Sieht fast wie nach einem Corona-Zahlensalat aus, nicht wahr? Die Buchstaben lassen sich aber ausschreiben und versprechen Gutes. Eine Kolumne von Lis Eymann.

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Verbinden – Aufbauen – Verwandeln. Dafür steht VAV. Ein erstrebenswerter, stufenweiser Vorgang eines Prozesses, der, wenn er unter Menschen gelingt, nur Positives bewirken kann. Wenn sich Menschen verbinden, sich gegenseitig aufbauen, um dann in den Prozess einer Verwandlung einzutreten, ist Wachstum, Erweiterung und Entwicklung möglich. Das alles scheint mir in der aktuellen Coronasituation völlig blockiert. Nicht nur beim einzelnen Menschen, sondern auf der ganzen Welt.

Vieles, was irgendwie in einem progressiven Prozess begriffen war, läuft Gefahr, zurückzufallen, sagt der Berliner Philosophe Philipp Hübl in seinem Buch: „Die aufgeregte Gesellschaft: Wie Emotionen unsere Moral prägen und die Polarisierung verstärken“. Was Konservativen entgegenkomme, denn vielen sei diese Entwicklung viel zu schnell gegangen, so der Philosoph. So lässt sich vermuten, dass es manchen vielleicht unbewusst sogar gelegen kommt, dass nun jemand wieder Regeln aufstellt, Beschränkungen einführt, dass ein Hirte sagt, wo die Schäflein langzugehen haben.

Das Selbstbestimmungsrecht des Menschen wurde in den vergangenen Wochen mehr wie eingeschränkt, die Freiheit war an einem kleinen Ort. Wenn man glaubte, sie wiederzuerhalten, wie der Besuch in einem Restaurant, wurde die Freude gleich wieder geschmälert. Ein Registereintrag für ein Teller Pommes? No way.

Derart kontrolliert und abhängig von Entscheidungen von Aussen war ich das letzte Mal in meiner Teenagerzeit. Kontrolle, wann man vom Ausgang eintrudelte. Wer einen bis vor die Haustür begleitete. Da gab es Einschränkung der Freiheit. In den Sturm- und Drangjahren, in denen Ausgang und Konzertbesuche so zentral und wichtig waren. Wichtiger als die Noten in der Schule. Eine Zeit, in der das strenge „Nein“ meines Vaters auf die Frage, ob ich ans Konzert meiner Lieblingsband gehen könne, mich bis ins Mark traf und ich dieses Verbot nur gemein fand. So gemein, dass ich wütend meinen geliebten Wecker an die Wand schmiss und er in tausend Stücke zerbrach.

Ich musste zu Hause bleiben. Durfte nichts Neues entdecken, in die Weite streben, meine Lebenskräfte erproben, mich mit Freunden auf Abenteuer einlassen. Alles förderliche, persönlichkeitsstärkende Dinge. Die Obrigkeit hatte ihre Oberhand. Ich musste mich fügen, da war keine andere Wahl. Es traf mich auch, weil ich auf mein „Wieso nicht?“ keine befriedigende Antwort bekam. „Einfach!“, hiess es und liess mich konsterniert zurück, weil es keinen Gedanken gab, den ich hätte nachvollziehen können. Keine logische Begründung, die mir in irgendeiner Form verhältnismässig erschien.

Wie sieht es jetzt aus? Nicht viel anders. Nur sind es jetzt die Behörden, die über den Bewegungsraum bestimmt. Sie sagen „Njet“ zur natürlichen Begegnung im Aussen, zur Bewegung in Freiheit. Die Begründungsliste hier wäre allerdings lang und würde mitunter moralisierende Töne tragen. Sie kennen sie bestens. Etwa: Wenn man sich nicht an die Regeln halte, sei man nicht solidarisch, gefährde Andere. Die Gefährdung durch die wirtschaftliche Krise, die massive existenzielle Nöte und langfristige hohe Arbeitslosigkeit zur Folgen haben wird, scheint dabei weniger verwerflich. Oder: Man müsse die Menschen und ihre Gesundheit schützen. Isolation schützt vielleicht vor Ansteckung mit einem Virus, nicht aber vor Herzkreislaufproblemen, Depression, Bluthochdruck, schizoiden Abspaltungen, Übergewicht etc.

Das alles nimmt man in Kauf? Wenn Mensch Angst bekommt, entgleitet ihm das logische Denken. Davon nehme ich mich ja nicht aus. Aber es lohnt sich, sich dies ins Bewusstsein zu rufen, wenn die Ängste Überhand nehmen.

Und a propos Logik, ich stelle mir immer wieder die Frage: Wenn die gesamte Welt dasselbe Problem hat, warum werden dann die Grenzen geschlossen, Länder abgeschottet? Weil man davon ausgeht, dass das Virus einen Pass hat? Zu dieser Abriegelung kommt mir die Abkürzung TAT in den Sinn. Eine Abkürzung, die in der Kriegsführung benützt wird. TAT steht für Teilen, abwerten, töten. Und was geschieht jetzt? Wir werden geteilt. Nicht nur innerhalb Europa. Auch innerhalb der Familien. Unter Freunden und Bekannten. In Junge und Alte. In Gesunde und Kranke. In Nicht-Infizierte und Angesteckte. Ein Zustand, der sich allerdings stündlich ändern könnte. Je nach Kontakt, den man hatte. Diesem Umstand will man jetzt mit einer Tracing-App begegenen, so dass wir besser verfolgt werden können. Und wir finden das sogar in Ordnung. Zu unserem Schutz.

Ich wünschte mir, TAT stünde für «die Tat». Im Sinne von: Aufhören zu träumen, aufwachen und tätig werden. Damit VAV wieder eintreten kann und damit Verbinden, Aufbauen und Verwandeln wieder möglich wird.

 

Lis Eymann aus Biel ist freie Journalistin und Radiomoderatorin und hat Soziale Integrität und Meditation an der Akademie für Soziabilität studiert.