Wir wollen mehr wissen: Im zweiten Teil des Interviews mit dem Globalisierungsphilosophen, Digital-Aktivisten, Netzwerker und Zukunftsforscher erfahren wir, wie die Welt aussehen könnte, wenn sich die «Globalen Dörfer» weiter weltweit vernetzen. Diese Bewegung der lokalen Gemeinschaften, die neue Technologien und lokale Ressourcen nutzt, will im Kleinen statt im Grossen wirtschaften und leben. Franz Nahrada hat Hoffnung, dass dadurch Schäden, die die Kapitalwirtschaft angerichtet hat, repariert werden und künftig der Planet ein grosser Garten mit Tausenden kleinen Kulturregionen ist.

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Zeitpunkt: Angenommen die Bewegung der lokalen Gemeinschaften setzt sich durch. Wie sieht unsere Welt in zwanzig Jahren aus?

Franz Nahrada: Das ist eine Frage, die ich mir fast jeden Tag stelle. Es kommen ja immer neue Technologien auf uns zu, die uns entweder noch mehr in Abhängigkeiten treiben oder uns vielleicht wirklich befreien könnten. Die Schlüsselfrage ist zusehends die des geistigen Eigentums. Früher hatte ich oft die Hoffnung, dass entscheidende Technologien vergesellschaftet werden und dass Wissen frei ist und an jedem Ort der Welt angewendet werden kann. Heute ist geistiges Eigentum jedoch eine derartige Selbstverständlichkeit geworden, dass zurzeit niemand ernsthaft an seine Abschaffung denkt. Gerade am Beispiel der Impfpatente sehen wir, dass sich grosse Konzerne einerseits an staatlicher Grundlagenforschung bereichern, andererseits das Wissen zur Produktion den Ländern der Dritten Welt vorenthalten, weil diese nicht zahlungsfähig genug sind. Also, wir haben eine quasifeudale Welt, in der das relevante Wissen aufgeteilt ist unter Bewirtschaftern, die aus der Lizensierung enorme Gewinne ziehen.

Jetzt kommt das Positive: Mit dem Fortschritt der Technologie steigen gleichzeitig die Handlungsmöglichkeiten im Kleinen. Wir haben heute schon ganze Bier-Brauereien in Containern, die können enorm effizient Wasser filtern oder auch alkoholfreie Getränke von Limonade bis Kombucha herstellen. Das schwedische Unternehmen Wayout beispielsweise stellt solche Container, die vollkommen autark, solargetrieben und ferngesteuert sind, in Afrika auf.

Solche Projekte klingen vielversprechend, und nachhaltig. Was braucht es, damit es künftig noch mehr solche Projekte geben wird, die auch global einen Sinn machen?

Die Schlüsselaufgabe der Zukunft wird sein, den Wildwuchs der Industrien zu beenden und stattdessen vor Ort einen geschlossenen Stoffkreislauf zu erzeugen, wo ein Element ins andere spielt. Es wird immer weniger Sinn machen, gewaltige gesellschaftliche Energien in Export und Vermarktung zu investieren. Vielmehr sollte sich ein System globaler Wissens-Zusammenarbeit bilden, die Technologien für alle entwickelt. Wenn wir auf diese Weise überall den geschlossenen Stoffkreislauf zur Grundlage des Wohlstandes machen, entfallen auch fast alle Gründe für Militär und Krieg sowie für riesige Gewaltapparate, die lediglich dazu da sind, den weltweiten Geschäftsgang abzusichern.

Der globale Wettbewerb hat dazu geführt, dass jeder Zuwachs an Reichtum auf der einen Seite den Niedergang auf der anderen Seite bewirkt. Heute stehen wir näher am Abgrund von gewaltigen kriegerischen Katastrophen als je zuvor in der Geschichte. Hier kann nur eine Bewusstseinsrevolution helfen. Und die funktioniert nur, wenn wir die Zukunft an einigen wenigen Orten schon sinnlich erfahrbar und praktisch durchführbar zusammenbauen können. Bewusstsein ist zusammengesetzt aus «bewusst» und «sein». Ich kann nur sagen: Auch wenn es mit der Vernetzung noch sehr hapert, die einzelnen «Zellen» bilden sich in rasanter Geschwindigkeit. Gerade nahm ich an eine Online-Konferenz für regenerative Dörfer mit 500 Teilnehmenden aus fünf Kontinenten teil.

Genau, zurück zur Bewegung der lokalen Gemeinschaften: Was genau kann sie bewegen?

Also, wenn es in den nächsten Jahren tatsächlich gelingen sollte, eine «Allianz der Globalen Dörfer» zu schmieden, und wenn sich diese Bewegung wirklich durchsetzt, dann würde es statt einer Welt des Wettbewerbes eine kooperative Welt geben. Eine Welt, die an der Entwicklung von allen interessiert ist und in der das globale Gehirn leistungsfähiger werden würde. Es gäbe eine gewaltige Bewegung, die die Schäden reparierte, die das Kapitalozän – das Erdzeitalter des Geldes – angerichtet hat. Wir haben ja weite Ländereien und Meere als Müllhalden missbraucht. Ob Humusaufbau oder Wiederbegrünung der Wüsten: Wenn wir wollen, dass die Natur gedeiht, müssen wir mit all unserer Technologie das giftige Erbe sanieren und gleichzeitig den Planeten in einen grossen Garten mit tausenden kleiner Kulturregionen verwandeln.

In China hat man schon wesentliche Teile vom Lössplateau saniert. So wurde aus dieser seit Jahrtausenden degradierten Hochebene, von der Grösse Frankreichs, Lebensgrundlagen für Millionen von Menschen neu geschaffen. Es ist ganz wichtig, dass wir diese positiven Fortschritte auch wahrnehmen. Wir lernen immer mehr darüber, wie wir mit der Gegenwart der Natur, ihren Anblicken, Geräuschen und Düften in Resonanz leben können und durch sie gesunden – etwas, das nicht künstlich reproduziert werden kann. Die Welt in zwanzig Jahren könnte uns also dadurch überraschen, dass wir Natur in unseren Städten haben. Und dass sich auch auf den restlichen 98 Prozent der planetaren Fläche ein neues Filament von menschlichen Lebensräumen entfaltet, die mit den umliegenden Naturräumen Synthesen eingehen, Kulturlandschaften eben.
 

Zum Nachlesen: Erster Teil des Interviews mit Franz Nahrada