Wie stellen wir uns die Welt nach dem Systemwechsel vor? Schweizer und Schweizerinnen haben sich während des Lockdowns Gedanken gemacht, wie es in Zukunft in ihrem Land aussehen könnte. Über drei Monate hinweg diskutierten sie und sammelten sie Ideen im Projekt «Nova Helvetia».

«Ich stelle mir eine Zukunft vor, in der sich Menschen wieder mehr eingebettet fühlen, im Sinne: dass sie sich als Teil vom grösseren Ganzen verstehen, auch als Teil der Natur. Und in den Städten sehe ich viel mehr grüne Flächen, viel mehr Gärten, wo Menschen gemeinsam biologische Lebensmittel anbauen. Es wird zahlreiche lebendige Quartiere geben, mit aktiven Gemeinschaftsstrukturen, wo sich die Bewohner unterstützen und wo sie wieder wissen, wer ihre Nachbarn sind.»

Das ist der Blick in die Zukunft von Sarah Friederich, wenn sie sich die Welt und eine Stadt in der Schweiz von Morgen vorstellt. Die Bernerin ist Teil des innovativen Vereins Collaboratio Helvetica, der seit über zwei Jahren existiert und sich mit einem systemischen Wandel in der Schweiz beschäftigt: «Mehr Nachhaltigkeit, mehr Gemeinwohl, mehr ökologische Verantwortung», zählt die 33-Jährige einige der drängenden Themen des Vereins auf. Collaboratio Helvetica biete eine Plattform an, für Organisationen und Individuen zur Förderung von Zusammenarbeit und Dialog. «Um die grossen gesellschaftlichen Herausforderungen gemeinsam anzugehen.»

«Nova Helvetia war unsere Antwort auf die Coronakrise.»

Und dann kam Corona, die Krise. Diese hat vor Augen geführt, wie verbunden und wie verletzlich man als Gesellschaft ist. Sie hat die Stärken und Schwächen des Systems aufgezeigt und die Menschen gezwungen, genauer hinzuschauen. «Wir machten uns im Team viele Gedanken, wir fragten uns, was können wir jetzt in dieser Krise beitragen», erinnert sich Friederich. «Wir hatten von Anfang an ein grosses Bedürfnis, uns nicht nur auszutauschen, sondern was ganz Konkretes zu erarbeiten.» Und so rief der Verein Ende April das Projekt «Nova Helvetia» ins Leben.

«Das war unsere Antwort auf die Coronakrise», fährt Friederich fort, die seither Projektleiterin von Nova Helvetia ist. Personen aus allen Regionen der Schweiz, aus dem Tessin, der Westschweiz, der Deutschschweiz bildeten darauf acht Arbeitsgruppen zu unterschiedlichen Themen. Sie trafen sich alle zwei Wochen online, für gemeinsame Reflexionen und um Visionen auszuformulieren. Unterstützt wird Nova Helvetia finanziell vom Förderfonds Engagement Migros.
 


Sarah Friederich (links) schaut optimistisch in die Zukunft – trotz Schwierigkeiten.


Bildung, Geschlechtergerechtigkeit, Demokratie, Städtebau: Das sind einige der Themen, die die Arbeitsgruppen seither erarbeiten. «Während drei Monaten – bis Ende Juni – gingen wir also durch eine Reflexionsphase», sagt Friedrich. «Dazu haben wir unter anderem Interviews mit Fachleuten geführt, wir gingen in die Tiefe, betrachteten jedes Thema von verschiedenen Perspektiven aus.» Die Teilnehmer von Nova Helvetia wollten damit zum einen die heutige Lage beschreiben und festhalten, zum anderen zusammentragen, was es in den jeweiligen Bereichen für eine nachhaltige Zukunft benötigt.

Der Projektleiterin gefällt etwa der Ansatz der Gruppe «One health & climate» – eine Gesundheit & Klima. Deren Konzept erzählt davon, dass die Gesundheit des Planeten, die Gesundheit des Klimas, die Gesundheit der Ökosysteme und die der Menschen nicht getrennt betrachtet werden können. «Sie hängen zutiefst eng zusammen», so Friederich. Aber auch die Gruppe «Gender & Inklusion» stelle interessante Fragen: Was für Auswirkungen hat die aktuelle Krise auf die Gleichstellung? Sind Frauen von der Coronakrise anders betroffen als Männer?

Unterdessen sind die Arbeitsgruppen in der zweiten Phase. Sie beinhaltet die Weiterentwicklung der Anfangsideen und die Ausarbeitung von konkreten anwendbaren Lösungsansätzen, damit diese dann ab Oktober umgesetzt werden können. «So hat etwa die Gruppe von ‹Nachhaltigen Städten und Nachbarschaft› eine Reihe von partizipativen Workshops ausgearbeitet, um verschiedene Menschen in einem Dialog zusammenzubringen», sagt Friederich. Die Partnerinstitutionen dazu seien das Berner Generationenhaus und das Jungunternehmer- und Cowork-Zentrum Impact Hub Bern. Ab Oktober soll bei öffentlichen Anlässen unter anderem über nachhaltigen Tourismus diskutiert werden.

Nova Helvetia will ein Denkanstoss sein.

Nova Helvetia – ein Projekt, das Hoffnung macht. Auch Friederich sieht es so. «Wäre ich mit Blick auf die Zukunft nicht optimistisch, würde ich bei diesem Projekt nicht mitmachen», sagt die junge Frau und lacht. Das Engagement der Menschen, die seit Frühjahr bei Nova Helvetia mitgestalteten, sei beeindruckend. Das Projekt habe bei vielen einen weitgehenden Denkanstoss ausgelöst. Und das sei es auch, was Nova Helvetia hauptsächlich wolle, so Friederich: «Ein Denkanstoss sein, und Menschen dazu einladen und befähigen, eine andere Perspektive einzunehmen und systemisch zu denken.»

«Ich glaube daran, dass Veränderungen kommen werden und sich daraus neue Strukturen ergeben werden. Auf dem Weg dahin kann es sehr wohl sein, dass wir auf einige Schwierigkeiten treffen werden. Aber ich bin überzeugt, dass wir uns auf eine nachhaltige Zukunft zubewegen – eigentlich haben wir gar keine andere Wahl.»
 

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