Ist Sorglosigkeit ein besonderes Gut der Kindheit?

Wieso Kinder unbedingt wenig bis kaum Stress und Angst erfahren sollten, um das Leben entdecken zu können.

Manche Menschen haben das Glück, auf eine liebevolle Kindheit zurückblicken zu können, als eine Zeit im Leben ohne viel Stress und Angst. Dabei erinnern sie sich vielleicht an lange Stunden, in denen sie sorglos im Hinterhof spielten oder ohne Besorgnis und Angst Projekte und Beziehungen verfolgten. Solche sanfte Erinnerungen stehen oft im krassen Gegensatz zum Leben, das viele als Erwachsene führen – wo Stress und Angst zu dominieren scheinen.

Die Tatsache, dass sich viele im Erwachsenenalter darum ringen, sorglos zu sein, wirft eine Reihe interessanter Fragen über die Beziehung zwischen Sorglosigkeit und dem guten Leben auf. Ist Sorglosigkeit ein besonderes Gut der Kindheit? Ein Gut, das dem Leben eines Kindes Sinn verleiht, aber nicht dem eines Erwachsenen? Oder müssen Erwachsene sorgloser sein und sich mehr wie Kinder verhalten, damit ihr Leben gut verläuft? Vor allem aber: Wenn Unbekümmertheit tatsächlich eine notwendige Voraussetzung für ein gutes Leben ist, wieso ist das so?

Als Mutter von zwei kleinen Kindern und als jemand, der sich mit Familienphilosophie beschäftigt, fiel mein Augenmerk auf folgende Frage: Was bedeutet es, wenn eine Kindheit gut verläuft? Als ich über elterliche Liebe und Erziehung nachdachte, wurde mir klar, dass Sorglosigkeit tatsächlich ein notwendiger Bestandteil für eine gut gelebte Kindheit ist. Doch wenn es um erwachsene Menschen geht, stellte ich fest, dass manche von ihnen ein wunderbares, bedeutungsvolles Leben führen, ohne dabei sorglos zu sein.

Eine solche Asymmetrie zwischen Kindheit und Erwachsenenalter ist eine Folge davon, dass Kinder und Erwachsene verschiedene Arten von Lebewesen sind. Wenn ein Kind Stress und Angst erlebt, fehlt ihm der geistige Raum, den es braucht, um positive Gefühle für wertvolle Projekte und Beziehungen zu entwickeln. Dem Erwachsenen dagegen nicht. Das Kind sieht Stress und Angst nicht als wichtigen Bestandteil, um ein Projekt oder eine Beziehung zu erlangen und erleben.

Ein Kind ist ein Geschöpf, das bereits begonnen hat, praktische Argumentationsfähigkeiten zu entwickeln. Es hat aber diese noch nicht so weit entwickelt, dass es einige der Rechte und Pflichten des Erwachsenenalters übernehmen kann. Die Kindheit ist also jener Lebensabschnitt, der auf das Kleinkindalter folgt und vor der Adoleszenz endet. Ich bezeichne Unbekümmertheit als eine Veranlagung, sich nicht gestresst und ängstlich zu fühlen, auch wenn es Momente im Leben eines Menschen geben wird, in denen solche negativen Emotionen teil sein werden. Ein sorgloser Mensch ist also jemand, der sowohl aufgrund seiner Psychologie als auch aufgrund seiner persönlichen Umstände nicht sehr oft unter Stress und Ängsten leidet.

Ein gutes Leben ist eines, in dem sich jemand mit wertvollen Projekten und Beziehungen beschäftigt, und sie attraktiv findet.

Zum Beispiel wird in meinem Leben die Philosophie dazu beitragen, dass ich ein gutes Leben führe. Wenn es wahr ist, dass Philosophie wertvoll ist, und wenn es wahr ist, dass ich Philosophie als Beruf befürworte. In einer Welt, in der die Philosophie angeblich ein zutiefst fehlgeleitetes Unterfangen ist.

Im Gegensatz zu Kindern wissen Erwachsene die wertvollen Projekte und Beziehungen in ihrem Leben zu schätzen, obwohl positive Emotionen fehlen. Das liegt daran, dass Erwachsene, sich die vielen verschiedenen Aspekte vorstellen können, die es braucht, um ein lohnendes Leben zu führen. Eine neurotische Autorin, die brillante Romane schreibt, obwohl sie den Prozess als schmerzhaft empfindet, kann unter Stress und Angst schreiben. Und dies befürworten. Weil sie weiß, dass diese negativen Emotionen das Werk tiefer machen, als es sonst wäre.

Eine Hirnchirurgin, die an den schlimmsten Krebsarten operiert, weiß, dass das Risiko in ihrem Beruf zu hoch ist, als dass sie das Leben unbeschwert angehen könnte. Sie ist jedoch bereit, diese Unbekümmertheit für ein erfolgreiches Leben in der Medizin einzutauschen.

Tatsächlich können wir das Leben von Erwachsenen, die nicht sorglos sind, gerade deshalb positiv bewerten, weil wir wissen, dass die komplexeren Bewertungsfähigkeiten eines Erwachsenen z.B. die Fähigkeit zur Selbstreflexion, zur Erkennung vorhersehbarer Kosten, Risiken und Chancen usw., es ihm erlauben, wertvolle Projekte und Beziehungen zu unterstützen, selbst wenn es ihm an positiven Emotionen fehlt.

Dasselbe gilt nicht für Kinder. Kindern fehlen schlicht und einfach die erforderlichen Bewertungskapazitäten, um wertvolle Projekte und Beziehungen allein aufgrund der Tatsache unterstützen zu können, wie gut sie in einen allgemeinen Lebensplan passen.

Ein Kind, das sich freiwillig meldet, um für ein paar Stunden am Tag einen Angehörigen mit Demenz zu betreuen, kann ein solches belastendes Projekt nicht völlig frei beurteilen und einschätzen. Im Gegensatz zur Schriftstellerin oder zum Arzt, die einen Schritt zurück machen können, um zu beurteilen, wie belastende Projekte in ihre Gesamtvorstellung von einem guten Leben passen. Die Beurteilungskapazitäten eines Kindes sind aber nicht reif und entwickelt genug, um dasselbe zu tun.

Deshalb könnte es passieren, dass das Kind, um ihrer Familie zu gefallen, ein unangemessenes Gewicht auf sich nimmt oder einen Fehler bei den moralischen Anforderungen macht. Es könnte auch kein Gespür dafür haben, dass die Zeit, die die Pflege dieses Angehörigen in Anspruch nimmt, ihr wertvolle Zeit raubt, um etwas anderes zu tun, das sowohl wertvoll als auch angenehm ist. Einem Kind fehlt also der geistige Raum, der für die Freude in seinem Leben erforderlich ist.

Wir wollen, dass Kinder Spielzeit, Bildung, Freundschaften und familiäre Beziehungen leben können, indem sie Freude, Vergnügen, Belustigung und Entzückung empfinden – und so ein gutes Leben als Kinder führen. Also sollten wir die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Kinder nicht nur Zugang zu diesen Gütern haben, sondern auch sorglos sein können. Dies erfordert Regierungen, die bereit sind, die psychische Gesundheit von Klein auf ernst zu nehmen. Regierungen, die eine Politik zu schaffen, um Sorglosigkeit in der Kindheit in den Mittelpunkt zu stellen.

Luara Ferracioli ist Dozentin für politische Philosophie an der Universität von Sydney.