Nichts begrenzt uns mehr, als unsere eigenen Vorstellungen. Zum Beispiel die, dass es Unsinn ist, dass unser Denken, Wollen und Sehnen die Wirklichkeit mitgestalten, in der wir leben. Die Idee ist wahrlich unerhört!

Rauchende Frau
Die letzte, diesmal wirklich...! Foto: Dids (Pixels)

Es ist einfacher, etwas festzuhalten, als etwas loszulassen. Das weiss jeder, der schon einmal versucht hat, aufzuhören zu rauchen, weniger zu essen oder weniger Alkohol zu trinken. Es hört sich ganz einfach an: Man muss es einfach nicht tun. Doch tatsächlich ist es so, wie in diesem Moment nicht an einen rosa Elefanten zu denken: Er ist einfach da. Gross und breit steht er im Raum und man kann kaum an ihm vorbeischauen. 

Ich kenne mich mit Elefanten im Raum aus, mit Dingen, die ich nicht mehr machen will und dennoch tue. Immer wieder habe ich erfahren, dass der Wille allein eben nicht ausreicht, um bestimmte Gewohnheiten zu ändern. Es braucht eine weitere Kraft, die Dinge in eine andere Richtung zu lenken. 

Jahrelang wollte ich aufhören zu rauchen. Wirklich! Am Morgen war ich fest entschlossen, damit Schluss zu machen. Doch sobald eine Tasse Kaffee oder ein Glas Wein auf dem Tisch standen, war es vorbei mit der Willenskraft. Ich hatte das Gefühl, man würde mir ein Stück Lebenslust entreissen, ein Stück unbeschwerten Fallenlassens. Nie wieder würde ich mich frei fühlen.

Geändert hat sich etwas in dem Moment, in dem ich einen Entschluss fasste, eine Entscheidung traf. Etwas wurde voneinander geschieden. Es war, als hätte ich einen Schalter umgelegt. Der Strom floss nicht mehr in den alten Bahnen. Hierzu hatte mein Wille den Impuls gegeben. Doch das, was ihn in die Tat umsetzte, entsprang nicht allein mir. 

Ich hatte mich an eine andere Quelle angedockt. Kein Mangel war dadurch entstanden. Es wurde mir nichts genommen. Ich bekam etwas, was vorher nicht da war: Mehr Luft, mehr Zeit, mehr Geld, wachere Sinne, einen Körper, der sich wohler fühlte, einen zufriedenen Geist. Ich musste mich nicht zusammenreissen, musste nicht die Zähne zusammenbeissen und freudlos ein selbstgeschaffenes Gefängnis ertragen. Ich schöpfte aus dem Vollen.

 

Der Weg der Hingabe

Nicht der Mangel stand bei dieser Entscheidung im Fokus, sondern die Fülle. Hierauf richtete ich meine Aufmerksamkeit. Mangel zieht Mangel an. Fülle zieht Fülle an. Diese Gesetzmässigkeit erschliesst sich nicht über einen starken Willen, sondern über vertrauensvolle Hingabe, über das Wissen, dass für uns gesorgt ist. 

Dieses Vertrauen brauchen wir jetzt. In Zeiten, in denen auf allen Ebenen Mangel erzeugt wird, tun wir gut daran, uns auf die Fülle zu besinnen. Hiermit ist nicht der künstliche Überfluss gemeint, den wir in den Supermarktregalen finden, sondern die Grosszügigkeit der Natur. Der Baum zählt seine Blätter nicht. Unbegrenzt sind die Ideen, die unseren Gedanken entspringen, unerschöpflich die Gefühle, die unserem Herzen entströmen. 

Wer sich nicht darauf fokussiert, was ihm äusserlich fehlt, sondern darauf, was ihm innerlich zur Verfügung steht, der bekommt Zugang zu Reichhaltigkeit und Überfluss. Er erfährt: Das Leben ist mir wohlgesonnen. Wenn sich die Schleusen öffnen, offenbart sich uns ein unerschöpflicher Quell an Möglichkeiten. 

Nichts begrenzt uns mehr, als unsere eigenen Vorstellungen. Zum Beispiel die, dass es Unsinn ist, dass unser Denken, Wollen und Sehnen die Wirklichkeit mitgestalten, in der wir leben. Die Idee ist wahrlich unerhört! Versucht man nicht seit Jahrhunderten, uns auszureden, dass es überhaupt so etwas wie eine geistige Macht gibt? Dass etwas zur Wirkung kommt, wenn wir «nur» daran glauben? Dass das, was wir im Aussen wahrnehmen, im Grunde die Spiegelung unserer Innenwelten ist? 

Ich versuch’s trotzdem. Ich denke mir, wie sich die Schleusen in mir öffnen. Wie meine Vorbehalte fortgespült werden, wie die Türen zu meinen Ego-Räumen aufgehen, zu dem, was mich daran hindert, aus dem Vollen zu schöpfen. Noch hält das Ego krampfhaft fest. Es will sich nicht geirrt haben alle die Jahre. Es gibt vor, mich dort zu schützen, wo ich verletzt wurde. Doch tatsächlich behindert es die Heilung, denn es baut Blockaden und lässt nicht strömen und ins Gleichgewicht finden. 

Der Prozess, der so in Gang gesetzt, ist ein langwieriger. Seit Jahren bin ich so unterwegs. Immer wieder tappe ich in alte Fallen. Oft sehe ich nicht, was Sache ist. Doch ich wurde reich beschenkt. Ich habe eine Krebserkrankung überlebt, Trennungen, Zurückweisungen und existenzielle Bedrohungen, den Tod meines Mannes Anfang des Jahres. 

Und: Ich habe nie wieder angefangen zu rauchen. 

Über

Kerstin Chavent

Submitted by cld on Mi, 05/17/2023 - 22:38
Kerstin Chavent

Kerstin Chavent lebt in Südfrankreich. Sie schreibt Artikel, Essays und autobiographische Erzählungen. Auf Deutsch erschienen sind bisher unter anderem Die Enthüllung,  In guter Gesellschaft, Die Waffen niederlegen, Das Licht fließt dahin, wo es dunkel ist, Krankheit heilt und Was wachsen will muss Schalen abwerfen. Ihre Schwerpunkte sind der Umgang mit Krisensituationen und Krankheit und die Sensibilisierung für das schöpferische Potential im Menschen. Ihr Blog: „Bewusst: Sein im Wandel“.