Mit Spraydose, Nagellackentferner und Spachtel unterwegs, um Nazi-Symbole und rechte Graffitis zu entfernen: Irmela Mensah-Schramm lässt sich von nichts einschüchtern. Weder von Anzeigen wegen Sachbeschädigung noch wegen Morddrohungen. Hut ab!

CC BY-SA 3.0

Mitte der 80er Jahre zückte sie zum ersten Mal den Spachtel, anfangs noch in Form ihres Hausschlüssels: Damit kratzte Irmela Mensah-Schramm einen Aufkleber an einer Bushaltestelle ab, der Freiheit für den NSDAP-Politiker Rudolf Heß forderte.

«Dieser Dreck ist weg», sagte sie sich, und machte es sich in der Folge zur Aufgabe, nationalsozialistische Graffitis, Kleber und Parolen in den Strassen von Berlin und ganz Deutschland zu eliminieren. Mit Farbe, Spray, Nagellackentferner, Schabern, Pinseln und Lösungsmittel. Vor den Entfernungs-Aktionen fotografiert sie die anstössigen «Posts» und dokumentiert so das Ausmass der rechten Hetze. Mehr als 90'000 solche hat sie in den letzten 30 Jahren zunichte gemacht.

So ist die heute 77-Jährige als «Sprayer-Oma» bekannt geworden, die nicht nur Humor beweist, sondern auch Furchtlosigkeit: Obwohl sie vermehrt Morddrohungen erhielt, wegen Sachbeschädigung angezeigt und einmal sogar angefahren wurde, macht sie weiter. In der Zeit nach dem Angriff sogar mit Gips. «Ich höre auf, wenn ich fertig bin», sagt sie – und lacht, wenn sie wieder irgendwo ein Hakenkreuz sieht. Warum? «Weil ich weiss, dass es gleich weg sein wird.»

Doch Irmela Mensah-Schramm richtet ihr Augenmerk nicht nur auf Nazi-Symbole, sondern auf Hassbotschaften im Allgemeinen. Im Mai 2016 änderte sie den Schriftzug «Merkel muss weg» in einem Fussgängertunnel in «Merke! Hass weg», da sie vermutete, dass das Geschmiere von der Pediga kam. In Folge dieser Aktion wurde sie zu 1800 Euro Geldstrafe und einem Jahr auf Bewährung verurteilt, da sie den Schriftzug vergrößert und die Farbe Pink verwendet habe. Später wurde das Verfahren eingestellt. Eineinhalb Jahre später wurde sie erneut verurteilt – und später wieder freigesprochen –, weil sie in einem Schriftzug «NS–Zone» das «NS» mit einem Herz übermalte.

Auch heute noch ist die Rentnerin an vier Tagen pro Woche unterwegs, um neue Sticker oder Graffitis aufzuspüren. Und wird dabei immer wieder bedroht – während die Behörden nicht nur die rechten Schmierereien, sondern auch die Angriffe auf Mensah-Schramm nicht ernst nehmen wollen. Obwohl sich diese nicht nur auf verbale Äusserungen beschränken, sondern auch in der Form von Gegen-Graffitis geäussert werden, etwa «Schramm wir kriegen dich» oder «Zeckenoma wir kriegen dich».

Auf der anderen Seite wurde sie schon mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Göttinger Friedenspreis und der Bundesverdienstmedaille – die sie jedoch zurückgab, als im Jahr 2000 ein ehemaliger SS-Veteran mit einem Bundesverdienstkreuz geehrt wurde.

Um die Jugend auf das Thema zu sensibilisieren, gibt Mensah-Schramm auch regelmässig Workshops in Schulen – und zeigte «ihre» Stickersammlung im Rahmen der Ausstellung «Hass vernichtet» schon mehr als 500 Mal.

Wir ziehen den Hut vor Irmela, die seit zig Jahren Durchhaltevermögen und Mut beweist, um ein drastisches Thema anzugehen, dass leider nie an Aktualität verloren hat. 

 

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Nicole Maron

Submitted by christoph on Mo, 04/19/2021 - 17:25

Nicole Maron (*1980) aus Zürich ist Journalistin und Buchautorin. Seit 2017 lebt und arbeitet sie in Bolivien und Peru. Ihre Schwerpunkte sind umwelt- und sozialpolitische Themen wie Flucht und Migration, globale Gerechtigkeit, Konzernverantwortung und Menschenrechte. 

Von Nicole Maron ist zuletzt erschienen: «Das Blut des Flusses» – Der in Espinar/Südperu gedrehte Dokumentarfilm zeigt auf, welche gravierenden Schäden das Schweizer Bergbauunternehmen Glencore vor Ort anrichtet.
https://www.youtube.com/watch?v=9Rj7lJc1GWY