Kann man Glücklichsein lernen? Ja, sagt Sylvia Frauchiger. In Zeiten, in denen sie selber unglücklich war, ging sie auf die Suche nach dem Sinn ihres Lebens, nach ihren Stärken und Besonderheiten. Heute versteht sie immer tiefgehender, was glücklich macht, und gibt dieses Wissen an Kindern in Schulen weiter. Ein Portrait in der Reihe «Menschen aus dem Leben».

© Foto von Claudia Bettinaglio / zvg

«Viele verbinden Glück mit ‹Immer Happy sein müssen› oder mit einem Zufallsereignis, das einfach so passiert und oft nicht lange andauert. Zu oft wird Glück auch mit messbaren Äusserlichkeiten assoziiert, gerade in der leistungsorientierten Schweiz», erklärt Tanzlehrerin Sylvia Frauchiger, die sich bereits in der Schulzeit für das Tanzen begeisterte. Ihre dunklen Augen strahlen Lebensfreude, Lebendigkeit, Kraft und Selbstbewusstsein aus.

Die 52-Jährige erlebte eine Zeit, in der sie selbst nicht wirklich glücklich war – also ging sie auf die Suche nach den Gründen. Wer bin ich eigentlich? Wieso bin ich auf der Welt? Welche Tätigkeiten machen mich glücklich? Heute weiss sie es: «Je mehr und tiefer wir erkennen, wer wir sind, was wir brauchen und wohin wir wollen, welche Stärken und besonderen Talente wir in uns tragen, desto mehr zeigt sich auch das Glück wieder. Unser Leben bekommt dadurch wieder mehr Sinn. Freiheit und Sicherheit haben wir hier in der Schweiz alle genug, aber der Sinn kommt uns oft etwas abhanden», erklärt sie.

«Es wäre schön gewesen, wenn mir solche Fragen bereits in der Schule gestellt worden wären.»

Sie las erst viele Bücher und schaute sich Videos über das Glücklichsein an. Ein Buch vom Coach und Bestsellerautor Veit Lindau inspirierte sie, und sie entschied sich bei ihm ein vierjähriges Seminar zu besuchen. «So wie Lindau die Welt erklärt, macht für mich total Sinn. Er gab mir viele Antworten auf meine Fragen, die ich mir nie wirklich bewusst gestellt hatte», sagt sie. Frauchiger findet es schade, dass sie dieses Wissen erst im Alter von 50 Jahren erlangen konnte. «Es wäre schön gewesen, wenn mir solche Fragen bereits in der Schule gestellt worden wären», sagt sie. Die Fähigkeit, mit eigenen Gedanken etwas erschaffen zu können, zu erkennen, wo die eigenen Stärken und Wünsche liegen, ohne sich ständig mit anderen vergleichen zu müssen, die schöner, besser und schneller sind, hat sie in ihrer Schulzeit vermisst. Als ihre zwei Söhne in die Pubertät kamen, waren sie oft nicht wirklich glücklich, sagt Frauchiger. «Sie wussten nicht, wie sie mit sich selbst und all ihren Gefühlen und kreisenden Gedanken umgehen sollen. Obschon ich als Mutter mein Bestes gab und sie mit all ihren Sorgen bei mir ein offenes Ohr fanden, macht es doch einen grossen Unterschied, ob man mit Gleichaltrigen über solche Themen diskutieren kann oder mit den Eltern. In der Schule war aber leider nie Raum für solche Inhalte.»

Während einer Kommunikationswoche im Zivildienst wurde der ältere Sohn mit den Themen Selbstbild und Fremdbild konfrontiert. Plötzlich gab es Raum für ein Thema, das alle jungen Menschen interessieren: Wer bin ich? Dies sei eine sehr glückliche Woche in seinem Leben gewesen. «Er konnte zusammen mit Gleichaltrigen die Erfahrung machen, richtig zu sein – Erlebnisse, die er in der Schule zu selten machen konnte», erinnert sich Frauchiger. Sie beobachtet bei ihren Schülern häufig, dass diese das Gefühl haben, nie ganz richtig zu sein, nie ganz zu genügen. «Sie vergleichen sich ständig mit Anderen, und das führt sie von sich selbst weg.»

«Das Schulfach «Glück» trägt dazu bei, dass Kinder wieder an sich glauben können.»

Nach der Erfahrung mit ihren Söhnen war für Frauchiger klar: Das Fach «Glück» gehört in die Schulen. Zwar wird es etwa in Deutschland und Österreich unterrichtet, doch nicht in der Schweiz, obwohl es so hilfreich wäre für die Entwicklung. «Der Lerninhalt orientiert sich an wissenschaftlichen Erkenntnissen der positiven Psychologie und trägt dazu bei, dass Kinder wieder an sich glauben und ein inneres positives Grundgefühl erarbeiten», erklärt Frauchiger. Sie schrieb einen Brief an den damaligen Berner Erziehungsdirektor Bernhard Pulver. «Er fand die Idee gut, aber wies darauf hin, dass dieser Vorschlag erst politisch genügend Anerkennung finden müsse und dass dies ein langer Prozess werden könnte», erinnert sie sich an seine Antwort.

Sie schrieb auch andere Schulen an, die obligatorischen Fächer jedoch würden keinen Spielraum für das «Glücksfach» zulassen, hiess es dort. Die selbstbewusste Lehrerin liess sich nicht entmutigen, sondern machte eine zusätzliche Ausbildung beim Fritz-Schubert-Institut für Persönlichkeitsentwicklung im deutschen Heidelberg. Die Weiterbildung zum «Schulfach Glück» dauerte ein Jahr und fand bei Remaking in Basel statt.

Gerade in der Coronakrise, wo viele Kinder an Depressionen und Ängsten leiden, ergriff Frauchiger mit ihrem eben aufgeschalteten Coaching- und Bildungsangebot «Raum für Glück» die Initiative: «Ich kenne die Leiterin der Schule Herrenschwanden an meinem Wohnort in der bernischen Gemeinde Kirchlindach schon länger. Sie fragte mich an, ob ich das Schulfach als Angebot unterrichten wolle. Und das mache ich nun seit Sommer 2020 mit grosser Freude, und es läuft gut», so Frauchiger. Es sei zwar ein kleiner Anfang, aber das Thema werde bereits in vielen Medien positiv aufgenommen. «Das Fach ‹Glück› muss zum Wohl der Kinder in den Lehrplan aufgenommen werden», sagt sie. Hoffentlich werden sich noch mehr Schulen für dieses wichtige Lebensfach begeistern können – für unsere Kinder, fürs Glück.
 

Kommentare

Schulfach Glück

von Karsten Ramser
Eine wunderbare Initiative, wenn Kinder die wirklichen wichtige Dinge schon in der Schule lernen, dann verändert sich ihr Leben für immer und somit die Gesellschaft.