Tausend 5G-Antennen blockiert

Vor wenigen Tagen wurde die tausendste Einsprache gegen eine 5G-Antenne eingereicht. Dies meldet der Verein «Schutz für Strahlung» und spricht von einem «faktischen 5G-Moratorium». Fast gleichzeitig gibt die Swisscom eine 90-prozentige 5G-Abdeckung bekannt. Ein Widerspruch? Nein, eine Interpretationsfrage.

(Foto: 7seth / unsplash.com)

Seit im April 2019 die Rechtsgrundlagen für den Bau und die Umrüstung von 5G-Antennen gelockert wurden, versuchen die Mobilfunkbetreiber mit allen Kräften, den Netzausbau voranzutreiben. 5G verspricht hundertmal mehr Datenleistung, erfordert aber eine Verdreifachung der Grenzwerte und eine massive Erhöhung der Anzahl der Antennen. Diese Aussicht hat die 5G-Gegner und die Strahlenopfer mobilisiert – der Anteil der Elektrosensiblen beträgt rund zehn Prozent der Bevölkerung. Ihre Speerspitze ist der «Antennenalarm», der vom Verein «Schutz für Strahlung» betrieben wird. Er sammelt die Baugesuche und unterstützt die Betroffenen vor Ort bei den Einsprachen. Der im April eingerichtete Antennenalarm erwies sich als äusserst erfolgreich. Seit dem vergangenen Sommer ist die Mehrheit der Baugesuche blockiert; genaue Zahlen will die Swisscom auf Anfrage nicht bekanntgeben.

Vergangene Woche gab «Schutz für Strahlung» die tausendste Einsprache gegen ein 5G-Baugesuch bekannt. Dazu kommen noch einige hundert des Vereins «Gigaherz» und anderer Gruppen und Organisationen. Im Durchschnitt wurden die Einsprachen von 90 Betroffenen aus der unmittelbaren Umgebung der geplanten Antennen unterzeichnet, schreibt «Schutz für Strahlung», insgesamt also 90’000 Personen. Das ist eine respektable Zahl – die fast für eine Volksinitiative reichen würde –, zumal man bedenkt, dass die Einsprecher alle aus der unmittelbaren Umgebung geplanter Antennen stammen.

Die meisten Einsprachen konnten nicht abschliessend behandelt werden. Grund dafür ist eine Rechtsunsicherheit, die mit der Lockerung der «Verordnung zum Schutz vor nicht-ionisierender Strahlung» (NISV) vom April 2019 entstanden ist. Darin führt der Bundesrat für die neuartigen adaptiven Antennen, wie sie für 5G benötigt werden, einen neuen Messstandard ein. Nicht mehr die maximale Leistung einer Antenne sei für die Grenzwertbestimmung massgebend, sondern Durchschnittswerte über sechs Minuten und über 360 Grad – adaptive Antennen senden gezielt und unterschiedlich stark in die Richtung der Nutzer. Die Bestimmung der Messmethode hat der Bundesrat jedoch an das Bundesamt für Umwelt delegiert.

Was zunächst nach einer einfachen «Vollzugshilfe» aussah, entwickelte sich zu einem Problem, das so schnell nicht gelöst werden kann. «Es besteht weltweit noch kein Standard, den das BAFU für seine Empfehlung heranziehen könnte», teilte BAFU-Vizedirektor Paul Steffen Ende Januar den zuständigen kantonalen Stellen mit. Das Eidgenössische Institut für Metrologie (METAS) soll eine Messmethode entwickeln und hat dazu einen vorläufigen Bericht (nicht einmal in einer Amtssprache der Schweiz) abgeliefert. Aber: «Einen konkreten Zeithorizont für diese Arbeiten können wir nicht nennen.» Als Zwischenlösung empfiehlt das BAFU den Kantonen die sog. «frequenzselektive Messmethode, mit der die elektrische Feldstärke «generell überschätzt» werde und somit die Einhaltung des Vorsorgeprinzips gewährleiste. Damit können Entscheide zu den hängigen Baugesuchen gemäss Paul Steffen «rechtssicher begründet» werden.

Adaptive Antenne können in einem bestimmten Umkreis neue Geräte suchen, und in einem grösseren Umkreis dem Nutzer folgen. Das Signal zur Ortung neuer Geräte nennt man Signalisierungssignal. Das METAS und das BAFU schlagen vor, das Signalisierungssignal separat zu messen und anschliessend auf die Stärke des adaptiven Signals zu schliessen (Frequenzselektive Messung). Dieses Vorgehen hält Rebekka Meier für «sehr riskant». «Der Beam der Antenne verhält sich nämlich anders als das Signalisierungssignal. Die Aussage, die Strahlung werde mit dieser Methode überschätzt, ist sehr gewagt, denn die effektive Strahlenbelastung, wenn der Beam die grössten Datenmengen überträgt, wird nicht gemessen.»

Einstweilen bleiben aber noch rund 1000 Baugesuche auf Eis – faktisch ein 5G-Moratorium. «Wir haben erreicht, dass 97 Prozent der Antennen ohne 5G senden», schreibt «Schutz vor Strahlung» in einer Medienmitteilung. Die Swisscom sieht dies diametral anders. «Swisscom bietet über 90% der Schweizer Bevölkerung eine Abdeckung mit 5G», schrieb sie am 6. Februar auf ihrer Website. Wer hat recht? Beide. Aber dazu musste die Swisscom tief in die Trickkiste greifen. Mit einer Softwareänderung hat sie das 2100 MHz-Band der bestehenden 3G-Antennen auf langsames «5G wide» umgerüstet und dadurch die 3G-Leistung erheblich reduziert (Details dazu). Auf dem Mobilgerät erscheint das 5G-Emblem und der Nutzer dürfte zufrieden sein. «Fake 5G» sagt dazu Hans.-U. Jakob, der streitbare Präsident von Gugaherz, dem ältesten elektrosmog-kritischen Verein der Schweiz. Mit diesem Schachzug konnte die Swisscom Ende Dezember 2000 zusätzliche 5G-Antennen auf der Übersichtskarte des Bundesamtes für Kommunikation (Bakom) eintragen und die Einhaltung ihres ambitiösen Ausbauplans verkünden.

Mit 5G, das als Revolution des Mobilfunks angekündigt wurde, hat «5G wide» nicht  viel zu tun. «5G fast» oder «5G+», wie es von der Swisscom auch bezeichnet wird, gibt es erst im Umkreis von rund drei Prozent der Antennen. Aber die Aufrüstung auf «5G fast» mit mehr Leistung und höheren Frequenzen dürfte politisch viel leichter zu erreichen sein, wenn sich das harmlosere «5G wide» verbreitet hat. Der Schachzug der Swisscom dürfte ihren Gegnern noch einiges Kopfzerbrechen bereiten.

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