Muss ich mir Vorwürfe machen, wenn ich Hass verspüre? Wie soll ich reagieren, wenn ich im Alltag mit Hass konfrontiert bin? Eine konstruktive Reflexion über einen destruktiven Gemütszustand.

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Was nur in diesen Blogger gefahren sei, dass er eine solche Frage stelle, mögen sich manche denken. Kann man im Zusammenhang mit Hass von dürfen oder sollen sprechen? Gibt es gar eine «Ethik des Hasses»? Mein Ziel ist, dass bei Ihnen nach der Lektüre dieses Blogbeitrags gewisse Frage- einem Aha-Zeichen weichen. Aber nicht etwa, weil ich das Fragezeichen hassen würde, nein, ganz im Gegenteil, ich liebe dieses Zeichen, so wie ich überhaupt Fragen liebe. Und da wäre ich schon bei einer wichtigen, empirisch gestützten Feststellung: Es gibt Liebe.

Liebe ist gut und soll gefördert werden. Dies ist nun bereits keine faktische Feststellung mehr, sondern ein moralisches Urteil inklusive unumstrittener Handlungsanweisung: ‹Liebe› und ‹Güte› werden im Urteil verknüpft und in der Anweisung mit der Sphäre der Handlungen verbunden. Analog dazu stelle ich fest: Es gibt Hass. Und wiederum analog dazu formuliere ich eine moralische Beurteilung und eine sich darauf stützende Anweisung für unsere Handlungen und unser Verhalten: Hass ist schlecht und soll zurückgedrängt werden.

Eine «Ethik des Hasses» gibt Antworten auf Fragen wie: Inwiefern muss ich mir Vorwürfe machen, wenn ich Hass verspüre? Wie soll ich reagieren, wenn ich mit Hass konfrontiert bin? Bevor ich näher darauf eingehe, sollte noch kurz geklärt werden, was Hass eigentlich ist. Es gibt hierzu verschiedene Ansichten, meistens wird Hass aber als ein emotionaler Affekt verstanden, als etwas, das unser Gemüt affiziert (lat. afficere, was u. a. ‹ergreifen› bedeutet). Zuweilen wird Hass auch als Wille aufgefasst, also als etwas bewusst(er) Kontrolliertes.

Ich halte Hass für einen Affekt, der uns als eine Art Gefühlskrankheit anfällt. Hass ist mehr als ein kurzzeitiges Aufflackern wie Wut oder Ärger, es ist ein verfestigtes Gefühls- und Denkmuster, ja eine Fixierung auf ein Etwas, das derart stört oder belästigt, dass man es aus der Welt entfernt haben möchte. Vom ganz kleinen Hass auf die Stechmücke im Schlafzimmer bis zum immensen Hass auf ein ganzes Volk gibt es viele Abstufungen. Stets wird ein Sachverhalt oder ein Gegenstand dämonisiert und für bös gehalten, so dass man ihn mit «gutem Grund», also vermeintlich moralisch legitimiert, vernichten oder zumindest konvertieren darf.

Hier muss der ethische Zweifel einsetzen: Habe ich oder haben wir einen «guten» Grund für Hass und Feindschaft? Gibt es nicht viel eher gute Gründe, das andere (die andere, den anderen, die anderen) auf irgendeine Weise in unsere Welt und unser Denken zu integrieren? Es muss ja nicht gerade Liebe sein, die wir empfinden sollen. Aber könnte nicht wenigstens versucht werden, Hass nicht wachsen und im ärgsten Fall unkontrollierbar zu Verleumdung, Rache, Gewalt, ja systematischer Vernichtung wuchern zu lassen? Sollte dem Hass im Grossen wie im Kleinen nicht mit mässigender, beschwichtigender, dialogsuchender Zurückdrängung begegnet werden? Ich meine: Ja, dies alles ist geboten.

Dieses Gebot macht die Essenz einer «liberalen Ethik des Hasses» aus: Wir sollten auf vernichtende, intolerante Urteile über andere und anderes verzichten. Denn warum sollte es uns gestattet sein, über das in der Welt Zulässige zu urteilen? Toleranz ist diejenige Tugend, kraft welcher unangenehme Meinungen und Lebenskonzepte nicht vorschnell zum Nichtseindürfen verurteilt werden. Auch im Umgang mit echten und vermeintlichen Hassobjekten ist es geboten, diese Tugend zu üben.

Ein berechtigter Einwand lautet, ob es denn gar nichts gibt, das man hassen dürfe. Ich würde sagen: Doch, es ist geboten, Böses zu hassen, und davon abgeleitet ist es auch zulässig, die Intoleranz zu hassen, denn sie ist eine bestimmte Ausprägung des Bösen.

Wenn wir destruktive Gemütszustände durch tolerante Gelassenheit ersetzen können, wenn wir auf Ärgernisse nicht mehr nach einfachem Ursache-Wirkungs-Schema re-agieren, dann öffnen sich Wege, wie wir im «im guten Leben» agieren können. Hass schränkt ein. Unser Leben sollte aber nicht einengen, sondern Entfaltungsmöglichkeiten bieten.

Denn in uns Menschen ist das Leben gefahren, so wie in mich zuweilen abwegig scheinende Fragen fahren – ist nun auch ein Aha-Erlebnis in Sie gefahren?

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Philippe Schultheiss (*1984 in Basel), Schulen im Kanton Schaffhausen, Studien der Philosophie sowie Betriebs- und Volkswirtschaft, Spezialgebiet Wirtschaftsethik. Die Abschlussarbeiten schrieb er zum gerechten Umgang mit Geld bei Thomas von Aquin, zur Philosophie des Geldes bei Georg Simmel sowie zu den Auswirkungen der Bankenregulierung «Basel II» auf die Unternehmensfinanzierung.
Im Herbst 2019 Gründung der Firma «Philippe Schultheiss Philosophical Solutions», seither Tätigkeit als selbständiger Journalist, Berater und Coach. www.https://www.philophil.ch/about

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