Kinder spielen mit leeren Giftkanistern

Der Schweizer Konzern Syngenta garantiert nicht, dass Menschen vor den hochgiftigen Pestiziden geschützt werden, mit denen er jährlich Milliarden verdient – weder in der Schweiz noch im Ausland. Im fünften Teil unserer Pestizid-Serie blicken wir auf die Situation in Bolivien.

Viele Menschen schützen sich bei der Anwendung von Pestiziden zu wenig. / © Pixabay

Die Vergiftung von Mensch und Umwelt durch Pestizide ist ein weltweites Problem. In der Schweiz macht zurzeit das Bundesgerichtsurteil über das Fungizid Chlorothalonil zu reden. Auf Grund einer Einsprache des Schweizer Agro-Multis Syngenta, der dadurch Gewinneinbussen befürchtete, darf dieses nicht mehr als «wahrscheinlich krebserregend» eingestuft werden – und dies, nachdem es auf Grund seiner Toxizität erst wenige Monate zuvor verboten worden war. Jetzt müssen Trinkwasserversorger ihr Wasser nicht einmal mehr auf die Substanz testen, und der Grenzwert für Chlorothalonil wurde aufgehoben.

Laut Bund sind über 50 Gemeinden im Kanton Bern an Wasserfassungen angeschlossen, die den bis vor kurzem gültigen Grenzwert zum Teil deutlich überschreiten. Zahlreiche Wasserversorger hätten daraufhin Wasserfassungen ausser Betrieb nehmen, Wasser mischen oder Filteranlagen kaufen müssen. Roman Wiget, Geschäftsführer der Seeländischen Wasserversorgung, bezeichnete den Bundesgerichtentscheid dem Bund gegenüber als skandalös: «Die Wirtschaftsinteressen von Syngenta werden deutlich höher gewichtet als der Schutz und die Information der Trinkwasserkonsumentinnen.»

In der Schweiz sind Konsumentinnen und Konsumenten dennoch viel besser geschützt als in anderen Ländern. In Bolivien zum Beispiel, wo Syngenta einen grossen Absatzmarkt hat, werden Agrarchemikalien verwendet, die in vielen Ländern seit Jahrzehnten verboten sind. Dies bestätigt eine Studie der bolivianischen «Arbeitsgruppe Klimawandel und Gerechtigkeit» (GTCCJ), die Daten darüber gesammelt hat, welche Pestizide in der Region Santa Cruz eingesetzt werden und unter welchen Bedingungen.

«In den vier untersuchten ländlichen Gemeinden kommen mehr als 200 verschiedene Agrarchemikalien zum Einsatz», sagt Adriana Montero, die nationale Koordinatorin der GTCCJ. «Darunter auch DDT und Paraquat, welche selbst in Bolivien längst verboten sind.» Paraquat wurde vor mehr als 60 Jahren vom Konzern Imperial Chemical Industries entwickelt, welcher heute Teil von Syngenta ist. In der Schweiz wurde es bereits 1989 verboten, genauso wie in inzwischen fast 50 weiteren Ländern. Menschen, die in der Landwirtschaft mit der Chemikalie arbeiten, weisen teilweise schwere Schädigungen von Lungen, Nervensystem und Gehirn auf.

Syngenta deklariert auf seiner Website, dass die Sicherheit der Menschen, die Paraquat benutzen, ernst genommen würde. Der Konzern habe seit 2014 weltweit 42 Millionen Bäuerinnen und Bauern im sicheren Gebrauch ausgebildet. Im Fall von Bolivien kam die GTTCJ laut Adriana Montero jedoch zu einem ganz anderen Schluss: «Die Resultate unserer Studie zeigen, dass nur vier Prozent der Landwirte sich wirklich adäquat schützen. Vielen benutzen zwar Stiefel, Handschuhe oder Masken, doch bei einer Hitze von 40 Grad oder mehr trägt praktisch niemand den Ganzkörperanzug, der nötig wäre.» Mehr als ein Drittel der Kleinbäuerinnen und -bauern tragen überhaupt keine Schutzkleidung und imprägnieren sich beim Spritzen sozusagen selbst mit, denn die meisten tun dies nicht mit einem Traktor, sondern von Hand.  

Die leeren Kanister werden teilweise in den Flüssen ausgewaschen, wodurch die Substanz auch ins Trinkwasser gelangt. «Eine Erhebung zeigt, dass im Departament Santa Cruz 73 Prozent des Grundwassers mit Pestiziden verseucht ist», so Montero. «Und es kommt noch schlimmer: Ich habe mit eigenen Augen gesehen, dass die Innenhöfe der Häuser voll mit leeren Kanistern sind und als Spielzeug für die Kinder dienen», erzählt Montero. Bevor sie zum Einsatz kommen, werden die Chemikalien meist im Haus selbst aufbewahrt, in der Küche oder im Schlafzimmer – die Bauernfamilien sind dem Gift also ständig ausgesetzt. «Meiner Meinung nach müssten die Konzerne dafür Verantwortung übernehmen, zum Beispiel indem sie die Kanister abholen und fachgerecht entsorgen oder recyclen.»

Die Studie der GTCCJ lieferte Hinweise auf leichtere und schwerere Vergiftungserscheinungen. So berichtete ein hoher Prozentsatz der Befragten von Kopfschmerzen, Schwindel und Irritationen der Augen, des Halses und der Haut beim und nach dem Spritzen. «Aus diesem Grund untersuchen wir im zweiten Teil der Studie, die zurzeit läuft, Blut- und Urinproben, um die Rückstände von Pestziden in den Körpern der Menschen ein für alle Mal nachzuweisen», sagt Montero. Die Proben werden zurzeit in einem Labor in Schweden untersucht, und erste vorläufige Ergebnisse zeigen genotoxische Befunde bei Kindern – das bedeutet, das Pestizide auch das genetische Material verändern.

 

In dieser Serie bereits erschienen:

Wir wissen nicht, was wir essen
Der Einsatz von giftigen Substanzen geht mir emotional gegen den Strich
In Zukunft wird man kopfschüttelnd zurückblicken
Der Mensch als Pestizid-Endlager