3 Fragen an Feminist Nicolas Zogg

Auf Twitter bezeichnet sich Nicolas Zogg als «Vater und 50%-Hausmann, Gärtner, Umweltingenieur, Feuerwehroffizier und Universal-Amateur». Mit Feminismus und Genderfragen beschäftigte er sich schon als Jugendlicher. Und zwar nicht nur theoretisch: Für ihn war immer klar, dass er einen Teil der Kinderbetreuung übernimmt. Dies stellte ihn jedoch bei seiner beruflichen Entwicklung vor eine grosse Herausforderung. Zogg war jahrelang bei männer.ch tätig, der Dachorganisation der Schweizer Männer- und Vaterorganisationen. Heute arbeitet der 39-Jährige in der Stabsstelle für Chancengleichheit von Frau und Mann des Kantons Graubünden, wo er unter anderem die Genderbibliothek betreut und die Ausarbeitung des Bündner Aktionsplans für Gleichstellung leitet.

© Luca Noelia

Zeitpunkt: Seit Kurzem verfügt die Stadtbibliothek Chur über eine Gender-Abteilung. Wie kam es dazu und warum ist das nötig?

Nicolas Zogg: Die Bündner Stabsstelle für Chancengleichheit von Frau und Mann verfügt schon lange über eine Genderbibliothek mit rund 1200 Büchern. Darin finden sich Sachbücher genauso wie einfach lesbare Ratgeber, Bildbände oder Biografien zum Thema Gender und Gleichstellung. Zum Beispiel Geschlechtsidentitäten, Familienformen, Chancengleichheit und Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Da unsere Bibliothek jedoch zu wenig bekannt ist und nicht so leicht gefunden wird, haben wir einen Teil des Bestandes in die Stadtbibliothek übergeführt, wo mehr Menschen Zugang dazu haben.

Das biologische sowie das soziale Geschlecht definieren den Menschen stark, und trotzdem wissen die meisten relativ wenig darüber. Im Kanton Graubünden wird das Thema nun auch mit dem vierjährigen «Aktionsplan Gleichstellung» angegangen, welchen der Grosse Rat und die Regierung letztes Jahr verabschiedet haben. Zuerst wird der Status Quo der Gleichstellung in der kantonalen Verwaltung erfasst, um dann Massnahmen zur Verbesserung umzusetzen. Es geht nicht nur um Zahlen, also welche Geschlechter in welchen Pensen, Positionen und Lohnklassen angestellt sind, sondern ganz stark auch um die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Mit Umfragen beim Personal und in persönlichen Gesprächen mit Führungspersonen eruieren wir, wo es Baustellen gibt. Eine wichtige Frage ist zum Beispiel: Wer bleibt zu Hause, wenn das Kind krank ist, und wie viel Verständnis hat ein Vorgesetzter, wenn dies der Vater tut statt die Mutter?

Wie haben Sie diese Situation als zweifacher Vater persönlich erlebt?

Ich bin mit 21 Vater geworden und habe dreissig bis fünfzig Prozent der Hausarbeit und Kinderbetreuung übernommen, was für mich eine selbstverständliche Pflicht ist und keine Heldentat. Nach meinem Studium als Umweltingenieur habe ich in Graubünden und Umgebung keinen Teilzeitjob in diesem Bereich gefunden. Das hat auch damit zu tun, dass in gewissen Regionen und Bereichen die Vorstellung noch stark verbreitet ist, dass der Mann der Ernährer ist und voll arbeiten muss. Deshalb habe ich beschlossen, das Übel an der Wurzel zu packen und mich auch beruflich im Themenfeld «Gender» einzubringen.

«Die Hierarchien und die Hackordnungen unter Männern sind brutal.»

Als junger Vater hat man häufig einen Sympathiebonus, zum Beispiel auf dem Spielplatz. Da musst du nur auftauchen und alle Mamis sagen: «Jö, so herzig.» Es besteht kaum eine Erwartungshaltung, dass man als Mann fähig ist, kleine Kinder zu betreuen. Und da wird dir als frischer Vater auch gerne mal – wohlwollend – reingeredet, obwohl ja zu Beginn weder Vater noch Mutter gross eine Ahnung haben. Es bestehen halt immer noch sehr unterschiedliche Erwartungen und Rollenbilder. Als Mann lernt man spätestens in der RS, was die Gesellschaft von einem «ganzen Mann» erwartet: Wehrhaftigkeit und Dominanz – die Reinform von traditioneller Männlichkeit. Männer, die Zivildienst machen, werden als Weicheier abgewertet. Für mich war das immer eine Gratwanderung: einerseits dazuzugehören, die Rolle zu erfüllen – also stark genug zu sein – und andererseits diese Rollen auch abzulehnen, mich selbst zu sein.

Warum ist es wichtig, dass sich gerade Männer im Genderbereich engagieren?

Weil wir da einen riesigen Aufholbedarf haben. Viele Männer – gerade aus älteren Generationen – haben sich bisher kaum mit starren Geschlechterrollen und den damit verbundenen Problemen auseinandergesetzt. Ich versuche sie in meiner Arbeit immer an einem Punkt abzuholen, an dem sie sich persönlich betroffen fühlen. Und oft braucht es dafür sehr wenig, um Männer – genauso wie Frauen – für andere Perspektiven und Anliegen zu sensibilisieren. Aber sich mit den eigenen Privilegien und der eigenen Machtposition zu konfrontieren, ist nicht einfach. Denn dies bedeutet, dass man dann auch etwas davon abgeben muss.

Auf der anderen Seite fällt es vielen sehr schwer zuzugeben, dass man auch als Mann genauso Opfer der patriarchalen Gesellschaft ist. Die Hierarchien und die Hackordnungen unter Männern sind brutal, nicht nur im Militär. Man steht ständig unter Druck, männlich genug zu sein. Wenn man Gefühle zeigt, gilt man als Pussy. Deshalb ist der Umgang von Männern – zum Beispiel bei der Arbeit oder beim Sport – oft von subtilen oder offenen Machtkämpfen, Abwertungen und Verspannungen geprägt. Wer Schwäche zeigt, wird ausgelacht, Dies beginnt schon in der Kindheit: Jungs werden gelobt, wenn sie sich durchsetzen. Mädchen werden gelobt, wenn sie sich kooperativ verhalten und zum Beispiel mit anderen teilen. Doch zum Glück ist sich da vieles am Verändern – und Bücher können einen Beitrag dazu leisten.

 

Die Genderbücher können bei der Stadtbibliothek Chur oder bei der Stabsstelle für Chancengleichheit ausgeliehen werden.

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