Der Depakine-Skandal in der Schweiz

Das Antiepilleptikum Depakine wurde an Schwangere verschrieben, obwohl die schädigende Wirkung auf den Fötus längst bekannt war. Swissmedic warnte erst 15 Jahre nach Bekanntwerden der schweren Folgen in der Schwangerschaft. In der Schweiz werden nur zehn Prozent von unerwünschten Auswirkungen eines Medikaments gemeldet.

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Seit dem Jahr 1972 ist das Antiepilleptikum Depakine des französischen Arzneimittelherstellers Sanofi-Aventis in der Schweiz zugelassen und basiert auf Valproinsäure, auch Valproat genannt. In einem Bericht aus dem Jahr 2019 bestätigte die Arzneimittelbehörde Swissmedic mehr als 800 Meldungen über verschiedene unerwünschte Wirkungen, darunter 39 Missbildungen oder eine verzögerte geistige Entwicklung bei Neugeborenen, die in der Zeit zwischen 1990 und 2018 durch Depakine in der Schweiz verursacht wurden. Erst Anfang der 2000er Jahre kam der Verdacht auf Entwicklungsstörungen auf und 2006 wurden in der Schweiz und anderen Ländern endlich entsprechende Warnhinweise in den Arzneimittelinformationen eingeführt. Die Arzneimittelbehörde Swissmedic warnte erst im Jahr 2015 und damit 15 Jahre nach bekanntwerden der Risiken. Seither hat sich in Frankreich und der Schweiz eine zunehmend hitzige Debatte darüber entwickelt, ob die Behörden ausreichend zeitnahe Warnungen herausgegeben haben.

Das Medikament sei weiter an Schwangere verschrieben worden, lange nachdem seine schwerwiegenden schädigenden Wirkungen bekannt gewesen seien. Im vergangenen Jahr haben in der Schweiz mehrere Familien von geschädigten Kindern die Gerichte angerufen und gegen Sanofi geklagt. Die betroffenen Eltern seien nicht darüber informiert worden, welche Risiken diese Behandlung für die Schwangerschaft barg, weder durch ihre Ärztin oder ihren Arzt noch durch die Arzneimittelinformation, schrieb die Nationalrätin und Geburtshelferin Maury Pasquier Liliane von der SP im Jahr 2019 in einem Postulat an den Bundesrat.

Es gebe wahrscheinlich viel mehr Depakine-Opfer in der Schweiz als vermutet, betont Prof. Dr. Alice Panchaud gegenüber der westschweizer Zeitung Le Matin Dimanche. Sie ist Pharmakologin an der Universität Bern und Mitautorin der kürzlich im Swiss Medical Weekly veröffentlichten Studie über Valproat, die von der Krankenversicherung Helsana in Auftrag gegeben wurde. Gemäss der Studie ist seit 2008 ein angeborenes Valproat-Syndrom bekannt, welches bei bis zu zehn Prozent der Kinder auftritt, nachdem sie im ersten Trimester in der Gebärmutter dem Wirkstoff Valproat ausgesetzt waren.

Die Studie zeigt zudem, dass selten mehr als zehn Prozent der negativen Auswirkungen eines Medikaments überhaupt gemeldet werden. Dies sei noch häufiger der Falll, wenn die Auswirkungen erst nach längerer Zeit auftreten. Die Studie fordert ein besseres Überwachungssystem für solche Fälle und die Einführung einer systematischen Kontrolle. Im Studienzeitraum von 2014 bis 2018 war der Einsatz des Wirkstoffes Valproat höher als erwartet. 1,9 von 10'000 Schwangerschaften wurden noch mit Valproat behandelt, und bei 1,3 von 10'000 Schwangerschaften wurde die Behandlung erst beendet, als die Schwangerschaft bestätigt wurde.