1G-Regelung gefährdet die Grundversorgung in Peru

In Peru gilt seit dem 10. Dezember eine strikte 1G-Regelung. Ungeimpfte haben nicht einmal mehr Zutritt zu Bankomaten, Märkten und Supermärkten. Dass die Versicherungen nur bei Geimpften die vollen Behandlungskosten übernehmen, verschärft die Situation weiter. Ungeimpfte beharren jedoch trotz der massiven Einschränkungen auf ihren Grundrechten, denn offiziell gilt keine Impfpflicht.

© Nicole Maron (2020)

Seit einem Monat gilt in Peru eine neue Covid-Gesetzgebung. Anders als in der Schweiz wurde sie vom Gesundheitsministerium erarbeitet und von Präsident und Parlament abgesegnet, ohne dass sie der Bevölkerung vorgelegt werden musste. Knapp ein Monat vor dem Inkrafttreten wurde angekündigt, dass Umgeimpfte ab dem 10. Dezember keinen Zugang zu geschlossenen Räumen wie Restaurants, Fitnessstudios oder Kinos mehr haben werden. Dabei gilt 1G – die Optionen «genesen» oder «gestestet» existieren nicht.

Doch der Stichtag, an dem das Gesetz in Kraft trat, brachte eine böse Überraschung: Nicht nur der Zugang zu Freizeitangeboten war den Ungeimpften – und solchen, die erst eine Impfdosis erhalten haben – verwehrt, sondern auch der Zutritt zu Supermärkten, Märkten und der Bank. Da sich viele Bankomaten innerhalb der Gebäude befinden, bedeutet dies: Ungeimpfte können teilweise kein Geld mehr abheben, und je nach Wohnort nur noch begrenzt Lebensmittel einkaufen. Für Ungeimpfte ab 45 Jahren gilt ausserdem ein Verbot für die Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln. Es ist davon auszugehen, dass die Altersgrenze noch heruntergesetzt wird.

Dementsprechend ist der Aufschrei gross. In den ersten Tagen nach der Einführung der neuen Regelungen versammelten sich vor Banken, Märkten und Ämtern Menschen, die auf ihre Grundrechte insistierten und Zugang zur Grundversorgung forderten. Doch das angestellte Wachpersonal beharrte darauf, dass es sich um Anweisungen von oben handle und sie ihren Job riskierten, wenn sie Ungeimpften Einlassen gewährten.

In Peru sind 86 Prozent der Bevölkerung geimpft, wobei die Zahl in ländlichen Regionen teilweise noch unter 70 Prozent liegt. Viele der Ungeimpften wollen trotz der neuen Gesetzgebung auf ihrem Recht beharren – denn offiziell gibt es in Peru keine Impfflicht. Einer von ihnen ist der Architekt Francisco Quispe, der in der südperuanischen Stadt Puno lebt – einer Region mit einer der tiefsten Impfquoten des Landes. «Ich hatte schon vier Mal Covid und habe mich mit Chlordioxid kuriert – genauso wie viele Menschen in meinem Umfeld», sagt er. «Das heisst unter anderem, dass ich über Antikörper verfüge und die Impfung für mich persönlich als unnötig erachte. Da in Peru offiziell keine Impfpflicht gilt, habe ich jedes Recht dazu, diese Entscheidung zu treffen.»

Quispe nimmt die starken Einschränkungen, die dies mit sich bringt, bewusst in Kauf. Besonders die mRNA-Impfungen wie Pfizer, mit der in Peru in erster Linie ältere Menschen geimpft werden – weil der Impfstoff als wirkungsvoller gilt –, bereiten Quispe Sorgen. «Im Vertrag, den Pfizer mit Peru abgeschlossen hat, steht explizit, dass es sich um einen Impfstoff handelt, dessen Entwicklung sich in der Phase 2 von 3 der klinischen Studien befindet. Es wird darauf hingewiesen, dass Pfizer deshalb die Wirksamkeit nicht garantieren kann und auch für allfällige Nebenwirkungen keine Verantwortung übernimmt. Damit wird der Nürnberger Kodex verletzt, der medizinische Experimente an Menschen verbietet.»

Laut des 1947 im Rahmen der Nürnberger Ärzteprozesse unterzeichneten Kodex gilt, dass bei entsprechenden Studien die freiwillige Zustimmung der Versuchspersonen unbedingt erforderlich ist. Im Fall der neuen Impfstoffe stellt sich nun die Frage, ob diese Regel nur für diejenigen Freiwilligen gilt, die an Phase 1 der Impfstoff-Entwicklung teilgenommen haben, auf Grund derer dann die Zulassung erfolgt ist. Oder ob alle, die sich im Rahmen von Phase 2 impfen lassen, auch dazugezählt werden müssten. «Die mRNA-Impfstoffe sind eigentlich falsch benannt, was in die Irre führt. Es handelt sich nicht um klassische Impfstoffe, sondern um eine Gentherapie. In den USA haben die Gesundheitsbehörden letztes Jahr die Definition von «Impfung» verändert, ansonsten würden die neuen so genannten Impfstoffe gar nicht darunter fallen», sagt Quispe.

Tatsächlich haben die Centers for Disease Control and Prevention (CDC) sowie auch das älteste Referenz-Wörterbuch der USA, Merriam-Webster den Eintrag «Impfung» so abgeändert, dass nun auch die mRNA-Technologie dazugehört. Anstatt wie vorher anzugeben, dass Impfungen «Krankheiten vorbeugen» und «Immunität gewähren», heisst es nun lediglich noch, dass sie «Schutz gewähren».

Zu dieser Diskussion hinzu kommt in Peru als Stein des Anstosses, dass Krankenversicherungen ihre Bestimmungen angepasst haben, was die Behandlung von Covid betrifft. «Rimac», einer der grössten Krankenversicherer des Landes, verschickte Ende Dezember eine Nachricht an alle Versicherten und teilte mit, dass ab dem 1. Januar unterschiedliche Bestimmungen für Geimpfte und Ungeimpfte gelten: Bei Geimpften, die wegen Covid ins Krankenhaus müssen, übernimmt die Kasse alle Kosten, inklusive des Selbstbehaltes, den die Patienten normalerweise übernehmen müssen. Ausserdem wird gilt keine Obergrenze für die Kostenübernahmen. Ungeimpfte dagegen zahlen einen Selbstbehalt, der je nach Versicherungsmodell und Klinik variiert, und müssen ab einem gewissen Betrag die Kosten selber tragen.

«Diese Praktik kommt der Diskriminierung einer Minderheit gleich», betont Quispe. «Nur wenn ich der Meinung der Mehrheit folge und mich impfen lasse, habe ich das Recht auf volle medizinische Versorgung. In einem Land wie Peru, in der ohnehin schon ein Graben zwischen Menschen mit verschiedenen finanziellen Möglichkeiten klafft, ist dies drastisch. Interessant wäre ausserdem die Frage, inwiefern die Versicherungen die Kosten decken, wenn jemand auf Grund der Impfung Komplikationen bekommt.»