Ohne Pieks #11: Impfen mit allen Mitteln

In der Schweiz sind knapp zwei Drittel der Bevölkerung vollständig geimpft. Laut Bundesrat nicht genug – deshalb wird er kreativ, um Menschen zum Pieks zu überreden. Davon zeugen teilweise heftig kritisierte Strategien wie Gutscheine für Menschen, die andere vom Impfen überzeugen, oder bei Schulen stationierte Impfbusse. In Peru dagegen haben die Vorgehensweisen, um die erwünschte Impfquote zu erreichen, ein ganz anderes Ausmass angenommen. Dazu gehören Impfpartys für Jugendliche sowie die Verweigerung der Rentenauszahlung bei umgeimpften Pensionierten.

Impfen an Verkleidungspartys – in Peru Realität / © Gesundheitsministerium Peru (Minsa)

Nach harzigen Verhandlungen mit den ausländischen Pharmakonzernen (siehe Bericht von 11. März) sind in Peru inzwischen verschiedene Impfungen erhältlich, und laut offiziellen Angaben hat knapp die Hälfte der Bevölkerung die doppelte Dosis erhalten. Doch die Quote ist längst nicht so hoch, wie sich das die Regierung wünscht. Deshalb sind die Behörden kreativ geworden, um so genannte Zögerer zum Pieks zu überreden.

Unter dem Slogan «Vacuna Fest» veranstaltet das Gesundheitsministerium regelmässig Impfpartys, die vor allem Jugendliche animieren sollen. Es läuft Musik, es wird getanzt und in Kostümen posiert – denn die besten Verkleidungen werden prämiert, genauso wie Social Media Posts oder TikToks, die besonders viele Likes bekommen. Am letzten Oktoberwochenende wurden diejenigen ausgezeichnet, die im besten Halloween-Kostüm zum Impfen erschienen. Auch Pyjama-Impfpartys sind beliebt – und dies alles in den öffentlichen staatlichen Impfzentren.

Um die ältere Generation zum Impfen zu bringen, werden dagegen ganz andere Saiten aufgezogen. In verschiedenen ländlichen Gemeinden rund um die Stadt Puno erzählen Menschen im Pensionsalter, dass ihnen angedroht wurde, ohne Impfung bekämen sie keine Rente oder andere staatliche Ergänzungsleistungen mehr ausbezahlt. Diese erhält man in Peru nicht per Banküberweisung, sondern als Direktauszahlung in Bar, für die man sich jeden Monat am Schalter anstellen muss. «Als ich in der Schlange stand, kam jemand auf mich zu und fragte mich, ob ich geimpft sei», sagt die 71-jährige Lucia Mamani (*). «Ich verneinte, und man sagte mir, dann müsse ich gar nicht weiter anstehen, da ich in diesem Fall keine Auszahlung bekäme. Man könne das Problem aber ganz einfach lösen und mich direkt hier beim Anstehen impfen. Wie fast alle anderen habe ich eingewilligt, denn ich bin auf das Geld angewiesen.»

Dieses Vorgehen hat keine gesetzliche Grundlage, doch es ist äusserst effektiv. Denn viele Menschen kennen ihre Rechte nicht, und selbst wenn: Der bürokratische Prozess, um dennoch an ihr Geld zu kommen, wäre kompliziert und langwierig – und das kann sich hier niemand leisten. Von offizieller Seite ist nie bestätigt worden, dass die Auszahlung von Renten an die Impfung geknüpft ist. Es ist nicht klar, wie systematisch diese Strategie angewandt wird oder wer die Anweisung dazu gibt.

Gloria Paucar (*), die gerade ihr Praktikumsjahr als Krankenpflegerin absolviert und in einer ländlichen Gemeinde im Departement Puno stationiert ist, beschreibt die Situation als prekär. «Das Personal, das angestellt wurde, um die Impfungen in den ländlichen Gemeinden durchzuführen, steht unter einem riesigen Druck. Denn es gilt die Vorgabe, eine Impfquote von hundert Prozent zu erreichen. Wer das nicht schafft, bekommt seinen Lohn nicht. Also werden viele sehr erfinderisch, um die Menschen zum Impfen zu überreden.» Anhand der Einwohnerlisten müssen die Impfbrigaden von Tür zu Tür gehen, um jedem und jeder die zwei Dosen zu verabreichen. Doch viele wehren sich gegen den Impfzwang. «Die Menschen ausserhalb der Städte haben ein ganz anderes Verhältnis zur Schulmedizin. Viele von ihnen haben in ihrem Leben noch nie eine Impfung erhalten, sie gehen nicht zum Arzt und setzen ausschliesslich pflanzliche Heilmittel ein», sagt Gloria. Etwas, was normalerweise respektiert wird: Wer sich entscheidet, sich oder seine Kinder nicht gegen klassische Krankheiten wie Polio, Gelbfieber oder Tuberkulose impfen zu lassen, muss lediglich ein Formular unterschreiben, dass er die Verantwortung für diese Entscheidung übernimmt.

Im Falle von Covid dagegen ist alles anders. «Die Vorschrift heisst: Alle müssen geimpft werden», sagt Gloria, die dieses Vorgehen für äusserst problematisch hält. Doch damit steht sie unter ihren Kolleginnen und Kollegen praktisch alleine da. Die meisten Mitarbeitenden im Gesundheitssektor haben weder Zweifel an der Impfung noch am Vorgehen, mit dem die Menschen zur Impfentscheidung gedrängt werden. Doch der Druck auf die Ungeimpften wird immer grösser: In bestimmten Regionen wurde im Radio angekündigt, dass demnächst ein Gesetz verabschiedet wird, laut welchem alle über 45-Jährigen nur noch öffentliche Verkehrsmittel benützen können, wenn sie zwei Impfdosen erhalten haben. «Ich habe viele Menschen gesehen, die zitternd und niedergeschlagen zum Gesundheitsposten kamen, um sich impfen zu lassen», sagt Gloria. «Es ging ihnen vollkommen gegen den Strich, und sie hatten auch Angst, weil bei Nachbarn und Bekannten Nebenwirkungen aufgetreten sind. Doch die Aussicht, keine Rente mehr zu bekommen oder nicht mehr arbeiten gehen zu können, weil sie nicht mehr Busfahren können, lässt ihnen keine Wahl mehr.»

(*) Namen der Redaktion bekannt