2022: beispiellose Protestwelle gegen die Kostensteigerung des täglichen Lebens

Die weltweit 12’500 Kundgebungen sind ein Zeichen dafür, dass die Weltwirtschaft im Krisenmodus nicht in der Lage ist, Güter zu Preisen anzubieten, die sich die Menschen leisten können.

(Bild: Friedrich Ebert-Stiftung(

«Noch nie dagewesener Protest»: Das New Yorker Büro der Friedrich Ebert-Stiftung hat die weltweiten Proteste gegen die Steigerung der Lebenshaltungskosten im vergangenen Jahr untersucht. Die Schwerpunkte liegen in Pakistan, Indien und Lateinamerika. Aber auch Westeuropa ist mit über 2600 Demonstrationen, die von den Medien meist totgeschwiegen werden, in ausserordentlichem Mass betroffen.

Erstaunlicherweise bietet die der SPD nahestehende Stiftung auf ihrer deutschsprachigen Website weder eine Zusammenfassung der Studie noch macht sie einen Hinweis auf die Studie.

Das US-Portal «Politico» schreibt über die Protestwelle, sie hätte bis jetzt nur in Sri Lanka zum Sturz einer Regierung geführt. Aber es gab in Europa 2022 mehrere Regierungswechsel, u.a. in Grossbritannien, Italien, Bulgarien, Schweden und Estland, z.T. ausserhalb regulärer Wahltermine.

Auf ihrer englischsprachigen Website schreibt die Stiftung:

«Zwischen November 2021 und Oktober 2022 gingen die Menschen in mehr als 12500 Kundgebungen auf die Strasse, um gegen die steigenden Lebenshaltungskosten und die Verteuerung und Verknappung von Treibstoff, Gas und Strom zu protestieren.

Diese Proteste fanden in reichen, mittleren und armen Ländern gleichermassen statt und ungeachtet der politischen Systeme.

In mehreren Ländern eskalierten die Proteste zu grösseren nationalen politischen Krisen, die mit erheblicher Gewalt, Opfern und Forderungen nach politischen Veränderungen verbunden waren.

In ihrer Studie werfen Naomi Hossain und Jeffrey Hallock einen genaueren Blick auf die Welle der Proteste gegen Lebensmittel, Energie und Lebenshaltungskosten im Jahr 2022. Ihre Analyse zeigt, dass die meisten Proteste durch konkrete Versäumnisse der Regierungen ausgelöst wurden, die Bürger vor deren Auswirkungen zu schützen.

Die Proteste gegen die Verteuerung der Lebenshaltungskosten vereinen die Menschen in allen Gesellschaften aufgrund von tiefgreifenden, weit verbreiteten Missständen.»

Regionale Verteilung der Proteste:

(Quelle:Friedrich Ebert Stiftung: Food, energy & cost of living protests, 2022)

 

In der Studie heisst es u.a.:

«Bei über 455 der 12’500 ausgewerteten Protestveranstaltungen wurde ‹Korruption› in der kurzen Veranstaltungsbeschreibung (die in der Regel nicht mehr als einen Satz umfasste) … als Hauptkritikpunkt genannt. In Zeitungsartikeln wurde ausführlicher beschrieben, was ‹Korruption› in diesem Zusammenhang bedeutet. In Albanien zum Beispiel richteten sich die Demonstranten gegen ‹hohe Steuern [auf Energie], Korruption und die Vereinnahmung des Staates durch ‹Oligarchen›. …

Korruption, geheime Absprachen, Spekulation und Geschäftemacherei sind gängige Vorwürfe, die in Zeiten schnellen Preisanstiegs an Regierungen gerichtet werden. Sie spiegeln die Wahrnehmung wider, dass die Ursachen einer Krise der Lebenshaltungskosten oder die Unfähigkeit einer Regierung, sie zu bewältigen, der Tatsache geschuldet sind, dass mächtige Eliten von der Krise profitieren.

Häufig beinhaltet diese wahrgenommene Korruption den Schutz oder die Straffreiheit von Geschäftsinteressen in Verbindung mit Spekulation, Horten oder übermässigem Gewinnstreben, was in einer Zeit, in der die Mehrheit der Bevölkerung um die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse kämpft, entweder als ungesetzlich oder unmoralisch angesehen wird.

Die russische Invasion in der Ukraine im Gefolge der Lieferkettenkrise nach der Pandemie hat dazu geführt, dass die Ursachen für den Preisanstieg im Jahr 2022 weithin als fremdbestimmt angesehen werden. Dennoch wurden in mehreren Ländern Unternehmen von Politikern kritisiert oder auf andere Weise für die Krise verantwortlich gemacht, weil sie übermässige Gewinne erzielt haben.»
(S. 19/20)


Quelle:
Friedrich Ebert Stiftung: Food, energy & cost of living protests, 2022.
Studie: Food, energy & cost of living protests, 2022 (Download)