Lügen – kurze Beine, lange Folgen

Ein erfreuliches Buch über die Sehnsucht nach Wahrheit und was wir selber dafür tun können.

 

Es ist eines der Bücher, die man, einmal zur Hand genommen, nicht mehr weglegen will. Das ist nicht nur das Verdienst des Autors Sam Harris, eines kalifornischen Neurowissenschaftlers und Bestsellerautors. Es ist auch das Ergebnis einer sorgfältigen verlegerischen Arbeit, die Martin Frischknecht, Kopf und Inhaber der edition spuren, gleich selber vorgenommen hat. Den Umschlag hat Martin Frischknecht – kein Grafiker – selbst gestaltet. Überzeugend! Und der Untertitel, eine Zugabe zum nackten Titel des englischen Originals «Lying», ist eine sprachliche Wohltat: «Kurze Beine, lange Folgen».

Und so ist auch der Text: Kurze einprägsame Sätze, wie sie von deutschsprachigen Autoren, die gescheit sein wollen, so selten zu lesen sind. Sie schmeicheln sich beim Leser ein, und das ist gut so. Denn die Kost ist zwar in appetitliche, kleine Häppchen portioniert, aber deswegen noch lange nicht leicht verdaulich, wie dieser kleine Absatz zeigt:
«Die Gelegenheit, andere zu belügen, ist allgegenwärtig und oft sehr verlockend. Doch jede Täuschung führt uns auf das steinigste Terrain der Ethik, das wir je betreten haben. Die wenigsten von uns sind Mörder und Diebe, aber wir alle waren und sind Lügner. Und viele werden sich heute Abend kaum ins Bett legen, ohne im Laufe des Tages mehrere Lügen erzählt zu haben. Was sagt dies über unser Zusammenleben?»
Natürlich kenne ich Martin Frischknecht persönlich und bin stolz, ihn zu meinen Freunden zählen zu dürfen. Aber meine dringende Leseempfehlung hat nur mit dem ausgezeichneten Buch zu tun und dem überragenden Bedürfnis dieser Welt nach Wahrheit. Bestellen Sie das Buch direkt beim Verlag oder in Ihrer Buchhandlung, aber bitte nicht bei der Versandhauskrake, dessen Namen man nicht zu nennen braucht.

Die Leseempfehlung kommt nicht ohne Einschränkung: Das Kapitel «Grosse Lügen» über die Lügen, die zu Kriegen führen oder die Gesellschaft als Ganzes in eine falsche Richtung lenken, kann man getrost überblättern. Es ist zwar hilfreich, daran erinnert zu werden, dass die Kriege in Vietnam und im Irak mit Lügen begannen und dass die Pharmaindustrie ihre Produkte mit manipulierten Studien auf den Markt bringt. Aber unter dem grossen Titel «Grosse Lügen» erwartet man eine Klärung der grossen Lügen der Gegenwart – der Illusionen des Geldes, der Demokratie und der Globalisierung –, die mit einer geballten Ladung von Halbwahrheiten am Leben gehalten werden. Aber das sind nur fünf von 127 Seiten.

 

Sam Harris: Lügen – kurze Beine, lange Folgen. edition Spuren, 2017. 127 S., Fr. 17.–