Chapeau! – für Jolanda Spiess-Hegglin

Jolanda Spiess-Hegglin hat in den letzten Jahren am eigenen Leib erlebt, was Internethetze bedeutet. Mit ihrem Verein #NetzCourage hilft sie Betroffenen. Nun hat sie für ihr Engagement den Somazzi-Preis 2021 erhalten.

© #NetzCourage

Am 20. Dezember 2014 hat sich ihr Leben auf einen Schlag verändert. An das, was an diesem Abend an der Zuger Landammannfeier passiert ist, kann sich die damalige Zuger Kantonsrätin Jolanda Spiess-Hegglin zwar nicht erinnern, aber als sie am nächsten Morgen mit Unterleibsschmerzen und einem Filmriss aufwachte, wurde ihr schockartig klar, dass ihr wahrscheinlich KO-Tropfen verabreicht worden waren. Es lagen Hinweise auf ein Sexualdelikt vor, und der SVP-Politiker Markus Hürlimann wurde vorübergehend festgenommen.

Es war ein Skandal. Und ein gefundenes Fressen für die Medien. «Hat er sie geschändet?», titelte der Blick, und die Weltwoche behauptete, Hegglin habe die Vorwürfe gegen Hürlimann nur erfunden, um einen Seitensprung zu vertuschen. Hegglin verklagte in der Folge beide Zeitungen, mit Erfolg – doch damit konnte sie nicht verhindern, dass eine geradezu groteske Schlammschlacht ausbrach. Nicht nur in unzähligen Zeitungen, sondern auch im Internet wurde die Geschichte hin und her gewälzt, in den meisten Fällen eher spekulativ und ohne sich gross auf gesicherte Quellen oder Fakten zu berufen. Was am besagten Abend tatsächlich geschehen ist, konnte nie vollständig geklärt werden, und das Verfahren gegen Markus Hürlimann wurde eingestellt. 

Hegglin erlebte in der Folge eine regelrechte Hetzjagd. Mehr als 1000 Artikel sind erschienen, und vor allem von Männern hagelte es aggressive und sexistische Kommentare – und zwar nicht nur von anonymen Hatern. Der damalige SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli etwa nannte Hegglin «ein ausgekochtes Luder».

«Ich werde täglich im Internet beschimpft», sagte Hegglin auch noch mehr als zwei Jahre nach dem Vorfall gegenüber zentralplus. «Im Netz bestehen offensichtlich keine Hemmschwellen mehr.» So beschliesst sie 2016, das Internet und die Sozialen Medien ihrerseits zu nutzen, und gründet den Verein #NetzCourage. Dieser bietet Menschen, die von Shitstorms und Hass-Tweets im Internet betroffen sind, kostenlos Hilfe an und leistet Aufklärungs- und Präventionsarbeit, zum Beispiel mit Workshops an Schulen und in Unternehmen. Damit hat Hegglin nicht nur Hunderten von Betroffenen geholfen, sondern in gewisser Weise auch sich selbst: «Diese neue Aufgabe ist so eine Art Therapie für mich», sagte sie im Interview mit zentralplus. «Es ist ein total beklemmendes Gefühl, in solchen Konfliktsituationen ganz allein zu sein. Ich möchte nicht, dass andere Personen Ähnliches durchmachen wie ich damals.»

Letzte Woche hat Jolanda Spiess-Hegglin den Somazzi-Preis 2021 erhalten, mit dem jährlich Frauen oder Frauenorganisationen ausgezeichnet werden. Auch wir möchten den Hut vor Hegglins Courage ziehen, die sich in der männerdominierten und oft sexistischen Welt von Medien, Internet und Politik durchgebissen und sich nicht gescheut hat, sich auch mit grossen Namen anzulegen. Eine Mutmacherin für viele Frauen!