Alle Untertassen im Schrank

Man macht sich so einige Gedanken, wenn man über gesichtete UFOs liest. Auch Goethe schrieb vor langer Zeit von «leuchtenden Gestalten». So what? Kolumne.

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Seit das Pentagon im Juni dieses Jahres einen ersten offiziellen Bericht über militärische Sichtungen von UFOs veröffentlicht hat, sind fliegende Untertassen ein Thema, dessen Erwähnung nicht mehr automatisch zu der Frage führt, ob man noch alle Tassen im Schrank hat. Dass die «Unidentified Flying Objects» jetzt auch UAP – «Unidentified Aerial Phenomena» – genannt werden, hat zur Klärung des Rätsels um die unidentifizierten Lufterscheinungen indessen noch nicht viel beigetragen. Sicher ist nur, dass die Zeugen, die diese Phänomene aus ihren Flugzeugen und an Radarschirmen beobachteten, keiner messianischen Sekte angehören, die auf die Ankunft von Aliens wartet, sondern um hartnäckige Kampfpiloten, geschultes militärisches und aeronautisches Personal. Nüchterne Beobachter also, die übereinstimmend von unerklärlichen, allen bekannten Naturgesetzen zuwider laufenden Bewegungen dieser Objekte berichten.

«Limitierte Daten lassen die meisten UAP ungeklärt», heisst es allerdings gleich in der Einleitung des Berichts, was die Frage aufwirft, ob das US-Verteidigungsministerium mit dieser wenig erhellenden Publikation einfach nur auf allfällige Budgeterhöhungen schielt, um für einen Krieg im Weltraum aufzurüsten. Da Joe Biden den Kriegsetat gerade auf astronomische 753 Milliarden Dollar erhöht hat, braucht es Propaganda und Panik vor einem Angriff aus dem All aber eigentlich gar nicht. Es könnte sich allerdings auch um fortgeschrittene irdische Technologie handeln, die von einer feindlichen Macht (China/Russland?) im Geheimen entwickelt wurde, was militärisch natürlich hochinteressant ist, weshalb das Pentagon am Ball bleiben wird und auch weitere Veröffentlichungen angekündigt hat.

Dass darin aber die entscheidende Frage über die Anwesenheit einer ausserirdischen Intelligenz oder leibhaftigen Aliens geklärt wird, ist nicht zu erwarten. Gerüchte darüber blühen seit dem angeblichen Absturz eines UFOs in der Nähe von Roswell im Jahr 1947 und der anschliessenden Untersuchung des Wracks und der Insassen auf einer US-Militärbasis in der Mojave Wüste («Area 51»), sind mittlerweile zwar fester Bestandteil der UFO-Mythologie aber nach wie vor nicht wirklich beweiskräftig bestätigt. Was auch für all die anderen Spuren und Sichtungen von UFOs und UAPs seitdem gilt, die – in ihrer Häufung und nun auch seitens des Militärs bestätigt – allerdings Anlass geben, diese Phänomene nicht bequem als  Spinnerei durchgeknallter Aluhüte abzutun, sondern genauer hinzuschauen und zu forschen. Und dabei zu berücksichtigen, dass sie uns nicht erst seit 1947 begleiten, wie dieser Bericht aus dem Jahr 1768 zeigt, als die Postkutsche des jungen Johann Wolfgang Goethe in einer regnerischen Nacht steckenblieb:

«Auf einmal sah ich an der rechten Seite des Wegs, in einer Tiefe eine Art von wundersam erleuchteten Amphitheater. Es blinkten nämlich in einem trichterförmigen Räume unzählige Lichtchen stufenweise übereinander, und leuchteten so lebhaft, dass das Auge davon geblendet wurde. Was aber den Blick noch mehr verwirrte, war, dass sie nicht etwa still saßen, sondern hin und wieder hüpften, sowohl von oben nach unten, als auch umgekehrt und nach allen Seiten. Die meisten jedoch blieben ruhig und flimmerten fort. Nur höchst ungern ließ ich mich von diesem Schauspiel abrufen, das ich genauer zu beobachten gewünscht hätte. Auf Befragen wollte der Postilon zwar von einer solchen Erscheinung nichts wissen, sagte aber, dass in der Nähe sich ein alter Steinbruch befinde, dessen mittlere Vertiefung mit Wasser angefüllt sei. Ob dieses nun ein Pandämonium von Irrlichtern oder eine Gesellschaft von leuchtenden Gestalten gewesen, will ich nicht entscheiden.“

«Wundersam erleuchtetes Amphitheater» —ein treffenderer Ausdruck für ein UFO ist im 18. Jahrhundert kaum denkbar, alles sprich dafür, dass es sich bei diesem «trichterförmigen Raum», der «stufenweise» flimmert, nicht um einen im vorelektrischen Zeitalter schwerlich zu simulierenden Trick handelt — genauso wenig wie um eine Freie (Amphi-)Theater-Gruppe, die auf dem Land zwischen Hanau und Gelnhausen gastierte —, sondern um ein Objekt mit aussergewöhnlichen technischen Eigenschaften. Goethes Protokoll aus seiner Autobiographie «Dichtung und Wahrheit» liest sich wie die Regieanweisung für eine UFO-Landung in Steven Spielbergs «Unheimliche Begegnung der Dritten Art».

Sie stammt nicht nur von einem glaubwürdigen Zeugen, sondern darüber hinaus von einem der grössten Lichtexperten seiner Zeit — Goethes nie akzeptierte «Farbenlehre» wurde erst in jüngster Zeit von der neuen Physik und Wahrnehmungsforschung im Grundsatz rehabilitiert.. Wenn aber ein so deutlich als blinkende Untertasse identifizierbares «Amphitheater» bereits im 18. Jahrhundert landete, dann kann es sich weder um einen «modernen Mythus» handeln — als welchen C. G. Jung in den 1950er Jahren das UFO-Phänomen klassifizierte —noch um geheimes militärisches Fluggerät. Vielmehr darf «mit Goethe» behauptet werden,  dass es UFOs und UAPs sehr wohl schon gab, lange bevor das Pentagon sich ernsthaft dafür interessierte. Die Spezies WEA — «Wundersam erleuchtete Amphitheater» — ist ohne Frage ein legitimer Vorfahr der Gattung UFO. So wie die merkwürdigen Muster auf Wiesen und Feldern, die schon der Grossvater von Charles Darwin beobachtete und «Elfenkreise» nannte, als  Vorgänger des heutigen Phänomens der «Kornkreise» gelten können. Da der alte Darwin ebenso wie der alte Goethe aufmerksame Naturforscher durchaus alle Tassen im Schrank hatten, können wir daraus schliessen: «Fliegende Untertassen» und «Aliens» sind gar nichts Neues, sie hiessen damals nur anders.

 

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Mathias Bröckers ist Publizist und Autor. Seine Werke «Die Wiederentdeckung der Nutzpflanze Hanf» (1993), «Verschwörungen, Verschwörungstheorien und die Geheimnisse des 11.9.» (2002) und «Wir sind die Guten – Ansichten eines Putinverstehers» (2014) wurden internationale Bestseller. Im August 2021 erscheint «Mythos 9/11». Er lebt in Berlin und Zürich und bloggt auf broeckers.com.