Lieber hart als klug?

Frauen nehmen in der Wirtschaft, in Organisationen und in der Politik nur wenige Spitzenpositionen ein. Möglich, dass sie eher Karriere machen, wenn sie sich hart wie Männer geben.

Christine Egerszegi, während 20 Jahren erfolgreiche National- und Ständerätin. (Foto: zVg)

«Das sehe ich nicht so, Frauen trauen sich einfach zu wenig zu. Härte an sich bringt nichts, wichtiger sind Durchhaltewillen und andere Qualitäten», so Christine Egerszegi, erfolgreiche National- und Ständerätin während zwanzig Jahren. Eine, die nie davor zurückgeschreckte sich die Dinge genau anzuschauen und fundierte eigene Ansichten zu vertreten – nicht selten gegen die offizielle Meinung ihrer Partei, der FDP. «Man muss seine Vorstellungen genau definieren und dann mit Selbstvertrauen in Auseinandersetzungen steigen. Manchmal überzeugt man, manchmal verliert man, beides ist nicht zu überschätzen.» Verlieren und Versagen habe in unserer Kultur tatsächlich einen negativen Anstrich, statt dass man es als Chance sehe, daraus positive Schlüsse zu ziehen. «Wir müssen noch lernen, mit dem Misserfolg richtig umgehen». Der Umgang mit der Angst beim Führen muss geübt werden. «Männer können das im Militärdienst lernen, auch das Dranbleiben an der Sache, die man vertritt». Das Dranbleiben sei beispielsweise in der Politik eine zentrale Notwendigkeit, aber auch generell.

Etwas anderes als demonstrative Härte im Umgang sei eine harte Schale, um das Wichtige zu schützen. Nämlich beispielsweise berechtigte Anliegen, Notwendigkeiten, Ideen und die Menschlichkeit. Diese Art von passiver und schützender Härte könne und müsse man auch als Frau lernen und damit die Angst vor Misserfolgen überwinden. «Die Kraft für diese Art von schützender Härte kommt aus nichtmateriellen Quellen, wie etwa dem Familienleben, Vertrauen, Zuversicht. Man muss auch akzeptieren lernen, dass es ungerechte Verhältnisse gibt, die nicht von heute auf morgen geändert werden können. Die Sache ist immer in den Mittelpunkt zu stellen, aber die Gefühle sollen dabei auch ihren Platz einnehmen dürfen». Wer sich gründlich vorbereite und entsprechend argumentiere, brauche weniger harte Kämpfe.

Trotzdem sei Verlieren manchmal unvermeidlich – auch das könne man lernen, ohne Schaden dabei zu nehmen. Nach dem Motto «Was mich nicht umbringt, bringt mich weiter». Es sei ein gutes Gefühl, trotz einer Niederlage wenigstens für eine gute Sache gekämpft zu haben. «Wichtig ist, nach einem momentan grossen Verlieren, eine Sache abzuschliessen und vorwärts zu schauen», so Christine Egerszegi. Das habe nichts mit Härte zu tun, sondern mit Einsicht – und sei ja auch in der Familie gültig.

Die Familie! «Wer sich engagiert, kann das nicht gegen die Familie tun. Weil man einen Lebensraum braucht, in dem man nicht kämpfen muss. Aber informieren ist wichtig, die Familie soll wissen, was läuft. Auch das hat allerdings seine Grenzen, nämlich dann, wenn einzelne Themen familienintern zu einer belastenden Situation führen könnten». Man müsse auch Konzessionen machen, speziell wegen der langen Arbeitszeit in Kaderpositionen. «Ich habe immer anfangs Jahr sehr viel Ferien zwischen den Sessionen in Bern eingeplant. Oft gab es dann zwar kein Wegfahren, aber keine Sitzungen, dafür gelegentlich Ausflüge mit der Familie». Auch seien die Sonntage immer für die Familie reserviert geblieben. Offenbar spielt die Organisation für vielbeschäftigte Frauen eine speziell wichtige Rolle. «Das ist 150-prozentig richtig und wichtig! Und doch: Man kann noch so gut planen, plötzlich wird über Nacht ein Kind krank. Dann braucht es Flexibilität, und in dieser Sparte sind Frauen – eben wegen der Herausforderungen in der Familie – besser. Man könnte sagen, diese Fähigkeit, neue Wege zu finden, sei ein Trumpf der Frau. Und der ist wichtiger als Härte», so Christine Egerszegi. Vielleich sei diese Qualität ein gutes Gegengewicht zu fehlender Ausdauer. Sicher baue man mit Flexibilität mehr Vertrauen auf als mit Härte.

An dieser Stelle verweist die Politikerin auf den Mangel, dass es im Bundesrat selten Frauen gebe, die Kinder grossgezogen haben. «Familienerprobte Frauen können auch in politischen Gremien wertvolle Anregungen einbringen, mit Impulsen neue Lösungen anstossen.» Wenn es um die Arbeit geht, seien Mütter benachteiligt. Vor allem wegen dem Fehlkonstrukt Schulsystem. «Die fehlenden Tagesstrukturen behindern unnötigerweise die Frauen mit Kindern. Frauen können sich nicht in dem Masse im Arbeitsprozess halten und weiterbilden, wie das für ihre Selbstbestimmung und persönliche Entwicklung nötig wäre. Da könnte uns die welsche Schweiz ein gutes Beispiel für erste Schritte sein. Wenigstens in Sachen Teilzeitarbeit.»

Man hört immer wieder von Männern, dass sie gerne mehr Frauen in Toppositionen sehen würden, diese sich aber nicht auf entsprechende «harte» Herausforderungen einlassen wollen. «Das sind eher Ausreden, unnötige Rechtfertigung für Versäumnisse. In anderen, vornehmlich nördlichen Ländern, hat man längst gehandelt. Nämlich Bedingungen verbessert, Tagesstrukturen geschaffen und damit den Frauen breitere Türen geöffnet. Beispielsweise im Schulbereich, inklusive Schulzeiten, Kinderbetreuung und Ganztagesschulen. Da sehen wir in der Schweiz alt aus – Frauen würden das System ziemlich anders organisieren.» Auch in diesem Bereich brauche es nicht mehr Härte, sondern kluge Vorschläge und Beharrlichkeit. Aber die grundsätzlich weiblichen Werte werden eben noch nicht angemessen geschätzt – anders als etwa die typisch männliche Härte.

Inwiefern hilft es, dass die Mehrzahl der Studierenden heute Frauen sind? «Ich kann damit nichts anfangen. Nach meiner Meinung ist es ein grundlegender Irrtum, zu meinen, dass Studierte mehr wert oder besser seien als andere.» Stattdessen zähle die Art, wie sich Menschen in einen Beruf einbringen und arbeiten. «Es braucht viele verschiedene Stimmen in einem Chor, und alle sind gleich wichtig für Erfolg. Viele notwendige Qualifikationen können nicht an Universitäten gelernt werden.» Es gebe nebst dem offiziellen IQ noch ganz andere Formen von Intelligenz; nicht alles, was wertvoll sei, könne mit einem Zeugnis bewertet werden. Zudem: «Jeder Mensch kann etwas, das andere nicht können» – ob mit schulischen Auszeichnungen oder ohne.

Immerhin könnten harte Frauenquoten als Beschleuniger wirken. Quoten sind allerdings für Christine Egerszegi eine erzwungene, demnach schwache Lösung, die sie nicht unterstützen kann. «Frauenquoten bedeuten auch Männerquoten. Da habe ich ein besseres Beispiel: Der Aargau schickte vier Jahre lang zwei Frauen in den Ständerat, also 100 Prozent. Nicht weil wir Frauen waren, sondern weil uns die Bevölkerung diese Arbeit zutraute und wir gute Lösungen anboten, hinter denen Wissen und Erfahrung standen.» Frauen seien oft mutiger, wenn es um neue Lösungen gehe, müssten diese aber überzeugender und hartnäckiger ausdiskutieren helfen. Dabei merke man dann oft, dass nicht alle Männer Herausforderungen mit Härte angehen. «Es gibt in beiden Geschlechtern beides, Harte und Kluge.»

  

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