Die Diskussion um die Konzernverantwortungs-Initiative wird in der Schweiz zunehmend emotional geführt. Dokumentierte Erfahrungsberichte und die Klärung von Widersprüchen seien deshalb umso wichtiger, sagt Nina Burri. Sie ist Anwältin beim Schweizerischen Hilfswerk «Brot für alle». Letzten Februar war sie selber im Kongo. Sie untersuchte Unfälle in Minen vom Schweizer Konzern Glencore.

© Nina Burri

Zeitpunkt: Frau Burri, Sie sagen selbst, die meisten Schweizer Unternehmen würden sorgfältig arbeiten und die internationalen Regeln für Menschenrechte und die Umwelt respektieren. Weshalb braucht es also die Konzernverantwortungs-Initiative?

Nina Burri: Wir sahen unter anderem Fälle von vergiftetem Trinkwasser, verseuchten Feldern und Gesundheitsschäden der lokalen Bevölkerung. Diese Vorkommnisse haben wir dokumentiert, den betreffenden Unternehmen vorgelegt und den Dialog gesucht. Dies führte aber weder zu angemessenen Entschädigungen für die Opfer noch zu wesentlichen Veränderungen vor Ort. Solche Erfahrungen zeigen, dass freiwillige Massnahmen nicht ausreichen. Es braucht zwingende Regeln, damit grosse Schweizer Konzerne die Verantwortung für Schäden, die sie im Ausland verursachen, auch wirklich übernehmen. Das Hilfswerk Brot für alle engagiert sich seit Jahren in Entwicklungsländern. Zusammen mit Partnerorganisationen setzten wir uns für Menschen ein, die von Schweizer Konzernen geschädigt werden.

Mit der Annahme werde es zu einer Flut von Klagen kommen, so das Argument der Gegner. Teilen Sie diese Befürchtung?

Dieses Argument ist widersprüchlich und unrealistisch zugleich. Widersprüchlich deshalb, weil die Gegner ja in dem Fall davon ausgehen müssten, dass Schweizer Konzerne im Ausland massenweise Menschenrechte oder Umweltstandards verletzen. Gleichzeitig behaupten sie, dass alle Schweizer Konzerne sauber wirtschaften und die Initiative daher nicht nötig sei: ein Widerspruch in sich.

Und nicht realistisch ist das Argument deshalb auch, weil die Schweiz ein «klägerunfreundliches» Land ist. Die Initiative ändert nichts an der Art und Weise, wie Schweizer Gerichte arbeiten, wie sie Fälle behandeln und wie ein Geschädigter klagen muss. Amerikanische Verhältnisse – wie etwa Sammelklagen – sind hier gar nicht möglich. Und es ist aufwändig und teuer in der Schweiz zu klagen. Ausserdem müssen die Geschädigten beweisen, dass sie einen Schaden erlitten haben und dass der Konzern dafür verantwortlich ist. Das Unternehmen wiederum hat dann die Möglichkeit des Entlastungsbeweises. Bedeutet: Es haftet nich, wenn es zeigen kann, dass es sorgfältig gearbeitet hat.

Was halten Sie vom Gegenvorschlag des Bundesrates?

Der Gegenvorschlag ist ein politisches Alibi-Manöver von Bundesrätin Karin Keller-Sutter. Denn der Vorschlag sieht eine reine Berichterstattung vor. Dabei können Unternehmen auch berichten, dass sie nichts zu berichten haben. Ernsthafte Sanktionen sind nicht vorgesehen. Und am Allerwichtigsten: Den betroffenen Menschen vor Ort nützt er gar nichts. Was bringt einem Bauer mit einem verseuchten Feld im Kongo ein schöner Hochglanzbericht in der Schweiz? Er braucht Zugang zu einem fairen Verfahren und einer angemessenen Entschädigung – und genau das sieht die Konzernverantwortungs-Initiative vor.
 

Das Interview führte Stephan Seiler.