«Der Einsatz von giftigen Substanzen geht mir emotional gegen den Strich»

Im zweiten Teil unserer Pestizid-Serie erklärt uns Bio-Landwirt Alfred Schädeli, warum er sich gegen den Einsatz von Pestiziden und Kunstdünger entschieden hat und welche Alternativen es gibt.

Hofgemeinschaft Looren / © Alfred Schädeli

Alfred Schädeli ist Teilhaber der Hofgemeinschaft Looren im Zürcher Oberland, einem biodynamischen Landwirtschaftsbetrieb. Vorher bewirtschaftete er einen Hof des Forschungsinstitutes für biologischen Landbau (FiBL) in Frick. Nebst der biologischen Produktion von Milch, Eiern, Rinds- und Schweinefleisch betreibt er Acker- und Obstbau. Im Interview mit dem Zeitpunkt spricht er darüber, wie Lebensmittel ökologisch produziert werden können und warum der Einsatz von Pestiziden eigentlich gar nicht nötig ist.

Zeitpunkt: Warum haben Sie sich dazu entschieden, biodynamisch zu produzieren?

Alfred Schädeli: Meine Eltern hatten einen Hof, auf dem konventionell produziert wurde. Durch meine Mitarbeit im Betrieb habe ich am eigenen Leib erfahren, was dafür nötig ist. Zum Beispiel der Einsatz von Kunstdünger und Pestiziden. Dies habe ich immer als extrem unangenehm empfunden. Man hantiert mit Substanzen, die stinken und so aggressiv sind, dass man Schutzkleidung tragen muss. Ausserdem ging mir der Einsatz giftiger Wirkstoffe auch emotional gegen den Strich. Bei der weit verbreiteten Beizung von Saatgut zum Beispiel behandelt man bereits die Samen mit einem Pestizid, damit sie resistent gegen Krankheiten und Schädlinge werden. Damals wurde noch Quecksilber eingesetzt – das ist heute verboten, aber trotzdem: Man sät Samen aus, die so giftig sind, dass man sie nicht essen oder verfüttern darf.

Wer produziert solch vorbehandeltes Saatgut? 

Man kann die Beizung selber vornehmen, doch meistens wird das Saatgut direkt so eingekauft. Oft sind es grosse Konzerne, die es produzieren und auch weltweite Monopole darauf haben. Dies ist ein weiterer Grund, warum für mich schon früh klar war, dass ich biologisch produzieren möchte. In diesem Zusammenhang habe ich in den 90er-Jahren beim Aufbau der Bio-Saatgut-Firma Sativa mitgearbeitet.

Was unterscheidet Bio-Saatgut von konventionellem?

Da muss man unterscheiden zwischen Bio-Sorten und Bio-Saatgut. Bio-Saatgut wird einfach unter biologischen Bedingungen produziert. Bio-Sorten hingegen stammen aus Biozüchtung und können ohne Kunstdünger und Pestizide wachsen. Das heisst, sie müssen besonders robust und wenig krankheitsanfällig sein und mit wenig Stickstoffdünger in Form von Mist und Gülle auskommen. In der konventionellen Produktion wird Kunstdünger mit hohem Stickstoffgehalt eingesetzt, damit die Pflanze schneller wächst und die Erträge steigen. Doch das Problem ist, dass gerade das schnelle Wachstum die Pflanzen schwächer und anfälliger macht. Dadurch ist man auf Pestizide angewiesen, um Krankheiten und Schädlinge zu bekämpfen.

Was ist denn die Alternative, wie geht man im biodynamischen Anbau mit Schädlingen um?

Wir setzen vor allem auf vorbeugende Massnahmen. Robuste Sorten, Mischkulturen statt Monokulturen, keine Überstrapazierung der Böden, ausgeklügelte Fruchtfolgen, will heissen: Anbau von jährlich anderen Produkten auf der gleichen Parzelle. Weiter schaffen wir einen Lebensraum für natürliche Nützlinge wie Insekten oder Spinnen mit einer strukturierten Landschaft, die etwa aus Stauden, Büschen, Hecken, Bäumen, Steinhaufen, Altholz oder Tümpeln besteht. Ausserdem entstehen, wenn man ohne Herbizide arbeitet, automatisch artenreiche Feldränder mit vielfältiger Flora und teilweise unscheinbaren Blütenpflanzen, die aber sehr wichtig sind. Mit einem Mix dieser Massnahmen reduziert man das Risiko für einen Schädlingsbefall erheblich, und wenn dennoch eine Krankheit auftritt, ist sie in der Regel weniger heftig als im konventionellen Anbau. Der Grundsatz lautet: Stelle ein Ökosystem her, das sich weitgehend selbst reguliert. Sollten Schädlinge auftreten, kann man mit natürlichen Präparaten, so genannten Biokontrollmassnahmen, viel erreichen. Beispielsweise mit Nützlingen, Bakterien oder Insekten.
 

Nächsten Montag spricht Alfred Schädeli im zweiten Teil des Interviews über die Pestizid-Initiative und den dringend nötigen Systemwandel in der Landwirtschaft.  

Über

Nicole Maron

Submitted by christoph on Mo, 04/19/2021 - 17:25

Nicole Maron (*1980) aus Zürich ist Journalistin und Buchautorin. Seit 2017 lebt und arbeitet sie in Bolivien und Peru. Ihre Schwerpunkte sind umwelt- und sozialpolitische Themen wie Flucht und Migration, globale Gerechtigkeit, Konzernverantwortung und Menschenrechte. 

Von Nicole Maron ist zuletzt erschienen: «Das Blut des Flusses» – Der in Espinar/Südperu gedrehte Dokumentarfilm zeigt auf, welche gravierenden Schäden das Schweizer Bergbauunternehmen Glencore vor Ort anrichtet.
https://www.youtube.com/watch?v=9Rj7lJc1GWY