Bedrohung der Artenvielfalt, Umweltrisiken in Ökosystemen und Schutzgebieten: Unter anderem damit beschäftigt sich der 42-jährige Biologe, der für das Observatorium des Chiquitano-Trockenwaldes im bolivianischen Santa Cruz verwantwortlich ist. In seiner Arbeit setzt sich Oswaldo Maillard für eine harmonische Koexistenz zwischen Gesellschaft und Natur ein. Der Bolivianer ist besorgt über die weltweit voranschreitende Abholzung der Wälder, es sei höchste Zeit zu handeln.

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Zeitpunkt: Die Tropenwälder sind die sogenannte Lunge der Erde. Wie steht es um unsere Lunge weltweit?

Oswaldo Maillard: Die Tropenwälder sind zwar von grundlegender Bedeutung für die Versorgung unseres Planeten mit sauberer Luft. Aber ihre Rolle – wie die aller Wälder auf unserem Planeten – geht weit darüber hinaus, wenn wir davon reden, was sie an Lebensnotwendigem für die gesamte Menschheit liefern und produzieren. Damit will ich sagen: Die Wälder tragen ebenso unter anderem zur Ernährungssicherheit, zur Bereitstellung von Arzneimitteln, zur Versorgung mit sauberem Wasser, zum Schutz der Böden, zur Erhaltung der gesamten biologischen Vielfalt und zur Bewältigung des Klimawandels bei. Die Abholzung nimmt weltweit in alarmierendem Masse zu, ohne dass man sich bewusst ist, was mit jedem Hektar Wald, der verschwindet, tatsächlich verloren geht.

Wie ist die Lage in Bolivien? Vor rund zwei Jahren gab es auch einen grossen Brand im Osten und Süden des Landes.

In Bolivien nehmen die Wälder die Hälfte der Landesfläche ein. Das südamerikanische Land gehört weltweit zu den Ländern, die auf ihrem Territorium intakte Waldlandschaften haben. Das bedeutet: In Bolivien gibt es Flächen mit natürlichem Wald – ohne jegliche menschliche Eingriffe. In den letzten zwei Jahrzehnten nahm die Bedrohung für viele dieser Wälder zu, wegen der Interessen der Agrar- und Wirtschaftspolitik, die die Wälder roden. Nebst der Entwaldungen kommen nun auch vermehrt Waldbrände hinzu. Feuer ist in Bolivien zu einem Naturschutzproblem geworden. Es führt zur Zerstörung oder zum Verlust von Arten und ursprünglichen Lebensräumen. Bolivien zählt zu den Ländern, in denen in den letzten Jahren am meisten Waldbrände in Südamerika verzeichnet wurde. Im Jahr 2019 kämpften wir gegen eine Reihe von Bränden, von denen die meisten durch menschliche Aktivitäten verursacht worden waren. Und im Jahr 2020 brannten in der Provinz Santa Cruz erneut mehr als zwei Millionen Hektar nieder, von denen 58 Prozent Wald waren. Kürzlich kam es zu einem neuen Feuer, mehr als 1 Million Hektar Vegetation brannte nieder – und während ich Ihre Fragen beantworte, sind einige dieser Brände immer noch aktiv.

Wie in vielen lateinamerikanischen Ländern sind in Bolivien die wichtigsten Ursachen für die Entwaldung: die modernisierte sowie die kleinbäuerliche Landwirtschaft und die Viehzucht. Ein Stück Land mit Wald hat einen geringeren Marktwert als ein Stück Land, das etwa für den Anbau von Sojabohnen – ein Exportprodukt – gerodet wurde.

Heute ist der Internationale Tag der Tropenwälder: Was tun Sie als Organisation für den Erhalt der Wälder und was kann die Gesellschaft dazu beitragen?

Die Stiftung für die Erhaltung des Chiquitano-Waldes feiert in diesen Tagen 22 Jahre harte Arbeit. Wir werden eine Reihe von Massnahmen zur Erhaltung der Ökoregion des Chiquitano-Waldes durchführen, einem der am besten erhaltenen und am meisten bedrohten Trockenwälder auf unserem Kontinent. Eine dieser Aktionen ist das ECCOS-Projekt, das von einem interinstitutionellen und internationalen Konsortium mit finanzieller Unterstützung durch die Europäische Union umgesetzt wird. Das ECCOS-Projekt zielt darauf ab, eine partizipative, integrative und wirksame Umwelt- und Territorialverwaltung aufzubauen, für den Chiquitano-Trockenwald, die Cerrado-Savanne und das Feuchtgebiet Pantanal, das sich bis Brasilien erstreckt.

Eine der wichtigsten Lösungen, um die Abholzung einzudämmen, ist: Die Bevölkerung aufzuklären, wie es um die Wälder steht, und Landwirten, die roden, Alternativen anzubieten, um ihre wirtschaftlichen Lebensbedingungen zu verbessern. Menschen, die die Bedeutung der Wälder verstehen, werden sie schützen. Wir mussten auf eine Brandkatastrophe wie die im Jahr 2019 warten, um dann darüber nachzudenken, was wir an Lebensnotwendigem verlieren. Einige Bolivianer erfuhren erst in diesem Moment, dass es überhaupt einen Chiquitano-Wald gibt, den man schützen muss. Und klar, wenn sie bis dahin nichts über diesen Wald wussten, dann noch weniger über die Bedrohungen, denen er ausgesetzt ist.

Regierungen, Unternehmer, Stadtbewohner und vor allem diejenige, die in den ländlichen Gebieten seit jeher von den Böden und natürlichen Ressourcen leben, müssen zusammenarbeiten, damit verantwortungsvolle Entscheidungen zur Erhaltung der Wälder getroffen werden. Die Lage der Tropenwälder ist sehr ernst, aber noch ist Zeit, um zu verhindern, dass Millionen von Hektaren Wald unnötig verloren gehen.

 

Gerodete Fläche: ein aktuelles Luftbild des Chiquitano-Trockenwaldes.