Anni Lanz setzt sich seit über 40 Jahren für die Rechte von Geflüchteten und Sans-Papiers ein. Ihr Engagement besteht nicht nur aus schönen Floskeln und gut gemeinten Worten, sondern aus handfesten Taten. Die sie auch schon dazu gebracht haben, das Gesetz zu brechen, weil es den Schutz der Menschenrechte nicht garantiert hat. Die Baslerin war nicht nur für diverse Organisationen wie «Solidarité sans frontières» oder die Basler Anlaufstelle für Sans-Papiers tätig, sondern hat im Laufe der Jahrzehnte auch mehr als 100 Geflüchtete bei sich zu Hause aufgenommen. 2004 wurde ihr von der Universität Basel die Ehrendoktorwürde verliehen, 2005 war sie für den Friedensnobelpreis nominiert. Nun wurde die 76-Jährige mit dem Prix Courage Lifetime Award des «Beobachters» ausgezeichnet.

© Christian Schnur / Beobachter

Dass ich Anni Lanz 2014 kennenlernen durfte, verdankte ich meiner Hartnäckigkeit. Eigentlich wollte sie keine Interviews mehr geben, weil schon alles gesagt sei. Doch schliesslich liess sie sich erweichen und ich durfte – damals fürs «Strassenmagazin Surprise» – ein Porträt über sie schreiben. Wofür ich bis heute dankbar bin, war sie doch immer ein grosses Vorbild für mich gewesen. Ihr Engagement für geflüchtete Menschen ist vielleicht einzigartig. Denn es ist radikal und sehr persönlich – und das schon seit mehr als 40 Jahren.

Seit mehreren Jahrzehnten bringt Anni Lanz Geflüchtete und Sans-Papiers in ihrer Dreizimmerwohnung in Kleinbasel unter – insgesamt mehr als 100, und zeitweise sechs gleichzeitig. Auf Grund ihres Engagements ist sie im Lauf der Jahre auch immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt geraten und wurde mehrfach verurteilt. Und würde ohne Zögern wieder gleich handeln: «Es ist mir wichtiger, das Leben eines Menschen zu schützen, als ein Gesetz buchstabengetreu einzuhalten», sagt sie. Denn: Recht widerspiegelt nicht unbedingt Gerechtigkeit. «Ich war oft als Lobbyistin im Bundeshaus und hatte auch die Gelegenheit zu beobachten, wie Gesetze verabschiedet wurden. Ich kann Ihnen sagen, dabei geht es nicht immer professionell zu.» Gesetze, sagt Lanz, können unschlüssig sein oder Lücken aufweisen. Einmal in Kraft getreten, gelten sich aber – auch wenn sie im Widerspruch zu den Menschenrechten stehen.

Deshalb nimmt Lanz die Sache lieber selbst in die Hand. Sie hat sich die juristischen Grundlagen selbst erarbeitet und leistet Hilfe, wo der Staat keine Unterstützung bieten kann oder will. Sie hilft Anträge und Beschwerden zu schreiben, stellt Härtefallgesuche, begleitet bei Behördengängen, macht Besuche im Ausschaffungsgefängnis. Hunderte von Rekursen hat sie geschrieben und Dutzende von politischen Kämpfen ausgefochten. 14 Abstimmungen und unzählige Asylverfahren hat sie verloren, doch sie hat nie aufgegeben. «Wenn ich etwas nicht richtig finde, bin ich stur», sagt sie.

Das Bundesgericht warf ihr dagegen vor, unbekümmert Gesetze zu übertreten. «Das finde ich frech», sagt Lanz, «und es stimmt nicht. Natürlich nehme ich die Gesetze ernst. Und natürlich bemühe ich mich, sie einzuhalten, obwohl ich gewisse Bestimmungen mühsam finde.»

Anni Lanz hat einen Lebenssinn darin gefunden, sich für andere einzusetzen. Doch dies hat seinen Preis: Im Juni 2022 wurde sie mit Atembeschwerden ins Spital eingeliefert. Diagnose: Takotsubo, das Syndrom des gebrochenen Herzens. Eine Erkrankung, die durch emotionalen oder physischen Stress ausgelöst wird. Sie muss für den Rest ihres Lebens Medikamente nehmen, doch ihre Energie ist ungebrochen.

Wir ziehen den Hut vor Anni Lanz, die die Schweiz zu einem besseren Ort macht und uns daran erinnert, dass es sich trotz allem lohnt, gegen Windmühlen zu kämpfen. Dass jedes Mal, wenn wir uns solidarisch zeigen und Worten Taten folgen lassen, für einen Menschen ein Licht aufgeht. Und dass es dies Wert ist. Jedes Mal.