Ein amerikanisches Institut aus Boston bietet verschiedene und weltweite Innovationen für einen zivilisatorischen Paradigmenwechsel. Mit neuen und zukunftsweisenden Prinzipien aus der Aktionsforschung.

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Wir leben in Zeiten, in denen uns immer häufiger und schneller Krisen, Enthüllungen, systemischer Rassismus und krankhafte Entwicklungen begegnen. Die Gesellschaften werden mit ihren eigenen Schattenseiten konfrontiert. Die angsterzeugende Berichterstattung in der jetzigen Coronakrise demotiviert und entmutigt jeden Einzelnen. Doch es gibt auch Beispiele, die Mut machen und viel Positives in die Welt bringen, die nach neuen Formen und einer neuen Kultur des Zusammenlebens suchen.

Ein solches Beispiel ist die weltweite Arbeitsgemeinschaft des Presencing Institute (PI). Aufbauend auf zwei Jahrzehnte der Aktionsforschung unterstützt das Institut sei 2006 rund um den Globus Initiativen für gesellschaftliche Veränderungen und verhilft Führungskräften aus verschiedensten Branchen zu neuen Perspektiven. Finanziert wird PI durch Einzelspenden, Stiftungsgelder und persönliche Programme. Otto Scharmer, Professor für Innovationsprozesse am Massachusetts Institute of Technology MIT in Boston und Mitbegründer des PI, beschreibt die Voraussetzungen für einen notwendigen Paradigmenwechsel: «Ein offener Verstand, ein offenes Herz und ein offener Wille. Wichtige notwendige Veränderungsprozesse in der Welt können mit dieser Grundhaltung mitgestaltet werden. Und dazu braucht es alle beteiligten InteressensvertreterInnen, denn wir sind in dieser vernetzten Welt alle voneinander abhängig.» Nur mit einem grundlegenden Perspektivenwechsel könnten neue Veränderungen gelingen: «Ein Bewusstsein dafür, dass ein Wandel nur vom egozentrierten Ich hin zu einem kooperierenden Wir stattfinden kann. Diese Vision tragen wir mit der Theorie U in die Welt hinaus», sagt Scharmer.

Das Arbeitskonzept wird von PI folgendermassen beschrieben: «Auf der einen Seite des U sind wir ausserhalb unserer subjektiven Wahrnehmung mit der Welt verbunden. Für eine Kooperation müssen wir erst einmal Innehalten, Anderen zuhören und wahrnehmen, was uns die Welt da draussen sagen will. Auf der unteren Seite des U müssen wir alles fallen lassen was Unwesentlich ist. Dieser Prozess setzt ein Loslassen unseres alten Egos und ein Kommenlassen unserer besten Möglichkeiten des eigenen Selbst voraus. Wir stellen damit eine subtile Verbindung zu einer tieferen Quelle des Wissens her.»

Auf diesen sieben Prinzipien sind alle Erfahrungs- und Lernmodelle des PI aufgebaut:

Zuhören: Anderen zuhören, sich selbst zuhören und Konzentration auf das, was aus dem Kollektiv heraus entsteht. Effektives Zuhören erfordert die Schaffung eines offenen Raumes.

Beobachten: Die Fähigkeit haben, sich der Stimme des Urteils auszusetzen, ist der Schlüssel, um von der Projektion zu einer fokussierten Beobachtung überzugehen.

Wahrnehmen: Die Erfahrung am Boden des U erfordert das Einstimmen von drei inneren Instrumenten: einem offenen Geist, offenen Herzen und offenen Willen. Dieser Öffnungsprozess ist ein aktives «Erspüren» als gemeinsame Gruppe. Während ein offenes Herz uns erlaubt, eine Situation aus dem aktuellen Ganzen zu erfassen, ermöglicht uns der offene Wille herauszuspüren, was aus dem Ganzen entstehen will.

Präsent sein: Die Fähigkeit, sich mit den tiefsten Quellen des Selbst zu verbinden, an den inneren Ort der Stille zu gehen, wo das Wissen liegt.

Kristallisieren: Wenn sich eine kleine Gruppe von Veränderern einem gemeinsamen Ziel verschreibt, erzeugt die Kraft ihrer Absicht ein Energiefeld, das Menschen, Gelegenheiten und Ressourcen anzieht, die dann Dinge geschehen lassen.

Ausprobieren: Die Bewegung auf der linken Seite des U erfordert von der Gruppe, sich zu öffnen und mit dem Widerstand von Denken, Fühlen und Wollen umzugehen. Die Bewegung auf der rechten Seite erfordert die Integration von Denken, Fühlen und Wollen im Kontext von praktischen Anwendungen und Learning by Doing.

Co-Evolution: Ein prominenter Geiger sagte einmal, dass er in der Kathedrale von Chartres nicht einfach seine Geige spielen konnte. Sondern er musste den gesamten Raum spielen, was er die «Makro-Geige» nannte, um sowohl dem Raum als auch der Musik gerecht zu werden. In ähnlicher Weise müssen Organisationen auf dieser Makroebene spielen: Die richtigen Spieler sollen sich versammeln, um ihnen zu helfen, auf der Ebene des Ganzen mitzuspielen und mitzugestalten.
 

Das Prinzip der Theorie U:

Die u.school for transformation ist eine längerfristige Vision von PI, um die Arbeit zum Aufbau von Transformationskompetenz in Gemeinschaften, Organisationen und der Gesellschaft zu erweitern und zu unterstützen. Sie zielt darauf ab, den Zugang zu Werkzeugen und Praktiken der gesellschaftlichen Transformation zu demokratisieren und für alle zugänglich zu machen.

GAIA ist eine globale Infrastruktur von PI. Sie soll helfen, in der Coronakrise einen Sinn zu finden und uns in eine Richtung der zivilisatorischen Erneuerung hineinzubewegen. So finden an den Wochen des «Einatmens» gemeinsame Gespräche mit inspirierenden Gästen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik statt. In den Wochen des «Ausatmens» können sich die Teilnehmer mit denjenigen Gemeinschaften treffen, die für sie am besten funktionieren. Dieser Prozess der GAIA Journeys fand mit dem zweiten Zyklus von Anfangs November bis zum 3. Dezember statt. Ein Termin für den nächsten Zyklus steht noch nicht fest.

Das Presencing Institute hat im Herbst 2015 mit der Theorie U bereits über 40'000 Wandel-Organisationen aus der ganzen Welt angezogen. Die Menschen von PI glauben fest daran, dass es möglich ist, Ergebnisse zu schaffen, die dem Wohlergehen aller dienen. Und dafür ziehen wir unseren Hut!