universität, die wir besuchen, die Fabrik, der Bauernhof oder das Büro, in dem wir arbeiten. Das sind die Orte, wo jeder Mann, jede Frau und jedes Kind gleiche Rechte, gleiche Chancen und gleiche Würde ohne Diskriminierung sucht. Wenn diese Rechte hier nicht gelten, gelten sie nirgendwo. 

 

 


 


Lesen Sie im Zeitpunkt auch:

Was wirklich antisemitisch ist

Jüdische Demonstranten in New York fordern sofortigen Waffenstillstand

Habeck: «Nicht die Zeit, über Frieden zu sprechen.»

«Das Böse ist in der Mitte der israelischen Gesellschaft angekommen»