Ein soeben von der NGO Oxfam veröffentlichter Bericht zeigt die globale Dramatik der wirtschaftlichen und sozialen Tragweite der Coronakrise. Erstmals droht die Ungleichheit in nahezu allen Ländern der Welt gleichzeitig anzusteigen.

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Die Diagnosen von Organisationen wie dem internationalen Währungsfond IWF, der Weltbank und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD seien eindeutig und beklemmend, schreibt die Nichtregierungsorganisation Oxfam, eine der weltweit grössten Nothilfe- und Entwicklungsorganisationen. Die Corona-Pandemie stelle eine Zäsur in der Geschichte der Menschheit dar: «Erstmals seitdem Ungleichheit statistisch erfasst wird, droht sie in praktisch allen Ländern zur gleichen Zeit anzusteigen», schreibt Oxfam, die eine Umfrage unter 295 Wirtschaftswissenschaftlern aus 79 Ländern durchgeführt hat. 87 Prozent der Befragten erwarten, dass die Einkommensungleichheit in ihrem Land als Folge der Pandemie zunehmen oder stark zunehmen wird.

Die Pandemie und ihre wirtschaftlichen Schäden haben dazu geführt, dass Hunderte von Millionen Menschen ihre Arbeit verloren haben und von Not und Hunger betroffen sind. In fast allen Ländern haben die finanziell am schlechtesten gestellten Menschen aufgrund der Pandemie noch weniger Einkünfte als vorher. In Deutschland beispielsweise haben 40 Prozent der Erwerbspersonen durch die Pandemie ein Teil ihres Einkommens verloren. Menschen, die schon vorher ein niedrigeres Einkommen und eine weniger sichere Position auf dem Arbeitsmarkt hatten, sind von den Einbussen besonders betroffen.

Im globalen Süden habe die Krise zu einem extremen Anstieg des Hungers geführt. Schätzungen zufolge seien bis Ende 2020 jeden Tag mindestens 6'000 Menschen wegen Hungers gestorben, ausgelöst durch die Folgen der Pandemie. Die in den vergangenen Jahrzehnten erzielten Erfolge bei der Verringerung der Armut drohen nun zunichte gemacht zu werden. «Die Pandemie und ihre Auswirkungen zeigen deutlich, dass der grösste Teil der Menschheit nur einen Schritt vom Elend entfernt ist», resümiert Oxfam. 56 Prozent der Weltbevölkerung müssen mit nur zwei bis zehn Dollar pro Tag auskommen – mehr als die Hälfte aller Arbeitenden in Niedriglohnländern lebt in Armut. Am härtesten treffe es Taxi- und Lieferfahrer, Friseure, Markthändler, Wachleute, Reinigungskräfte, Fabrikarbeiter, Bauern, Hausangestellte, Bauarbeiter und Strassenverkäufer.

Die Krise zeigt auch ein Versagen des Gesundheits- und Bildungssystems. So habe weltweit ein Viertel der Gesundheitseinrichtungen kein sauberes Wasser zur Verfügung. Der Zugang zum Gesundheitssystem hängt in vielen Ländern von Gebühren ab, die von vielen Patienten nicht mehr bezahlt werden können. Aber auch im globalen Norden hat die Krise Auswirkungen auf die Gesundheit. In Industrieländern, in denen die Finanzierung für Gesundheit signifikant gekürzt wurde, hat die Sterblichkeit sichtbar zugenommen.

Kinder in den ärmsten Ländern der Welt mussten auf vier Monate Schulzeit verzichten, während es in wohlhabenden Ländern nur vier Wochen waren. 33 Millionen Kinder, Jugendliche und Studierende haben wegen der Pandemie ihren Bildungsweg abgebrochen – vor allem in ärmeren Ländern, also dort, wo Bildung im Kampf gegen Armut am dringendsten nötig wäre. Mehr als 180 Länder schlossen als Folge der Pandemie ihre Schulen, wobei 1,7 Milliarden Kinder und Jugendliche von Schulschliessungen betroffen waren. Im krassen Gegensatz dazu verfügen die 1'000 reichsten Milliardäre nach nur neun Monaten seit Ausbruch der Pandemie wieder über so viel Vermögen wie vor der Krise.