Fast Fashion – wenn T-Shirts töten

Westliche Kleiderschränke platzen aus den Nähten. Seit Jahren fluten billige Kleider den Textilmarkt. H&M und ihre Mitstreiter uniformieren eine ganze Generation. In Bangladesch sterben derweil Arbeiterinnen in Fabrikfeuern. Was ist eigentlich los? Ein Versuch, die «Fast Fashion»-Industrie zu erklären.

Ein Feuerlöscher wäre zu teuer gewesen. Der Raum füllt sich mit Rauch. Die Türen: von aussen zugesperrt – Pausen brächten Verzögerung. Flammen springen vom Stoff auf Haar und Gewand der Näherinnen. Eisen vergittern die Fenster. Die Frauen schreien. Alle sterben. Niemand hat Schuld.

Raritäten und Ramsch
Die Globalisierung, neue Technologien und ein verändertes Konsumverhalten prägen auch die Modebranche stark. Fast Fashion (dt.: schnelle Mode) ist dabei der jüngste Trend der milliardenschweren Textilindustrie. Simple Designs, schlechte Qualität, dafür hip, billig und wöchentlich fabrikfrisch.
Mode kann man in drei Kategorien einteilen: Unikate, Designerstücke und Ramsch. Aufwändige Stücke, auf den Körper vermögender Frauen geschneidert, nennt man «Haute Couture». «Prêt à porter» sind Kleidungsstücke, die von kreativen Designern bei Prada, Gucci, Kenzo oder Westwood in zwei Kollektionen pro Jahr entworfen werden. In Massen produzierte Artikel, die sich über den kleinen Preis verkaufen, nennt man Fast Fashion. Die Namen der Brands lauten H&M, Zara, Tally Weijl oder C&A. Schnell ist ihr Konzept, weil auf Saisons und Kollektionen verzichtet wird. Die Firmen beliefern ihre Kunden ständig mit neuen Teilen. Der Schwarzmarkt schliesslich, mit Fälschungen aller Art, bildet das Ende der Modehierarchie. Jedes Segment nutzt andere Strategien, um seinen Profit zu maximieren.  

Mehr für weniger
Fast-Fashion-Firmen zielen auf Menschen, die Kleiderkaufen zum Hobby gemacht haben. Auf Kunden, die kein Geld ausgeben, aber trotzdem trendig sein wollen. Typischerweise sind es junge Menschen. Sie sind preissensitiv und kennen die Welt als Ort der unbegrenzten Möglichkeiten zur Selbstdarstellung. Die Kleidung spielt dabei eine zentrale Rolle.
Damit die Kunden immer wieder in die Läden kommen, bedienen sich Fast-Fashion-Firmen typischer Marketingtricks. Dauer-Ausverkauf-Ständer suggerieren, dass man zuschlagen muss – sonst ist das Teil weg. «3 für 2» und ähnliche Anreize bieten Gewissheit, gespart zu haben. Die «Mikro-Saisons» geben das Gefühl, etwas zu verpassen, wenn man nicht immer wieder kommt. Der schnelle Wechsel des Sortiments verspricht immer wieder Neues. Und schliesslich der Preis: Für weniger gibt es mehr. Die Strategie funktioniert. Das Business boomt.
Das zeigen unzählige Blogs und Youtube-Videos sogenannter «Fashion Hauls». Junge Menschen, hauptsächlich Teenagerinnen, präsentieren, was sie wo für wie viel gekauft haben, und animieren bewusst oder unbewusst zum Kopieren der Shoppingorgie.

Tempo und Preis
Wochen nachdem ein Outfit auf dem Laufsteg gezeigt wird, kann man es für wenig Geld in einem Fast-Fashion-Laden kaufen. Wie geht das?
Fast Fashion verzichtet auf zeitaufwändige Eigen­kreationen. Technische   statt kreative Designer analysieren, kopieren und vereinfachen Trends der Strasse und der Luxushäuser. Sie lassen Nähte, Knöpfe, Falten, Taschen weg und wählen Stoffe, die sich einfacher verarbeiten lassen. Der Vorteil liegt auf der Hand: Kosten für namhafte Designer und hochqualifizierte Näherinnen fallen weg und man gewinnt Zeit und Geld. Design und Produktion benötigen einen Bruchteil dessen, was Prada für das Original investierte. Die Qualität ist schlecht. Aber das macht nichts. Es wird die Saison nicht überdauern müssen.

Damit H&M und Co. konkurrenzfähig bleiben und Arbeitsplätze bieten können, müssen sie Kosten und Risiken reduzieren. Das geschieht unter anderem, indem sie die Produktion in Tieflohnländer auslagern. Solche mit hoher Arbeitslosenquote, für die der Textilexport zur wichtigen Lebensader wird, wo Arbeiterinnen wenig Rechte geltend machen können und die Politik ein Interesse daran hat, solvente Businesspartner der westlichen Welt zu unterhalten. Notfalls werden Arbeitsgesetze angepasst und Augen zugedrückt. Oder das Land gewechselt. Waren es einst Sweatshops in Indodesien und China, ist Bangladesch heute der Standortfavorit. Und die Modegiganten sind bereits auf dem Weg nach Myanmar.

Made unter Druck
Nachdem die Designs stehen, suchen Modefirmen eine Fabrik, die möglichst günstig und schnell die gewünschte Qualität und Menge zu liefern verspricht. Stimmt der Preis, wird der Deal geschlossen. Voraussetzung jedoch ist, dass die Fabriken dem «Code of Coduct» des Auftraggebers entsprechend produzieren; entlang seinen ethischen Standards also. Oft ist dieser vage formuliert und verlangt einzig, dass die Fabrik gesetzliche oder «branchenübliche» Vorgaben einhalte. Die Schweizer Firma «Chicorée» beispielsweise fasst sieben Punkte auf vier spärlich bedruckten Seiten zusammen. In diesem Heft nähme der Text etwas mehr als eine Seite in Anspruch.
Im nächsten Schritt bestätigt die Fabrik, dass sie ordnungsgemäss vorgehe, und produziert die Ware – oder in manchen Fällen eben auch nicht! Der rasante Nachfragezyklus und die immensen Mengen verunmöglichen es vielen Fabriken, die verabredete Ware rechtzeitig zu liefern. Trotzdem nehmen sie die Bestellung auf. Täten sie es nicht, ginge der Auftrag verloren. Die Besitzer lagern ihre Bestellung darum an andere Fabriken aus. Diese «Subcontracters», weder in Untersuchungsprotokollen noch einem Vertrag vermerkt, bieten typischerweise noch schlechtere Arbeitsbedingungen und noch monotonere Beschäftigung. Tagelang befestigen Näherinnen nur Knöpfe oder schneiden Fäden. Das erlaubt den Subcontractern, die günstigsten aller günstigen Arbeitnehmerinnen einzustellen: Frauen, die keine andere Option mehr haben, oder Kinder. Weil Kinderarbeit aber verboten ist, werden sie versteckt und arbeiten nicht selten in Verliesen und Kellern ohne Tageslicht und frische Luft. Decken Journalisten die prekären, gegen Menschenrechte verstossenden Arbeitsbedingungen auf, dürfen Auftraggeber der Billigmode die Schuld von sich weisen. Sie berufen sich auf ihren Code of Conduct und darauf, nichts von den Subcontractern gewusst zu haben – was in vielen Fällen tatsächlich stimmt.


Die steigende Nachfrage nach billigen Gütern bei C&A lässt immer neue Produktionsstätten wachsen. Investitionen in die Sicherheit, durch Gesichtsmasken, Feuerlöscher, stabile Bauten, Ventilatoren, sanitäre Anlagen, sind teuer. Die Kosten erhöhen das Preisangebot der Fabriken gegenüber den Auftraggebern. Da sich die Konkurrenz der Fast-Fashion-Firmen weder im Design noch in der Qualität besonders unterscheidet, bleibt der Preis entscheidend. Fabrikbesitzer unterbieten sich gegenseitig auf Kosten ihrer Angestellten. Man nennt es «Race to the bottom», ein Wettrennen zum Tiefpunkt.

Fashion vs. Feuer
Wenn in der Schweiz ein Schnäppchen über den Tresen geht, hat zuvor eine Arbeiterin in Bangladesch ihr Leben dafür riskiert oder ist gestorben.
Wie im oben genannten Beispiel vom 24. November 2012, als das Tazreen-Feuer mindestens 117 Menschen tötete. Die Fabrik hatte unter anderem Kleidung für C&A hergestellt. Am 8. Mai im Folgejahr verbrannten mindestens sieben Menschen in einem ähnlichen Feuer. Am
7. Februar diesen Jahres fielen weitere vier Menschen einem Fabrikfeuer zum Opfer. Am 24. April 2013 begrub das marode Gebäude «Rana Plaza» über dreitausend Menschen unter sich – ein Drittel starb dabei, zwei Drittel wurden verletzt.

Es gibt inzwischen eine Vielzahl Dokumentationen über die Umstände innerhalb der Industrie. Sie zeigen Fast-Fashion-Firmen, die sich bestürzt über aufgedeckte Skandale zeigen. Sie veranschaulichen, wie Fabrikbesitzer Papiere fälschen, um sich gegenüber den Auftraggebern in sauberer Weste zu präsentieren. Sie zeigen Kinder, Frauen und Männer, die ihren Kummer ausdrücken. Der Sicherheitsmann der Tazreen-Fabrik weist zwar vor der Kamera alle Verantwortung von sich, gesteht aber unter Tränen, dass er keine Nacht schlafen kann, ohne an die toten Frauen und Mädchen zu denken. Ein Arbeiter berichtet, die Code of Conducts seien nichts wert. Er arbeite mehr als hundert Überstunden pro Monat, ohne dass diese Arbeit irgendwo festgehalten werde. Filme und Reportagen zeigen wie Fabrikbesitzer ihre Angestellten von 7 bis 22 Uhr arbeiten lassen. Damit konfrontiert, sagen sie, ihre Leute würden freiwillig mehr arbeiten, um Ferien verlängern zu können.Eine Frau schliesslich richtet ihr Wort an die Kamera und bittet: «Figure out how to have cheap clothes without killing people.» – «Findet heraus, wie ihr billige Kleidung haben könnt, ohne Menschen zu töten»