Auf der Idee von vermehrbarem Privateigentum beruht die Entwicklung des Kapitalismus. «Eigentum ist Diebstahl», sagte die Linke. Dieser Glaubenskrieg führte zu Revolutionen, Weltreichen und Bürgerkriegen. Doch es gibt einen Dritten Weg.

Dreigliederung

Am 17. Februar 2024 organisiert der Verein «Dreigliederung Schweiz – Bewegung für soziale Erneuerung» eine Veranstaltung zur Diskussion einer neuen Idee des Eigentums, die linke und liberale Anliegen verbindet. Der Geschäftsführer des Vereins, Fionn Meier, erläutert die Hintergründe.

Die Industrialisierung, welche im 18. Jahrhundert in England begann und anschliessend die ganze Welt eroberte, hat die Verhältnisse der Menschen zur Natur wie im sozialen Miteinander vollständig verändert. Früher hatten die allermeisten Menschen ihre Arbeit an der Natur verrichtet. Es war ihnen dabei noch ein Erlebnis, dass die Natur göttlicher Herkunft ist. Die Natur konnte dementsprechend kein Privatbesitz sein. So war der König nur der Stellvertreter Gottes auf Erden. Er war nicht Besitzer, sondern Verwalter der Natur. Er konnte folglich bloss die Nutzrechte an der Natur an die Bauern verleihen.

Durch die Industrialisierung hat sich die Arbeit von der Natur losgelöst. Der menschliche Erfindergeist entwickelte unzählige Maschinen, an denen heute weltweit die meisten Menschen ihre Arbeit verrichten. Diese Maschinen sind nicht göttlicher, sondern menschlicher Herkunft. Dieser unternehmerische Erfindergeist, der sich seit der Renaissance in immer gewaltigerer Weise kundgibt, emanzipierte sich entsprechend von der Abhängigkeit königlicher Vorrechte und erschuf das Feld seiner Wirkungsmöglichkeit: Den auf Privateigentum beruhenden Kapitalismus.

Das private Eigentum an der Produktionsgrundlage hat einen wirtschaftlichen und technologischen Fortschritt mit sich gebracht, auf welchen die meisten Menschen heute nicht mehr verzichten wollen. Im lebendigen, sozialen Zusammenhang hat jedoch alles immer auch seine Kehrseite. Der Unternehmer verfügte beispielsweise nicht mehr nur über eine Mühle mit wenigen Mitarbeitern, sondern über mehrere Fabriken, in denen tausende von Menschen arbeiteten. Die neu entstandenen Machtverhältnisse führten in vielen Fällen zur Ausbeutung der Arbeiter. Marx betrachtete als Lösung hierfür die Vergesellschaftung der Produktionsmittel. Diese sollen allen gehören. Inspiriert von Marx riefen nun die Arbeiter zur «internationalen Solidarität» auf, um durch die Verstaatlichung aller Unternehmen seine Pläne zu verwirklichen, - worauf sich wiederum Vertreter des freien, unternehmerischen Erfindergeistes verbündeten. Die gegenwärtige soziale Dialektik war geboren: Kapitalismus vs. Sozialismus.

Johann Wolfgang von Goethe entdeckte in der Natur das Gesetz von Polarität und Steigerung, durch welches die Natur sich zu immer höheren Formen entwickelt. Kann diese Polarität im sozialen Leben ebenfalls in eine höhere Form überführt werden, welche die Einseitigkeiten beider Pole überwindet, ohne dass die positiven Eigenschaften des bisher Erreichten aufgehoben werden? Zu Beginn des 20. Jahrhunderts zeigten verschiedene Menschen, dass es einen solchen Entwicklungsschritt gibt. In umfassender Weise hatte diesen Entwicklungsschritt Rudolf Steiner im Rahmen seiner Bemühungen für eine «soziale Dreigliederung» beschrieben.

Steiner sah in den Forderungen der Kapitalisten und der Sozialisten jeweils berechtige Elemente. Der erfinderische, unternehmerische Geist kann nur wirken, wenn er frei über die Produktionsmittel verfügen kann. Der eigentliche Schaden für die Allgemeinheit tritt erst dann ein, wenn das Eigentum an den Produktionsmitteln verkauft oder vererbt wird. In beiden Fällen ist weder das Kriterium der fachlichen Fähigkeit noch das der moralischen Integrität des neuen Eigentümers entscheidend. Diese beiden Kriterien sind jedoch allein ausschlaggebend, ob das Unternehmen für die Allgemeinheit von Nutzen sein wird oder nicht.

Wie kann gewährleistet werden, dass diese beiden Kriterien bei der Übertragung des Eigentums an erster Stelle stehen? Als Antwort auf diese Frage entwickelte Steiner den Begriff «Eigentum auf Zeit». Der Unternehmer soll nur so lange der Eigentümer des Unternehmens sein, wie er das Unternehmen aktiv leitet. Tritt er zurück, so kann er das Unternehmen weder verkaufen noch vererben, sondern nur demjenigen neuen Unternehmensleiter «übertragen», in welchem er die notwendigen fachlichen und moralischen Fähigkeiten gewährleistet sieht. Dieser neue Eigentümer kann wiederum nur so lange über das Unternehmen verfügen, wie er die Leitungsfunktion ausübt. Steiner war es klar, dass es eine perfekte Umsetzung dieser Idee nicht geben könne. Es könne sich nur darum handeln, Voraussetzungen zu schaffen, damit die oben genannten Kriterien bestmöglich zur Wirksamkeit kommen können. Dazu werden sich viele verschiedene Möglichkeiten finden lassen, die alle ihre Vor- und Nachteile haben.

Verschiedene Unternehmer hatten damals in eine vergleichbare Richtung gedacht. Als Beispiel kann die Firma Carl Zeiss AG gelten. Ernst Abbe, ein Forscherkollege von Carl Zeiss, wurde nach dessen Tod alleiniger Eigentümer der Carl Zeiss AG. Er entschied sich, die Firma für alle Zeiten unverkäuflich zu machen, indem er alle Anteile der hierfür gegründeten Stiftung Zeiss schenkte. Die Leitungsfunktion der Carl Zeiss AG ist seitdem weder käuflich noch erblich, sondern nur übertragbar auf Zeit.

Ein Unternehmen in Deutschland in dieser Art und Weise zu gründen oder ein bereits existierendes Unternehmen in ein Stiftungsunternehmen zu überführen, ist heute extrem kompliziert, zeitraubend und teuer. Dennoch gibt es immer mehr Unternehmer, die genau dies wünschen. Dazu entwickelten sie das Konzept des «Verantwortungseigentums» oder der «Gesellschaft mit gebundenen Vermögen». Durch ihr grosses Engagement haben sie mittlerweile in Deutschland eine breite Resonanz in den Medien, der Wissenschaft und der Politik erreicht. An ihrer VE:23 Veranstaltung in Berlin am 27. Oktober 2023 hielt der deutsche Bundespräsident Frank Walter Steinmeier die Eröffnungsrede und verkündete: «Ihr Grundanliegen, verantwortlichem Unternehmertum eine besondere Form zu geben, hat meine Sympathie, und darum bin ich heute hier.»

Bezeichnend ist der Zuspruch sowohl aus dem liberalen als auch aus dem linken politischen Lager. So findet sich diese Idee einerseits zum Beispiel bei Sarah Wagenknecht in ihrem Buch «Reichtum ohne Gier» (2018, Verlag Campus) als ein möglicher Weg aus dem gegenwärtigen Wirtschaftsfeudalismus. Anderseits bezeichnet der Ex-Chef der deutschen Wirtschaftsweisen, diese als urliberale Idee, da sie es jungen Unternehmen ermöglicht, den grossen Unternehmen eine nicht-käufliche Konkurrenz gegenüber darzustellen, wodurch der Wettbewerb der Ideen gefördert werden würde. Ist dies ein Zeichen, dass es sich tatsächlich um eine Steigerung der gesellschaftlichen Polarität handelt, in welchem die konträren Anliegen zu einer Einheit geführt werden?
Eine Debatte zur Idee von «Eigentum auf Zeit» möchte ebenfalls der Verein «Dreigliederung Schweiz – Bewegung für soziale Erneuerung» anstossen. Als Vorblick auf die kommende Veranstaltung erschienen in seinem Rundbrief Nr. 2 verschiedene Berichte, wie gegenwärtig diese neuen Unternehmensformen in der Schweiz in der Praxis erprobt werden. Der Rundbrief ist  ​​​​hier erhältlich.

Veranstaltungshinweis: Eigentum neu Denken

Am 17. Februar 2024, 9.00 Uhr bis 16.30 Uhr findet in der Rudolf Steiner Schule Zürich, Plattenstrasse 37 für alle Interessierte ein öffentliches Kolloquium zum Thema «Eigentum neu Denken» statt. 

Mitwirkende Referenten: Marc Desaules (Vorstand Dreigliederung Schweiz), Vital Brodbeck (Sennerei Bachtel), Dr. Simon Mugier (Dozent ZHAW), Lukas Hotz (Gründer Purpose Schweiz), Dr. Jens-Martignoni (Dozent ZHAW), Fionn Meier, u.a.m.

Freie Kollekte. Zur Deckung der Ausgaben für die Räumlichkeit und die Verpflegung benötigen wir CHF 60 als Richtpreis.

Für die Planung bitten wir um Ihre Anmeldung bis zum 10. Februar mit der Angabe mit oder ohne Mittagessen: [email protected]

 

Über

Fionn Meier

Submitted by cld on Do, 01/18/2024 - 09:19
Logo des Vereins Dreigliederung Schweiz

Fionn Meier hat an der ETH in Zürich Umweltnaturwissenschaft und an der Universität Freiburg (CH) Volkswirtschaft studiert und seine Masterarbeit zum Thema „Geld als Buchhaltung - historische und theoretische Aspekte" geschrieben. Er unterrichtet Wirtschaft an verschiedenen Schulen. Seit 2022 ist er Geschäftsführer des Vereins „Dreigliederung Schweiz – Bewegung für soziale Erneuerung“.