Warum es billiger und besser ist, auf einen Guru zu verzichten.

Es gibt Dinge, die man nicht mit einem Preis versehen kann: das erste Lächeln deines Babys etwa oder auch die Erleuchtung. Wer bereits erleuchtet wurde, würde sicher sagen, dass sie jeden Preis wert sei (wenn er sich hinterher noch mit banalen Dingen wie Preisen abgäbe). Und wer erleuchtet werden will? Wird kräftig zur Kasse gebeten, denn «umsonst ist der Tod», wie es so schön heisst. Aber sicher nicht das Nirwana im Anschluss. Spiritueller und materieller Reichtum sind wie Kamel und Nadelöhr, die ja schon in der Bibel nicht miteinander konnten.

Bedeutet das, dass wir nur ohne irdischen Anhang, etwa Geld, den Quantensprung auf eine höhere Bewusstseinsebene bewältigen? Oder ist unser Geld besser bei einem Guru, Seminarleiter oder Life-Coach aufgehoben, die es als höhere Wesen durch den Akt beseelten Ausgebens in etwas Erhabenes transformieren können, wie es einst der spirituelle Lehrer Osho vermochte? Wird schmutzig-irdisches Geld automatisch spirituell-rein, wenn wir es in teure Seminare zur Entwicklung des höheren Selbst investieren? Und widerspricht es der spirituellen Reinheit, wenn man materiellen Wohlstand als Indikator für Gutmenschentum wertet (und anstrebt)?

Auf der anderen Seite werden spirituelle Dienstleister wie eben besagte Gurus, Seminarleiter oder Life-Coaches oft angegangen, wie sie es denn wagen könnten, für etwas, das eine Mission sei und aus purem Idealismus getan werden sollte, überhaupt Geld zu nehmen. Man zahlt willig den Mechaniker, der das Auto repariert, mag aber den Schamanen nicht entlohnen, der die Aura massiert, weil das eh ein Scharlatan ist, wenn er nach einem Energieausgleich (wieder Geld) fragt. Fast legt das alles die Vermutung nahe, unsere Gesellschaft werte materiellen Reichtum höher als den inneren. Eine lachhafte Vorstellung, wissen wir doch alle, dass wir nichts mitnehmen können, wenn wir gehen - wohin auch immer wir gehen werden.

Ein Weg aus diesem seltsamen Dilemma könnte sein, selbst nach der Erleuchtung zu suchen – und keinen anderen zu bezahlen, der es für einen tut. Dabei den inneren Reichtum (für den und vier Franken man eine Tasse Kaffee bekommt) zu erkunden und sich an ihm zu erfreuen, weil man halt doch keine Tasse Kaffee zur Zufriedenheit braucht. Sich vor Augen zu führen, dass die Zeiten der exotisch-exzentrischen Gurus ebenso vorbei sind wie die des Ablasshandels und dass ein nachhaltiges spirituelles Leben eher mit einem Repair-Café zu vergleichen ist als mit einem Supermarkt: Wir bringen mit, was wir bereits haben, auch wenn es nicht glänzt wie neu. Wir können es reparieren und polieren und etwas daraus machen, das wir gebrauchen können.
Materieller Reichtum hindert sicher nicht daran, spirituellen Reichtum zu finden und zu leben. Aber es braucht den einen nicht für den anderen. Denn «Geld hat noch niemanden reich gemacht», wie der Philosoph Seneca so treffend sagte.   

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