Was unser Körper über Wahrheit und Lüge aussagt
Die meisten Menschen lügen bewusst ein bis zwei Mal pro Woche, beim Kennenlernen einer neuen Person aber fast im Minutentakt. Das Gespräch mit der Kriminalpsychologin Saara Huhtasaari erschien bereits im aktuellen Zeitpunkt zum Thema: Zeit der Wahrheit.
Saara Huhtasaari
Saara Huhtasaari

Die in der Schweiz lebende Finnin Saara Huntasaari ist Expertin für Körpersprache und zertifizierte Trainerin für Mikroexpressionen, emotionale Intelligenz, Glaubwürdigkeitsanalysen und Gesichtsausdrücke und Autorin von «Manipulation», «Das Konzept der Lüge» oder «Täuschung erkennen».

Zeitpunkt: Warum beschäftigen Sie sich mit Lügen?

Saara Huntasaari: Von klein auf fiel mir auf, dass die Worte der Menschen nicht immer mit ihren Taten übereinstimmten. Ihre Blicke und Bewegungen zeigten aber die Wahrheit. Ich wollte das besser verstehen. Während meines Masterstudiums in Kriminalpsychologie inspirierte mich Professor Aldert Vrij, ein Experte im Erkennen von Lügen. 

Jeden Tag hören wir bis zu 200 Lügen! Die meisten Menschen lügen bewusst ein bis zwei Mal pro Woche, aber beim Kennenlernen einer neuen Person können es in nur 15 Minuten zehn bis zwölf Lügen sein. Frustrierend, oder? Deshalb habe ich die OAR-Methode (Observe, Analyze, React) entwickelt, um zu verstehen, was wirklich gesagt wird. Ich möchte die Leute vor toxischen Beziehungen schützen, indem ich sie auf grüne und rote Signale aufmerksam mache.

Wer braucht dieses Wissen?

Das Verstehen von Körpersprache hilft jedem – sowohl privat als auch im Verkauf und Personalwesen, in der Polizei, Bildung oder Medizin.


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Das Interview erschien im aktuellen Zeitpunkt-Magazin:

Zeit der Wahrheit 
Die Wahrheit bahnt sich ihren Weg in die Gesellschaft. Und sie wird grosse Veränderungen bewirken. Aber: welche Wahrheit? Und was ist Wahrheit überhaupt? Fragen, die wir beantworten müssen, wenn wir frei sein wollen.
Mehr Informationen und im Zeitpunkt blättern und bestellen: 

zeitpunkt.ch/zeit-der-wahrheit-zeitpunkt-181


Woran erkennen wir, dass jemand lügt? 

In Gesprächen achte ich auf plötzliche Veränderungen der Körpersprache, etwa von entspannt zu steif oder von gelassen zu verschlossen. So etwas kann reaktive Emotionen wie Angst, Stress oder Wut zeigen, aber auch ein proaktiver Versuch sein, Gefühle zu verbergen. Ich achte auf alles, was vom üblichen Verhalten einer Person oder von ihren einzigartigen Gewohnheiten abweicht – das sind Warnsignale. Ich beachte auch Beruhigungsgesten, wie das Berühren der Haare, das Streichen oder Zurechtrücken der Kleidung; damit lindern Menschen Stress oder Angst. 

Aber um es klar zu sagen: Es gibt kein Körpersprachsignal, das «Lügner» schreit. Täuschung oder andere emotionale Zustände zu erkennen, erfordert das Erkennen von Mustern, und selbst dann bleibt absolute Gewissheit unerreichbar. Ein falsch interpretiertes Signal kann uns in die Irre führen.

Wenn Menschen an Lügen denken, denken sie an bestimmte Gesten wie das Berühren der Nase. Doch die «Pinocchio-Nase» existiert nicht. Auch Stress kann winzige Blutgefässe erweitern, was einen Juckreiz auslöst, der diese Geste hervorruft. 

Auch mangelnder direkter Augenkontakt ist kein sicheres Anzeichen für eine Lüge. Personen, die sich ihrer Lügen sicher sind, halten oft besonders dominanten Augenkontakt. In Wahrheit gibt es viele Hinweise.

Aber Körpersprache allein reicht nicht aus. Lügner verraten sich oft durch Worte und Sprechmuster. Wahrheitsgetreue Menschen erzählen ihre Geschichte klar; Lügner hingegen neigen dazu, sie zu «verkaufen», indem sie vage oder ausweichende Antworten geben. 

Achten Sie auf Nicht-Antwort-Aussagen, sorgfältig formulierte Phrasen, die überzeugend klingen, aber die Frage komplett umgehen.

Achten Sie auf Anzeichen von Wohlbefinden oder Unbehagen – schnelles Blinzeln, flache Atmung, Schwitzen, Schluckbeschwerden oder geballte Fäuste. Analysieren Sie diese Signale im Kontext. Eine Geste, die in einer Situation verdächtig wirkt, könnte in einer anderen bedeutungslos sein. Körpersprache ist wie ein stilles Gespräch, reich an Bedeutung, aber leicht misszuverstehen.

Welche Leistung müssen unser Körper und Gehirn vollbringen, um zu lügen?

Lügen ist nicht einfach – es erfordert, eine Geschichte zu erfinden, sie überzeugend zu präsentieren und sie sowohl für sich selbst als auch für andere im Kopf zu behalten. Dieses mentale Jonglieren führt zu kognitiver Überlastung, die den flüssigen Kommunikationsfluss stört. Man bemerkt mehr Füllwörter, längere Pausen vor Antworten auf Fragen und ein angespanntes oder zappeliges Verhalten, das durch Stress, Angst oder Nervosität verursacht wird.

Wann ist es besonders schwierig, eine Lüge zu erkennen?

Wenn jemand seine eigenen Lügen glaubt. In solchen Fällen fehlen oft die üblichen verräterischen Anzeichen, da ihre Überzeugung jegliche Verhaltenshinweise überdeckt.

Wenn Sie ein Interview mit einem Politiker anschauen, woran erkennen Sie, wann er oder sie lügt oder die Wahrheit sagt?

Politiker, insbesondere bekannte, bieten reichlich Material für Analysen. Ihre häufigen öffentlichen Auftritte ermöglichen es uns, eine Baseline zu erstellen – ein Gefühl für ihre typischen Gesten, Sprechmuster und Verhaltensweisen, wenn sie sich wohlfühlen oder die Kontrolle haben. Diese Baseline ist entscheidend, da Abweichungen davon Momente von Stress, Unbehagen oder auch Ehrlichkeit signalisieren können. Beim Anschauen eines Interviews konzentriere ich mich nicht nur darauf, Lügen zu erkennen; stattdessen suche ich nach Indikatoren für Authentizität und nach plötzlichen Veränderungen, die ihren wahren emotionalen Zustand enthüllen könnten.

Welche Tricks benutzen Politiker oder andere Sprecher, um uns von der Wahrheit abzulenken?

Politiker beherrschen oft die Kunst, geschliffene Antworten zu geben, die überzeugend klingen, aber die eigentliche Frage umgehen. Sie greifen auf eingeübte Phrasen, Schlagwörter oder einen komplexen Jargon zurück, der Zuhörer überfordern oder ablenken kann. Statt direkter Antworten bieten sie vage Aussagen oder lenken auf Themen, die sie betonen möchten, und steuern das Gespräch auf ihr bevorzugtes Narrativ zu. Eine weitere gängige Taktik ist, das Thema komplett zu wechseln. Damit wollen sie das Gespräch kontrollieren und Verantwortung vermeiden.

Politiker werden ja geschult in Körpersprache und Rhetorik. Wie finden wir heraus, ob sie lügen?

Überrasche sie mit unerwarteten Fragen und bestehe auf klaren Antworten. Wenn du nach einer bohrenden Frage «rote Flaggen» bemerkst – wie Zögern oder nervöse Gesten –, bleibe bei diesem Thema. Anzeichen von Unbehagen, wie Zappeln oder ausweichende Antworten, deuten oft darauf hin, dass das Thema einen wunden Punkt trifft und möglicherweise tiefere Wahrheiten enthüllt.

Welche Rolle spielen die Mainstream-Medien, um uns Lügen glauben zu lassen?

Die Mainstream-Medien haben sich von der Bereitstellung objektiver Nachrichten abgewandt und verbreiten stattdessen Meinungen und wiederholen Narrative, die die öffentliche Wahrnehmung formen. Wie Papageien wiederholen viele Medienhäuser dieselben Geschichten und weisen das Publikum an, was es denken soll, anstatt Fakten zu präsentieren. In meinem Buch «Manipuloiva kieli» (Manipulative Sprache, nicht auf Deutsch erschienen) von 2017 habe ich diesen besorgniserregenden Trend in den Mainstream-Medien hervorgehoben, der sich seitdem noch verstärkt hat. Je öfter ein Narrativ wiederholt wird, desto mehr verankert es sich als Wahrheit im Bewusstsein der Menschen. Selbst wenn gegenteilige Informationen auftauchen, halten viele an den vertrauten Lügen fest, die sie aufgenommen haben. Dieses «abgeschottete institutionelle Narrativ» bleibt mächtig und macht es schwierig, mit der Wahrheit durchzudringen.

Wir leben in einer Welt, wo Lügen oft erfolgreicher sind als die Wahrheit. Was macht das mit uns und unserer psychischen und körperlichen Gesundheit? 

Viele Menschen behaupten, sie wollen die Wahrheit, aber so einfach ist das nicht. Sie bevorzugen oft Wahrheiten, die mit ihren Überzeugungen und Vorurteilen übereinstimmen. Lügen können beruhigend wirken und ein vertrautes Gefühl von Sicherheit vermitteln. Wenn eine Wahrheit ihre Weltsicht herausfordert, entsteht kognitive Dissonanz – ein innerer Konflikt, der sie dazu bringt, entweder die Wahrheit an ihre Überzeugungen anzupassen oder ihre Überzeugungen zu ändern, um die Wahrheit zu akzeptieren. Zuzugeben, dass sie getäuscht wurden, ist besonders schwer, da dies ihr Selbstbild und ihr Selbstvertrauen untergräbt. Dieser Widerstand macht es für viele zu einer grossen Herausforderung, schwierige Wahrheiten zu akzeptieren.

Mehr über die Arbeit von Saara Huhtasaari, ihre Bücher und ihre Workshops in der Schweiz: www.saarahuhtasaari.com
 

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Am 8. November findet ein Seminar über Körpersprache statt: 
In nur 4,5 Stunden kann man wertvolle Fähigkeiten erlernen, die im Alltag und im Berufsleben von grossem Nutzen sein werden.

Aus dem Inhalt:

   Lest die «grünen und roten Zeichen» der Menschen
   Erkennt, was andere wirklich denken – ohne zu raten
   Wählt echte Menschen in eurem Leben aus
   Wendet die O.A.R.-Methode in eurem täglichen Leben an

Ort: Lavent, Dankenbergstrasse 13, 5712 Beinwil am See

Anmeldung hier

Christa Dregger-Barthels

Christa Dregger-Barthels

Christa Dregger-Barthels (auch unter dem Namen Leila Dregger bekannt). Redaktionsmitglied des Zeitpunkt, Buchautorin, Journalistin und Aktivistin. Sie lebte fast 40 Jahren in Gemeinschaften, davon 18 Jahre in Tamera/Portugal - inzwischen wieder in Deutschland. Ihre Themengebiete sind Frieden, Gemeinschaft, Mann/Frau, Geist, Ökologie.

Weitere Projekte:

Terra Nova Plattform: www.terra-nova.earth

Terra Nova Begegnungsraum: www.terranova-begegnungsraum.de

Gerne empfehle ich Ihnen meine Podcast-Reihe TERRA NOVA:
terra-nova-podcast-1.podigee.io.  
Darin bin ich im Gespräch mit Denkern, Philosophinnen, kreativen Geistern, Kulturschaffenden. Meine wichtigsten Fragen sind: Sind Menschheit und Erde noch heilbar? Welche Gedanken und Erfahrungen helfen dabei? 

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